BVerfG zur Strafbarkeit des Einzelrennens im Straßenverkehr

Das (2 BvL 1/20) hat klargestellt, dass die Strafbarkeit des sogenannten Einzelrennens im Straßenverkehr (§ 315d Abs 1 Nr 3 StGB) verfassungsgemäß ist. Hierzu wurden oft Bedenken geäußert, das BVerfG hat sich nun eindeutig postiert.

Bestimmtheitsgebot im Strafrecht

Das BVerfG erinnert an das Bestimmtheitsgebot im Strafrecht und fasst die bisherige Rechtsprechung nochmals zusammen. So führt es aus, dass die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze dahin, dass der Gesetzgeber im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen und Rechtsvorschriften so genau fassen muss, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Diese Überlegungen gelten für den grundrechtssensiblen Bereich des materiellen Strafrechts besonders strikt. Das Bestimmtheitsgebot verlangt daher, den Wortlaut von Strafnormen so zu fassen, dass die Normadressaten im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht.

Aber: Der Gesetzgeber muss mit dem BVerfG auch im Strafrecht in der Lage bleiben, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden. Müsste er jeden Straftatbestand stets bis ins Letzte ausführen, anstatt sich auf die wesentlichen Bestimmungen über Voraussetzungen, Art und Maß der Strafe zu beschränken, bestünde die Gefahr, dass die Gesetze zu starr und kasuistisch würden und dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden könnten, so das BVerfG:

Wegen der gebotenen Allgemeinheit und der damit zwangsläufig verbundenen Abstraktheit von Strafnormen ist es unvermeidlich, dass in Einzelfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Das Bestimmtheitsgebot bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber gezwungen wäre, sämtliche Straftatbestände ausschließlich mit unmittelbar in ihrer Bedeutung für jedermann erschließbaren deskriptiven Tatbestandsmerkmalen zu umschreiben. Es schließt die Verwendung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln im Strafrecht nicht von vornherein aus (vgl. BVerfGE 92, 1 <12>; 126, 170 <196>; 143, 38 <55 Rn. 41>; 153, 310 <341 Rn. 77>). Der Gesetzgeber kann Tatbestände auch so ausgestalten, dass zu ihrer Auslegung auf außerstrafrechtliche Vorschriften zurückgegriffen werden muss (vgl. BVerfGE 126, 170 <196>).

Welchen Grad an gesetzlicher Bestimmtheit der einzelne Straftatbestand haben muss, lässt sich hierbei nicht allgemein festlegen. Darum ist im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung möglicher Regelungsalternativen zu entscheiden, ob der Gesetzgeber seinen Verpflichtungen aus Art. 103 Abs. 2 GG im Einzelfall nachgekommen ist. Zu prüfen sind die Besonderheiten des jeweiligen Straftatbestands einschließlich der Umstände, die zu der gesetzlichen Regelung führten, wobei der Gesetzgeber die Strafbarkeitsvoraussetzungen umso genauer festlegen und präziser bestimmen muss, je schwerer die von ihm angedrohte Strafe ist. Auch der Kreis der Normadressaten kann hierbei von Bedeutung sein.

Soweit im Übrigen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Grenzfällen ausnahmsweise ausreichend ist, wenn lediglich das Risiko einer Bestrafung erkennbar ist, trägt dies der Unvermeidbarkeit von Randunschärfen Rechnung. Gegen die Verwendung unbestimmter, konkretisierungsbedürftiger Begriffe oder von Generalklauseln bestehen jedenfalls dann keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt. Allein die Tatsache, dass ein Gesetz bei extensiver, den möglichen Wortlaut ausschöpfender Auslegung auch Fälle erfassen würde, die der parlamentarische Gesetzgeber nicht bestraft wissen wollte, macht das Gesetz nicht verfassungswidrig, wenn und soweit eine restriktive, präzisierende Auslegung möglich ist.

Verbot der Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen

Strafgerichte dürfen den Wortlaut einer Strafbestimmung weit auslegen. Gerade wenn der Normzweck eindeutig und offensichtlich ist, kann eine daran orientierte weite Auslegung des Wortsinns geboten sein, denn unter dieser Voraussetzung kann der Normadressat das strafrechtlich Verbotene seines Handelns vorhersehen. Dies zu gewährleisten, ist mit dem BVerfG der Sinn des Art. 103 Abs. 2 GG.

Allerdings sind die Strafgerichte verpflichtet, die einzelnen Tatbestandsmerkmale, mit denen der Gesetzgeber das unter Strafe gestellte Verhalten bezeichnet hat, nicht so zu definieren, dass die vom Gesetzgeber dadurch bewirkte Eingrenzung der Strafbarkeit im Ergebnis wieder aufgehoben wird. Einzelne Tatbestandsmerkmale dürfen – auch zum Schutz des Normadressaten – innerhalb ihres möglichen Wortsinns nicht so weit ausgelegt werden, dass sie vollständig in anderen Tatbestandsmerkmalen aufgehen, also zwangsläufig mit diesen mitverwirklicht werden (sogenanntes „Verbot der Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen“).

Anwendungsvorgaben für Gericht (RN. 97ff).

Für die Strafgerichte konkretisiert der Satz „nulla poena sine lege“ den Grundsatz der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG. Sie dürfen nicht korrigierend in die Entscheidung des Gesetzgebers über die Strafbarkeit eingreifen (aa). Sie sind allerdings gehalten, weit gefassten Tatbeständen innerhalb der Wortlautgrenze durch eine präzisierende Auslegung Konturen zu geben (bb). Dabei dürfen sie Tatbestandsmerkmale, die der Gesetzgeber zur Eingrenzung der Strafbarkeit vorgesehen hat, nicht in einer diese Eingrenzung aufhebenden Weise verschleifend auslegen (cc).

Der Gesetzgeber und nicht der Richter ist zur Entscheidung über die Strafbarkeit berufen (vgl. BVerfGE 92, 1 <19>; 126, 170 <197>). Allein der Gesetzgeber hat zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er für ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich und notwendig erscheint, gerade das Mittel des Strafrechts einsetzen will. Die Gerichte dürfen in die Entscheidung des Gesetzgebers nicht korrigierend eingreifen und müssen in Fällen, die vom Wortlaut einer Strafnorm nicht mehr gedeckt sind, zum Freispruch gelangen (vgl. BVerfGE 64, 389 <393>; 92, 1 <197>; 126, 170 <197>). Dies gilt auch dann, wenn infolge des Bestimmtheitsgebots besonders gelagerte Einzelfälle aus dem Anwendungsbereich eines Strafgesetzes herausfallen, obwohl sie ähnlich strafwürdig erscheinen mögen wie das pönalisierte Verhalten. Es ist dann Sache des Gesetzgebers, zu entscheiden, ob er die Strafbarkeitslücke bestehen lassen oder durch eine neue Regelung schließen will (vgl. BVerfGE 126, 170 <197>). Aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit folgt ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Dabei ist „Analogie“ nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die – tatbestandsausweitend – über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht, wobei der mögliche Wortlaut als äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation aus der Sicht des Normadressaten zu bestimmen ist (vgl. BVerfGE 92, 1 <12>; 126, 170 <197>; stRspr). Für die Bestimmung des möglichen Wortsinns können auch gesetzessystematische und teleologische Erwägungen von Bedeutung sein (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Juni 2011 – 2 BvR 542/09 -, Rn. 57 m.w.N.). In Betracht kommt daher auch, dass bei methodengerechter Auslegung ein Verhalten nicht strafbewehrt ist, obwohl es vom Wortlaut des Strafgesetzes erfasst sein könnte. In einem solchen Fall darf ein nach dem Willen des Gesetzgebers strafloses Verhalten nicht durch eine Entscheidung der Gerichte strafbar werden (vgl. BVerfGE 87, 209 <224>). Vielmehr haben die Gerichte den Willen des Gesetzgebers zu respektieren und erforderlichenfalls durch restriktive Auslegung eines weiter gefassten Wortlauts der Norm sicherzustellen (vgl. BVerfGE 87, 399 <411>; 126, 170 <198>).

Aus der Zielsetzung des Art. 103 Abs. 2 GG sind für die Gerichte Vorgaben für die Handhabung weit gefasster Tatbestände und Tatbestandselemente zu entnehmen. Sie dürfen nicht durch eine fernliegende Interpretation oder ein Normverständnis, das keine klaren Konturen mehr erkennen lässt, dazu beitragen, bestehende Unsicherheiten über den Anwendungsbereich einer Norm zu erhöhen (vgl. BVerfGE 92, 1 <19>; 126, 170 <198>). Andererseits ist die Rechtsprechung gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (Präzisierungsgebot; vgl. BVerfGE 126, 170 <198>). Besondere Bedeutung hat diese Pflicht bei solchen Tatbeständen, die der Gesetzgeber im Rahmen des Zulässigen durch Verwendung von Generalklauseln verhältnismäßig weit und unscharf gefasst hat. Gerade in Fallkonstellationen, in denen der Normadressat nach dem gesetzlichen Tatbestand nur die bloße Möglichkeit einer Bestrafung erkennen kann und in denen sich erst aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt (vgl. BVerfGE 45, 363 <371 f.>; 126, 170 <199>), trifft die Rechtsprechung eine besondere Verpflichtung, an der Erkennbarkeit der Voraussetzungen der Strafbarkeit mitzuwirken.

