Keine Notwehr bei vorheriger Provokation

Provoziert der Angeklagte den Geschädigten zu einem Angriff, kann er sich nicht ohne Weiteres auf berufen: Eine schuldhafte Provokation kann zur Einschränkung des Notwehrrechts führen, wenn bei vernünftiger Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls der Angriff als adäquate und voraussehbare Folge der Pflichtverletzung des Angegriffenen erscheint.

Schuldhaftes Vorverhalten verhindert Notwehr

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine Notwehreinschränkung voraus, dass die tatsächlich bestehende Notwehrlage durch ein rechtswidriges, jedenfalls aber sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten des Angegriffenen verursacht worden ist und zwischen diesem Vorverhalten und dem rechtswidrigen Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang besteht.

Erforderlich ist zudem ein motivationaler Zusammenhang. Mithin sind gegebenenfalls Feststellungen und Wertungen dazu zu treffen, ob und inwieweit die Pflichtverletzung des Angegriffenen zum Verhalten des Angreifers beigetragen hat (BGH, 2 StR 263/21).

Beispielhafter Fall zur provozierten Notwehr

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat einen Angeklagten wegen verurteilt, nachdem er nach vorausgegangenem Streit den Geschädigten zu einem Angriff auf sich provozierte (Amtsgericht Frankfurt am Main, Urt. v. 08.07.2021, 980 Ds 858 Js 24821/20).

Nach den Feststellungen des Gerichts, kam es am 24.01.2020 zu einem Streit zwischen dem Angeklagten zu 2), drei Zeugen und dem Nebenkläger über eine verspätet ausgelieferte Pizza-Bestellung, woraufhin der Angeklagte zu 2) seinen Bruder, den Angeklagten zu 1) hinzurief. In der Folge kam es zu Handgreiflichkeiten ungeklärten Ausgangs. Als der Angeklagte zu 2) sich anschließend bereits ca. 20 m vom Geschehen entfernte, rief er dem erkennbar betrunkenen und körperlich unterlegenen Nebenkläger zu, „komm doch!“ und „wehr dich!“. Als dieser Folge leistete und, jedenfalls nicht ausschließbar, zu einem Schlag ausholte, schlug der Angeklagte zu 2) gegen den Kopf des Nebenklägers derart, dass dieser zu Boden ging und mit dem Kopf auf den Asphalt aufschlug.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main verurteilte den Angeklagten zu 2) nach umfangreicher Beweisaufnahme wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer . Obschon nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht auszuschließen war, dass der Nebenkläger zuerst zu einem Schlag gegen den Angeklagten zu 2) ausgeholt habe, sah das Gericht die Grenzen der rechtfertigenden Notwehr im konkreten Fall überschritten. Das Gericht wertete die Aufforderung, zu kommen und sich zu wehren, als vorwerfbare Provokation des Angeklagten zu 2), weshalb dieser gehalten gewesen sei, sich zunächst auf bloße Schutzwehr zu beschränken und dem Angriff habe ausweichen müssen. Da im Übrigen sich der Hergang der Auseinandersetzungen nicht habe zweifelsfrei aufklären lassen, sprach das Gericht den Angeklagten zu 1) frei. (Quelle: Pressemitteilung des Gerichts)

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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