Zahl der Abmahnungen und Rechtsmissbrauch

Das OLG Frankfurt (6 W 23/21) konnte hervorheben, dass alleine der Blick auf eine hohe Zahl von Abmahnungen keinen Fall des § 8 c II Nr. 2 UWG darstellt. Mit dieser Norm gilt

Eine missbräuchliche Geltendmachung ist im Zweifel anzunehmen, wenn (…) ein Mitbewerber eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift durch Abmahnungen geltend macht, wenn die Anzahl der geltend gemachten Verstöße außer Verhältnis zum Umfang der eigenen Geschäftstätigkeit steht oder wenn anzunehmen ist, dass der Mitbewerber das wirtschaftliche Risiko seines außergerichtlichen oder gerichtlichen Vorgehens nicht selbst trägt (…)

Es verbleibt auch in Anbetracht der Neufassung des §8c UWG dabei, dass wenn sich viele Wettbewerber wettbewerbswidrig verhalten, es grundsätzlich möglich sein muss, gegen alle vorzugehen, sofern die Verstöße die Marktposition des Abmahnenden in relevanter Weise beeinträchtigen können:

Ein Mitbewerber muss gegen alle Mitbewerber vorgehen können, die sich durch einen Rechtsverstoß einen spürbaren Wettbewerbsvorteil verschaffen. Anders als z.B. in der vom BGH entschiedenen „Abmahnaktion II“ (GRUR 2019, 199) handelt es sich hier nicht um die Verletzung einer , die den Wettbewerber nicht unmittelbar betrifft oder benachteiligt; vielmehr ist hier ein unmittelbarer Nachteil für die Antragstellerin zu erkennen, die sich der Mühen und Kosten der Akkreditierung gestellt hat, die die Antragsgegnerin nicht aufgewendet hat. Die Zahl der Abmahnungen (51) kann daher als Indiz für eine Rechtsmissbräuchlichkeit der nicht in Betracht kommen.

Kostenrisiken als Faktor für eine rechtsmissbräuchliche Abmahnung

Auch die durch die Vielzahl der Abmahnung entstehenden Kostenrisiken können alleine für sich eine Rechtsmissbräuchlichkeit nicht begründen:

Soweit die Marktbereinigung nur vorgeschoben ist und die mit der vielfachen Anspruchsverfolgung verbundenen Kostenrisiken in keinem vernünftigen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden stehen und bei objektiver Betrachtung an der Verfolgung der Wettbewerbsverstöße kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse bestehen kann, kann ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch vorliegen. Kein kaufmännisch handelnder Unternehmer wird Kostenrisiken in einer für sein Unternehmen existenzbedrohenden Höhe durch eine Vielzahl von Abmahnungen oder Aktivprozessen eingehen, wenn die Abstellung des beanstandeten Verhaltens für ihn keine nennenswerten Vorteile im Wettbewerb bringen.

Überhöhte Streitwerte

Zum Klassiker, den (vermeintlich) überhöhten Streitwerten, führt das OLG aus:

Die Indizwirkung tritt jedoch erst dann ein, wenn diese Werte „offensichtlich“ überhöht sind. Die ursprüngliche Entwurfsfassung sah vor, dass ein Missbrauch bereits dann indiziert wird, wenn „erheblich“ überhöhte Vertragsstrafen gefordert werden oder eine „erheblich“ über die Rechtsverletzung hinausgehende Unterlassungsverpflichtung vorgeschlagen wird. Da sich kaum objektivieren lässt, welche Zuvielforderung „erheblich“ ist, wäre eine gravierende Rechtsunsicherheit entstanden. Deshalb wurde der Begriff „erheblich“ durch den Begriff „offensichtlich“ ersetzt. Damit soll nach der Gesetzesbegründung verdeutlicht werden, dass es nur um eindeutige und ohne Weiteres erkennbare Fehler geht (Kochendörfer, WRP 2020, 1513). An einer solchen Offensichtlichkeit fehlt es hier. Gegenstandswerte von zunächst 100.000 € (Abmahnungen vom 03.12,) dann 75.000 € (Abmahnungen vom 18.12.) sowie später 50.000 € bewegen sich angesichts der Tatsache, dass es sich nicht bloß um formale, den Wettbewerb nicht beeinträchtigende Verstöße handelt, jedenfalls nicht in einem derart hohen Bereich, dass man eine offensichtliche Überhöhung annehmen müsste. Gleiches gilt für die geforderten Vertragsstrafen (6.500 € und 7.500 €).

Wenn auch in der Regel Vertragsstrafen im Bereich von 5.000 € üblich sind, so sind insbesondere bei wirtschaftlich potenten Verletzern durchaus höhere Vertragsstrafen angemessen, da die Wirkung einer drohenden naturgemäß von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Verletzers abhängt.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht.