Beim Landgericht Hamburg (625 Qs 21/21 OWi) ging es um eine begehrte Akteneinsicht für Dritte durch Übersendung eines an einen anderen gerichteten Bußgeldbescheid. Die Entscheidung unterstreicht die Maxime der Strafprozessordnung auch im OWI-Bereich dahingehend, dass eine Abwägung des Informationsinteresses Dritter mit den schutzwürdigen Interessen der Betroffenen an der Versagung stattzufinden hat.
Hintergrund der Entscheidung war ein von der Öffentlichkeit beachteter Bußgeldbescheid, zudem eine Pressemitteilung des zuständigen Datenschutzbeauftragten ergangen war. Im Anschluss an die Veröffentlichung der Pressemitteilung erhielt die Datenschutzbehörde insgesamt sieben Anträge von Dritten auf Herausgabe des Bußgeldbescheids und dem dazugehörigen Dokument „2./2020 – Bußgeldzumessung unter Anwendung des DSK-Konzepts“ (Letzteres nachfolgend „die Bußgeldberechnung“).
Gibt es das, Einsicht in eine OWI-Akte für Dritte?
Ja, grundsätzlich ist es denkbar, insbesondere halt bei Verfahren mit enormer öffentlicher Wahrnehmung.
Warum begehrt man überhaupt Einsicht?
Auf Aufforderung legten jedenfalls vier der Antragssteller ihr Interesse an der Übermittlung des Bußgeldbescheids dar und es zeigt sich, dass es eben nicht um schlichte Neugierde geht, sondern dass es durchaus beachtliche und mitunter auch naheliegende Motive für eine Akteneinsicht gibt. So wurden etwa genannt:
- wissenschaftliches Interesse an dem Bescheid mit dem Motiv, diesen in einem wissenschaftlichen Aufsatz, der an eine Veröffentlichung anknüpft, unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu besprechen und kritisch zu würdigen;
- ein Rechtsanwalt im Bereich des Datenschutzrechts, der unter anderem bei möglichen Datenschutzverstößen berät, führte aus: Die Bußgeldentscheidung sei die erste Entscheidung, die sich mit der Anwendung des europäischen Unternehmensbegriffs befasse und habe grundlegende Bedeutung für die Beratung im Datenschutzecht. Es bestehe ein Interesse daran, zu erfahren, anhand welcher Kriterien die Adressatenauswahl und Bußgeldberechnung erfolgt sei;
- eine Gesellschaft verwies auf Ihr Interesse an dem Inhalt des Bußgeldbescheides, daneben wolle sie die im Bußgeldbescheid enthaltenen Informationen gegebenenfalls auch im Rahmen von Publikationen oder anderen wissenschaftlichen Arbeiten nutzen;
- wiederum ein Rechtsanwalt im Bereich des Datenschutzes plante einen Fachaufsatz zur Bußgeldpraxis der Aufsichtsbehörden;
Grenzen des Auskunftsrechts
Dem zu berücksichtigenden Auskunftsinteresse der Antragssteller können jedoch die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen an der Versagung der Auskunft entgegen stehen, hierzu ist die Norm des § 475 Abs. 1 S. 2 StPO zu berücksichtigen, die auch im OWIG gilt. Die Anwendung der Norm stellt das Landgericht dann zusammenfassend so dar, wobei es am Ende eben nicht auf ein vollständiges Überwiegen schutzwürdiger Belange ankommt:
Im Unterschied zur ähnlich gelagerten Regelung des § 406e Abs. 2 StPO kommt es im Rahmen des § 475 StPO nicht auf ein „Überwiegen” der einer Auskunft entgegenstehenden schutzwürdigen Interessen an.
Es genügt, dass ein schutzwürdiges Interesse an der Versagung besteht (LG Bochum, Beschluss vom 10.11.2004 – 1 AR 16/04, NJW 2005, 999). Ob die Interessen der Betroffenen i.S.d. § 475 Abs. 1 Satz 2 StPO schutzwürdig sind, ist dabei im Wege einer umfassenden Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Antragsteller und den entgegenstehenden Interessen der Betroffenen zu ermitteln. Entscheidend ist dabei, wie hoch das Informationsinteresse der Antragsteller an der begehrten Auskunft zu bewerten und wie stark der Eingriff in die Rechte der Betroffenen durch die Offenlegung der begehrten Informationen im Einzelfall zu gewichten ist.
Je geringer der Eingriff in das Recht des Betroffenen, desto geringere Anforderungen sind an das Informationsinteresse der Antragsteller zu stellen; je intensiver und weitergehend die begehrte Auskunft reicht, desto gewichtiger muss das Informationsinteresse sein (vgl. VGH Baden-Württemberg DVBl 2014, 101 m.w.Nw, LG München, Beschluss vom 24.03.2015 – 7 Qs 5/15, ZD 2015, 483).
Im Ergebnis gilt damit, dass die Frage, ob eine Verletzung schutzwürdiger Interessen vorliegt, anhand des zu beurteilenden Einzelfalls festzustellen ist. Man muss also argumentieren und werten.
DSGVO-Bußgelder mit Prangerwirkung
Die Entscheidung macht (nochmals) deutlich, wie scharf Pressemitteilungen zu DSGVO-Bußgeldern wirken können. Zugleich zeigt sich, wie wichtig es ist, die Verzahnung der DSGVO mit dem Ordnungswidrigkeitenrecht im Blick zu haben, was hinsichtlich der Möglichkeit unternehmensbezogener Bußgelder selbst bei den Gerichten umstritten ist. Das Risiko, dass Dritte auch noch Einblick in den (teilweise geschwärzten) Bußgeldbescheid erhalten und hierüber weitere unangenehme Informationen an die Öffentlichkeit gelangen muss gesehen und frühzeitig in den juristischen Umgang mit einem solchen Bescheid eingeflochten werden.
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