Ein aktueller Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH, 2 StR 261/23) behandelt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von Verfahrensrügen im Rahmen einer Revision. Das Urteil des Landgerichts Köln vom 20. Oktober 2022 in einer Strafsache wegen versuchten Mordes wurde hierbei adressiert.
Sachverhalt
Die Angeklagte wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. In ihrem Revisionsverfahren wurde ihr eine Wiedereinsetzung gewährt, da ihr Anwalt die Frist zur Anbringung von Verfahrensrügen verpasst hatte:
Die Revision hat innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist glaubhaft gemacht, dass Rechtsanwalt S. am (…) letzten Tag der Revisionsbegründungsfrist, um 23.49 Uhr die Übersendung der fertiggestellten ergänzenden Revisionsbegründung zur Anbringung der Verfahrensrügen als elektronisches Dokument über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach nicht möglich war, weil das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Landes Nordrhein-Westfalen – was ihm im Zeitpunkt des Übersendungsversuchs noch nicht bekannt war – in der Weise gestört war, dass die Gerichte und Behörden elektronische Dokumente nicht empfangen konnten. Dadurch war der Verteidiger durch ausschließlich im Bereich der Justiz gründende Umstände gehindert, eine die fristgemäß erhobene Sachrüge ergänzende Verfahrensrüge rechtzeitig formgerecht anzubringen (…)
Rechtliche Analyse
- Grundsätze zur Wiedereinsetzung: Generell ist eine Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrügen unüblich, wenn die Revision bereits form- und fristgerecht begründet wurde. Eine Ausnahme besteht jedoch, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör notwendig ist.
- Vorliegender Fall: Im vorliegenden Fall wurde der Angeklagten die Wiedereinsetzung gewährt, weil ihr Verteidiger durch eine technische Störung im Bereich der Justiz an der fristgerechten Einreichung gehindert wurde. Diese Störung im elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach verhinderte die rechtzeitige Übermittlung der ergänzenden Revisionsbegründung.
- Erfolg der Verfahrensrügen: Trotz der gewährten Wiedereinsetzung blieben die vorgebrachten Verfahrensrügen erfolglos.
- Teilweise Abänderung des Urteils: Das Urteil wurde in Bezug auf die Adhäsionsentscheidung teilweise abgeändert, speziell hinsichtlich der Verzinsung des Schmerzensgeldes und der Feststellung zur Ersatzpflicht für künftige immaterielle Schäden.
- Kostenentscheidung: Die Angeklagte wurde mit den Gesamtkosten ihres Rechtsmittels sowie den besonderen Kosten des Adhäsionsklägers belastet.
Schlussfolgerungen
Dieser Fall illustriert, wie technische Probleme im Justizsystem eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, um das rechtliche Gehör zu wahren. Es zeigt auch, dass die bloße Gewährung einer Wiedereinsetzung nicht zwangsläufig zum Erfolg der nachgeholten Rügen führt. Der Beschluss betont die Wichtigkeit der Einhaltung formaler Verfahrensanforderungen, selbst in Fällen technischer Störungen.
Empfehlungen
Anwälte sollten sich der Möglichkeit technischer Störungen bewusst sein und entsprechende Vorkehrungen treffen, um sicherzustellen, dass fristgebundene Einreichungen rechtzeitig erfolgen. Dieser Fall verdeutlicht auch die Bedeutung, den rechtlichen Gehörsanspruch im Revisionsverfahren zu berücksichtigen.
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