Entschädigung bei zu langer Dauer der Festsetzung der Pflichtverteidiger-Vergütung

Mit §198 GVG steht Verfahrensbeteiligten ein Entschädigungsanspruch bei überlangen Verfahren zu. Dies kommt auch Anwälten zu Gute, die zu Lange auf Ihre Gebühren warten müssen.

Denn: Das beim Amtsgericht durchzuführende Verfahren zur Festsetzung der erstinstanzlichen -Gebühren kann eine unangemessene Verfahrensdauer im Sinne des § 198 GVG aufweisen – wenn es von dem zuständigen Rechtspfleger grundsätzlich so geführt wird, dass die Vergütungsfestsetzung bis zur Rückgabe der Akten aus der Rechtsmittelinstanz nicht abschließend bearbeitet wird und während der Dauer der Aktenübersendung auch eine Anfrage beim Rechtsmittelgericht unterbleibt, um die Akten für die kurze Bearbeitungszeit einer Vergütungsfestsetzung zurückzuerhalten (so: Oberlandesgericht Hamm, 11 EK 11/20).

Anmerkung: Für die Verzögerung der Kostenfestsetzung um ca. 5 Monate erschien dem Senat die Zuerkennung eines Entschädigungsanspruchs in Höhe von 200,– Euro angemessen! Die Entscheidung findet ihre Grundlage bei: OLG Zweibrücken, 26.01.2017 – 6 SchH 1/16 Ent V; OLG Karlsruhe, 16.10.2018 – 16 EK 10/18; KG, 29.01.2016 – 7 EK 12/15; OLG Hamburg, 13.07.2016 – 6 Sch 1/16; Aber aufpassen: Es muss die Verspätung mit §198 Abs.3 S.1 GVG gerügt werden, damit der Anspruch entsteht!

Zur Anwendbarkeit des §198 GVG schreibt das OLG:

Die Vorschrift des § 198 GVG gilt auch für Verfahren auf Festsetzung von Kosten und Vergütungen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.10.2018, 16 EK 10/18, MDR 2019, S. 99; OLG Zweibrücken, Urteil vom 26.01.2017, 6 Sch 1/16 EntV, NJW 2017, S. 1328; Heine, Die Entwicklung der Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der auf § 198 GVG gestützten Entschädigungsklage, MDR 2013, S. 1081, 1084). Dafür spricht bereits die Vorschrift des § 198 Abs. 6 GVG, welche umfassenden Schutz in allen gerichtlichen Verfahren gewährt und keine Beschränkung für bestimmte Verfahrensabschnitte enthält. Zudem ist auch kein rechtfertigender Grund ersichtlich, warum etwa die Vergütungsfestsetzungsverfahren für Rechtsanwälte von der Entschädigungsregelung ausgenommen werden sollten, zumal eine andere förmliche Rechtsschutzmöglichkeit für einen Anwalt, um die Festsetzung der Vergütung herbeizuführen, nicht besteht (…)

Gemäß § 198 Abs 1 S. 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten.34

Maßgeblich kommt es insofern darauf an, ob die Verfahrensdauer eine Grenze überschreitet, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen wie Rechtsstaatsprinzip, Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt. Laufzeiten, die durch die Prozessleitung des Gerichts bedingt sind, haben nur dann eine unangemessene Verfahrensdauer zur Folge, wenn sich die verfahrensleitende Entscheidung nicht auf verfahrensökonomische Sachgründe stützen lässt, sondern von sachfremden und zweckwidrigen Erwägungen getragen und somit nicht mehr verständlich ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine Entscheidungsreife des Verfahrens ohne tragfähige Gründe hierfür nicht mehr gefördert wird (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).35

Eine abstrakte generelle Regelung, wann ein in den Anwendungsbereich des § 198 GVG fallendes Gerichtsverfahren unangemessen lange dauert, besteht nicht. Ebenso wenig existieren zeitliche Vorgaben, die eine unangemessene Verfahrensdauer vermuten lassen. Die statistische durchschnittliche Dauer für vergleichbare Verfahren bietet allenfalls einen Vergleichsrahmen. Allein aufgrund ihrer Überschreitung lässt sich nicht schon auf die Unangemessenheit der Verfahrensdauer schließen, weil es gemäß § 198 Abs. 1 GVG auf die angemessene, und nicht auf die durchschnittliche Verfahrensdauer ankommt (vgl. Heine, a.a.O.).Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist grundsätzlich die Gesamtverfahrensdauer, so dass ein Entschädigungsanspruch ausscheiden kann, wenn einzelne Verfahrensschritte anfänglich unangemessen lange gedauert haben, der dadurch entstandene Zeitverlust aber im weiteren Verfahrensverlauf durch eine besonders zügige weitere Bearbeitung kompensiert worden ist. Die Verfahrensbeteiligten haben allerdings keinen Anspruch auf eine optimale Verfahrensförderung. Sie müssen es hinnehmen, dass das Gericht vorrangige Verfahren zu beantworten hat und eine gleichzeitige tiefergehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren nicht möglich ist. Dabei muss aber stets in den Blick genommen werden, dass sich mit zunehmender Verfahrensdauer die mit dem Justizgewährleistungsanspruch verbundene Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.2014, III ZR 37/13, NJW 2014, Seite 939).

