Branchenbuch-Anbieter in der Rechtsprechung: Kann man sich wehren?

Ein Urteil des Amtsgerichts Münster (3 C 2811/10) dürfte für gute Laune bei -Anbietern (ich denke etwa an die „Gewerbeauskunft-Zentrale“) sorgen: Immerhin wird in dem Urteil so ziemlich jedes Argument verneint, mit dem man sich als Betroffener wehren möchte. Soweit mir bekannt, beruft man sich seitens mancher Branchenbuch-Anbieter bzw. dessen Rechtsanwalt auch in Diskussionen auf dieses Urteil. Grund genug, es sich einmal in Ruhe anzusehen.

Geradezu schulmäßig geht das AG Münster die typischen Argumente durch – ich schliesse mich dem an und beziehe dann dazu jeweils Stellung. Dabei ist unbedingt zu bedenken, dass es natürlich im Einzelfall auf die konkrete Gestaltung des jeweiligen Formulars ankommt!

Vertragsnatur

Das AG Münster stellt kurzerhand mit folgenden Worten einen Dienstvertrag fest

Die Klägerin hat einen Vergütungsanspruch in Höhe von 399,00 € aus § 611 Abs. 1 BGB.

Ist das so, liegt hier wirklich ein Dienstvertrag vor? Ein „Anzeigenvertrag“ ist letztlich ein (dazu Palandt, v. §631, Rn.18 – ebenso AG Düsseldorf, 40 C 1217/04; OLG Frankfurt a.M., 8 U 279/06 sowie LG Köln in NJW RR 2008, S.296 bzgl. eines „Internet-Gewerberegisters). Die Einstufung als Werkvertrag hätte dabei empfindliche Konsequenzen, nämlich ggfs. das Kündigungsrecht nach §649 BGB. Zwar kann im Falle der Kündigung die Vergütung verlangt werden, jedoch muss sich derjenige dann ersparte Aufwendungen anrechnen lassen – und mit der aktuell Einschränkenden Rechtsprechung des BGH zur Berechnung der anzurechnenden Ersparnis (ich hatte hier berichtet), stellt sich hier die spannende Frage, was da überhaupt übrig bleiben soll.

Anfechtungsrecht gemäß § 123 Abs. 1 BGB

Ein Anfechtungsrecht gemäß § 123 Abs. 1 BGB wird vom AG Münster verneint, denn

„Für einen objektiven Empfänger ist ohne größere Anstrengungen erkennbar, dass es sich um ein Angebot eines privaten Auskunftsportals handelt. Dies wird hier nicht in einem Fließtext versteckt oder auf andere Art und Weise verschleiert, sondern sogar mit Fettdruck hervorgehoben.“

Das sahen das Landgericht Köln (9 S 88/079 S 44/07, 9 S 88/07), Landgericht Wiesbaden (10 S 27/08) sowie das Landgericht Düsseldorf (30 O 148/10) in den dort verhandelten Formularen schon einmal grundsätzlich anders. Das LG Köln stellte insofern letztlich auf einen Eindruck richtigerweise ab, nämlich:

Das Anschreiben erweckt so durch Wortwahl und äußere Gestaltung einen offiziellen und beinahe amtlichen Eindruck

Eben das ist der springende Punkt: Wie muss das Schreiben im Gesamtbild auf den Empfänger wirken? Dabei ist mit dem LG Düsseldorf zwingend die Tatsache zu berücksichtigen, dass Kaufleute im Büroalltag eben nicht jedes Schreiben im Detail minutiös lesen, sondern mit einem Blick sichten, was Geschäftspost ist und was ein Werbeschreiben ist. Auch das will bei der Wertung beachtet werden. Dabei stellt das LG Köln vollkommen richtig fest:

Die Bestimmung des § 123 BGB verfolgt ersichtlich das Ziel, ein auf Arglist und Täuschung beruhendes Geschäftsgebaren in aller Regel auf Wunsch des Getäuschten die Rechtswirkung nehmen zu können.

Sprich: Ein „Mitverschulden“ desjenigen, der sich hat täuschen lassen, spielt keine Rolle – abgestellt wird alleine auf die Arglist. Das AG Münster versucht aber genau das, es sagt, dass man sich ja gar nicht hätte täuschen lassen müssen – das ist mit dem Sinn des §123 BGB schlicht nicht vereinbar und somit abzulehnen.

Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1BGB wegen eines Erklärungsirrtums

Zur Anfechtung wegen eines Erklärungsirrtums stellt das AG Münster klar:

„Zwar hat der Beklagte die Annahmeerklärung, die seinem Antwortfax zu entnehmen ist, tatsächlich nicht abgeben wollen. Zur Anfechtung berechtigt jedoch nur die unbewusste Unkenntnis: Wird eine ungelesen unterzeichnet, hat der Unterzeichnende kein Anfechtungsrecht (vgl. Palandt-Ellenberger, 68. Auflage 2009, § 119 BGB, Rnr. 9 mit weiteren Nachweisen).“

Da das Ag Münster an dieser Stelle keine Argumentation, sondern nur das Zitat des Palandt bietet, sollte man sich den erst einmal genauer ansehen. Dort findet man interessanterweise beim der genannten Fundstelle (§119, Rn.9) etwas anderes, nämlich das hier:

Wer eine Urkunde ungelesen unterschreibt, hat daher in der Regel kein Anfechtungsrecht

Beim AG Münster liest sich das ja schon ein bisschen anders. Fakt ist: Grundsätzlich gibt es beim „gar nicht Lesen“ kein Anfechtungsrecht. Und wo ein Grundsatz existiert, gibt es nunmal auch Ausnahmen. Die müssen aber auch gar nicht thematisiert werden, wenn man im Palandt etwas weiter liest, so ist dort vollkommen korrekt im Weiteren zu lesen:

Hat sich der Unterzeichnende vom Urkundeninhalt eine bestimmte Vorstellung gemacht, kann er dagegen anfechten, sofern der Erklärungsinhalt von seinen Vorstellungen abweicht.

Nun dürfte es zweifelsohne dieser Fall sein, wenn man meint, ein behördliches Schreiben zu unterzeichnen, das in Wirklichkeit ein Werbeangebot eines Unternehmens ist. Allerdings – und das ist der Knackpunkt – liest es sich an der Stelle so, als ob der Kläger ernsthaft vorgetragen hätte, er habe das Schreiben gar nicht gelesen, sondern blind unterzeichnet. Wie es genau war, wird mangels eines Tatbestandes im Urteil wohl ungeklärt bleiben. Da hier ohnehin die Anfechtung nach §123 BGB befürwortet wird, ist insofern auch kein Schwerpunkt bei einer Anfechtung nach §119 BGB (mit der Schadensersatzpflicht des §122 BGB) zu setzen.

Sittenwidrigkeit, §138 BGB

Zur Frage der Sittenwidrigkeit stellt das Gericht fest:

„Der Vertrag ist auch nicht sittenwidrig. Zwar kann ein Vertrag auch dann sittenwidrig sein, wenn ein außergewöhnliches Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht. Ein solches Missverhältnis hat der Beklagte jedoch nicht dargelegt. Der Gegenwert einer Veröffentlichung auf einem Auskunftsportal ist nicht von dem damit verbundenen Aufwand abhängig, sondern im Wesentlichen davon, wie stark dieses Portal frequentiert wird. Hierzu hat der Beklagte nichts vorgetragen, auch nicht dazu, mit welchen Kosten eine Veröffentlichung auf vergleichbaren Seiten verbunden gewesen wäre.“

Hier ist die gleiche Thematik wie oben zu beachten: Es wurde nichts Substantiiertes zur Sittenwidrigkeit vorgetragen, sondern diese wahrscheinlich einfach behauptet, ohne zu untermauern, inwiefern hier Preis und Leistung ausgewogen sind (oder eben nicht). Dass es anders geht, wurde aber beim Amtsgericht Bonn (116 C 84/09) bereits demonstriert – dort wurde problemlos festgestellt, dass auch bei Internet-Verzeichnissen ein Preis-/Leistungsverhältnis gewahrt sein muss und dieses in einem objektiven Vergleich bewertet werden kann. Man muss halt als Kläger nur dazu vortragen.

Fazit

In Stein gemeißelt ist mit dieser amtsgerichtlichen Entscheidung nichts. Ich habe an dieser Stelle den bisher kaum beachteten Aspekt der Vertragsnatur und des Kündigungsrechts ins Spiel gebracht, hier ist durchaus Potential, um sich gegen entsprechende Verträge zu wehren. Auf den Erklärungsirrtum sollte man sich letztlich nicht im Schwerpunkt konzentrieren, sondern vielmehr dem Gericht abverlangen, sich mit der Frage einer Täuschung zu beschäftigen (es gibtdazu inzwischen genug landgerichtliche Entscheidungen, s.o.) ebenso, wie man die Sittenwidrigkeit substantiiert vortragen muss. Letztlich bieten sich gute Chancen, sich zu wehren. Insofern ist das gerne zitierte Urteil des AG Münster in gewisser Weise eine gute Anleitung, wie man Klageschriften angehen muss und wo entsprechende Stolperfallen liegen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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