Unmittelbarer Zwang ohne Androhung: 3000 € Schmerzensgeld

Das Landgericht Aachen, 12 O 559/19, hat deutlich gemacht, dass ein durchaus spürbares Schmerzensgeld angezeigt ist, wenn Polizeieinsätze nicht so laufen, wie man sich das wünscht. Ein kurzer Blick in die Entscheidung zeigt, dass es mitunter drunter und drüber gehen kann:

Die beteiligten Polizeibeamten sprachen ebenfalls nur ganz pauschal von einem Platzverweis, ohne nachvollziehbar angeben zu können, für welchen Bereich gegen den Kläger etwa ein Betretungsverbot wegen etwaiger Gefahren durch etwaige Rodungsarbeiten bestanden. Überdies hätte zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger zu Boden gerissen wurde, keine Gefahrenlage mehr fortbestanden. Jedenfalls ist nicht davon auszugehen, dass eine Ingewahrsamnahme des Klägers zur Durchsetzung eines Platzverweises unerlässlich im Sinne des § 35 PolG NRW war. Die Zeugen und insbesondere die Videos bekundeten völlig übereinstimmend, dass der Polizeibeamte Z. auf den rückwärts flüchtenden Kläger zulief und zwar aus dem Gebiet heraus, wo ggfs. Rodungsarbeiten stattfinden sollten.

Weiter lagen die Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 PolG NW nicht vor. Rechtsprechung und Schrifttum gehen davon aus, dass zur zwangsweisen Durchsetzung eines Platzverweises die besonderen Voraussetzungen des unmittelbaren Zwangs vorliegen müssen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, LKRZ 2014, 363,  365 m. w. Nachw., VG Koblenz, LKRZ 2013,  528; VG Neustadt, Urt. vom 6.9.2017, 5 K 783/16.NW).

Der von dem Polizeibeamten Z. eingesetzte unmittelbare Zwang war weder angedroht noch war er zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig. Z. hat eingeräumt, den unmittelbaren Zwang zur Vollstreckung eines Platzverweises gegen den Kläger nicht angedroht zu haben. Der unmittelbare Zwang des Zeugen Z. war keineswegs notwendig. Den Videos wie auch den Bekundungen der Zeugen ist ohne weiteres zu entnehmen, dass der Kläger auf ernsthafte Ansprache einen etwaigen Gefahrenbereich verlassen hätte. Bei dem Zulaufen des Polizeibeamten Z. bewegte sich der Kläger sofort und in erheblichem Tempo nach hinten von einem etwaigen geschützten Gefahrenbereich weg. Nach Einschätzung der Kammer hätte sich der Kläger auch weiter nach hinten, aus der Richtung, aus der er kam, bewegt, wenn nicht die Polizeibeamten den Kläger ergriffen hätten. Die Erklärung des Zeugen Z., den Kläger als Gallionsfigur angesehen zu haben, nach dessen Ingewahrsamnahme die Lage sich beruhigt hätte, ist nach Einschätzung der Amtshaftungskammer keine Rechtfertigung, die Androhung des unmittelbaren Zwangs zu unterlassen, sondern nur eine emotionale Erklärung des Zeugen. Andere Anhaltspunkte für eine vom Kläger ausgehende Gefahr im Sinne des § 61 PolG oder der Annahme einer Unerlässlichkeit nach § 35 PolG NW sind der Amtshaftungskammer nicht ersichtlich.

, 12 O 559/19

Es ist nicht die erste Entscheidung aus Aachen, die sich aktuell kritisch mit Polizeieinsätzen beschäftigt – es bleibt zu wünschen, dass die Öffentlichkeit sich zunehmend kritisch mit dem Verhalten bei Polizeieinsätzen auseinandersetzt, sowohl mit dem Verhalten der Kontrollierten als auch dem der Kontrolleure, die in einer überragenden Machtposition sind

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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