Keine Bedenken bei höchstmöglicher Geschwindigkeit

Der vom Gesetzgeber neu eingeführte Begriff der „höchstmöglichen Geschwindigkeit“ kann mit der nun vorliegenden Entscheidung des BVerfG im Rahmen seines Wortsinns ebenfalls methodengerecht ausgelegt werden, auch wenn das Tatbestandsmerkmal „um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“ nicht an eine über längere Zeit gefestigte Rechtsprechung oder an bereits aus anderen Vorschriften bekannte Begrifflichkeiten anknüpft. Dabei sieht das BVerfG die OLG- und BGH-Rechtsprechung als ausreichend konturiert an.

Durch die Bildung einzelner, vom Tatbestand ausgenommener Fallgruppen – der Ausrichtung der Absicht auf das Erreichen eines nur wenig entfernten Verkehrsziels (wie das Passieren einer nahen Ampel vor dem Ende der Gelbphase) oder auf die Durchführung eines konkreten, räumlich eng umgrenzten Verkehrsvorgangs (wie etwa die Maximalbeschleunigung bei einem Überholvorgang) – lässt die bestehende Rechtsprechung den von ihr intendierten Sinn und Zweck der Einschränkung für die Normadressaten voraussehbar erkennen, wobei ausdrücklich Bezug genommen wird auf BGH, 4 StR 142/20:

Wenn der davon ausgeht, dass sich die Zielsetzung des Täters nach seinen Vorstellungen auf eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerhebliche Wegstrecke beziehen müsse und sich nicht nur in der Bewältigung eines räumlich eng umgrenzten Verkehrsvorgangs erschöpfen dürfe (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 4 StR 225/20 -, NJW 2021, S. 1173 <1175>; Beschluss vom 24. März 2021 – 4 StR 142/20 -, DAR 2021, S. 395 <396 Rn. 24>; Urteil vom 24. Juni 2021 – 4 StR 79/20 -, juris, Rn. 11 und oben Rn. 80), hält er sich im Rahmen der Wortlautgrenze des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB und stellt methodengerecht auf die objektive Gefahrenlage ab.

Er nimmt Verhaltensweisen im Straßenverkehr von der Strafbarkeit aus, die nach den Vorstellungen des Täters zwar auf das Erreichen einer höchstmöglichen Geschwindigkeit zielen, sich aber subjektiv nur auf eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten unerhebliche Wegstrecke beziehen und damit im Grad der abstrakten Gefahr nicht mit einem Kraftfahrzeugrennen vergleichbar sind. Diese Auslegung steht im Einklang mit gesetzessystematischen und teleologischen Erwägungen. Danach kann für die Vergleichbarkeit des Tatbestandes des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB mit einer Teilnahme an einem Kraftfahrzeugrennen nach § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB auf dessen abstrakte Gefahrenlage abgestellt werden (vgl. so auch KG, Beschluss vom 20. Dezember 2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -, juris, Rn. 17, dazu oben Rn. 72).

Dem Gesetzgeber kam es zunächst darauf an, die einem Mehrpersonenrennen immanente abstrakte Gefahr für die Verkehrssicherheit zu sanktionieren. Letztlich sah er aber auch ein Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit, welches grob verkehrswidrig und rücksichtslos erfolgt, als ebenso gefährlich an, vorausgesetzt, diesem liegt die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, zugrunde (vgl. oben Rn. 3 ff.). Nach der Gesetzesbegründung, der zufolge gerade das subjektive Tatbestandsmerkmal der Absicht zur Vergleichbarkeit der Gefahrenlage führen soll (vgl. BTDrucks 18/12964, S. 6), liegt es nahe, dass sich das Absichtsmerkmal auf eine Situation beziehen soll, welche den Grad 

Definition des Alleinrennens

Unter Bezugnahme auf die BGH-Rechtsprechung führt das BVerfG aus, dass die höchstmögliche Geschwindigkeit – welche objektiv nicht erreicht sein muss – in der Vorstellung des Täters die maximal unter den konkreten situativen Gegebenheiten mögliche Geschwindigkeit ist, die sich – ebenfalls in der Vorstellung des Täters – auf eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerhebliche Wegstrecke beziehen muss. Damit orientiert sich die nicht angepasste Geschwindigkeit – die objektiv vorliegen muss – an der bestehenden Verkehrssituation unter Berücksichtigung der straßenverkehrsrechtlichen Regeln, während sich die höchstmögliche Geschwindigkeit allein aus den Vorstellungen des Täters von seinen konkreten Möglichkeiten, ohne Bezug zu dem rechtlich Erlaubten, ergibt.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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