Verteidiger kennen das bei Rechtsmitteln: Die Akte ist irgendwann weg und man soll unbestimmte Zeit warten, bis sie wieder da ist. Das lehnt das OLG zu Recht ab und erinnert daran, dass auch Anwälte vom Geld leben:

Nicht angängig war jedenfalls die mit der Verfügung vom 05.06.2019 dargestellte Handhabung des Amtsgerichts, das Kostenfestsetzungsverfahren bis zur Rückkehr der Akten aus der Berufungsinstanz nicht betreiben zu wollen. Es steht außer Frage, dass die hier in Rede stehende Verteidigervergütung Teil der Existenzgrundlage eines Rechtsanwalts ist und ihm daher jedenfalls nicht ohne ausreichenden sachlichen Grund zugemutet werden kann, auf eine unbestimmte Zeit auf die Auszahlung der Vergütung warten zu müssen. Dies ist gerade bei Rechtsmittelverfahren, deren Dauer oft nicht abschätzbar ist und die im Einzelfall Jahre andauern können, evident. Zwar bestand in dem vorliegend betroffenen Strafverfahren ein Interesse des von dem Strafverfahren betroffenen und erstinstanzlich verurteilten Angeklagten, den gegen ihn erhobenen Anklagevorwurf und die erstinstanzlich ergangene Verurteilung in angemessener Zeit durch das Berufungsgericht überprüfen zu lassen und eine Klärung herbeizuführen, ob ein und ggfls. welcher Schuldspruch aufgrund der ihm zur Last gelegten Tat gerechtfertigt war und welche Konsequenzen dies für ihn haben würde. Dieses Interesse ging dem Vergütungsinteresse der Klägerin vor und konnte daher eine vorrangige Weiterführung des Strafverfahrens grundsätzlich rechtfertigen. Daher war es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht die Akten zunächst an die Staatsanwaltschaft Bielefeld versandte, die sie sodann an das Landgericht Bielefeld weiterleitete, obwohl das Kostenfestsetzungsverfahren der Klägerin nicht abgeschlossen werden konnte.38

Aufgrund des damit verbundenen Zeit- und Materialaufwandes kann weiterhin dem Amtsgericht nicht vorgeworfen werden, zur Durchführung des Kostenfestsetzungsverfahrens vor der Aktenversendung kein Aktendoppel erstellt zu haben. Indes sind auch im Rechtsmittelverfahren erfahrungsgemäß Zeiträume vorhanden, in denen das Rechtsmittelgericht die Akten für einen kurzen Zeitraum nicht benötigt und an das Ausgangsgericht zurücksenden kann. Daher war es im vorliegenden Fall zumutbar und auch geboten, dass seitens des Amtsgerichts jedenfalls nach Erfüllung der Mitwirkungspflicht durch die Klägerin infolge ihres Schriftsatzes vom 20.09.2019 und damit den einhergehendem Eintritt von Entscheidungsreife über das Kostenfestsetzungsgesuch der Klägerin die Akten zeitnah vom Landgericht unter Hinweis auf das laufende Kostenfestsetzungsverfahren und die unter Angabe der voraussichtlichen Bearbeitungsdauer zurückgefordert wurden. In dem Fall, dass eine Aktenrücksendung nicht erfolgte, war die Anforderung binnen angemessener Frist zu wiederholen. Die Entscheidung, ob die Akten für die erbetene Zeit entbehrlich sind, wäre daraufhin von dem zuständigen Dezernenten beim Landgericht zu treffen gewesen und am Stand des Berufungsverfahrens auszurichten. Auch insofern erscheint es zumutbar, dass in dem Fall, dass die Akten nicht entbehrlich sind, vom Rechtsmittelgericht regelmäßig eine Wiedervorlagefrist verfügt wird, nach deren Ablauf eine erneute Prüfung des Rückforderungsersuchens erfolgt.39

Ein derartiges Vorgehen ist seitens des AG Rahden schuldhaft versäumt worden, wobei das Fehlen einer Rechtfertigung, die Bearbeitung des Kostenfestsetzungsverfahrens für die gesamte, nicht absehbare Dauer des Rechtsmittelverfahrens zurückzustellen, für die zuständige Rechtspflegerin erkennbar war.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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