Das Rätsel von ANOM: Stellen Sie sich einen Messenger-Dienst vor, der absolute Sicherheit und Unknackbarkeit verspricht. Genau das bot ANOM, ein Krypto-Messenger, entwickelt vom FBI und verdeckt unter Kriminellen verbreitet (ich habe immer wieder mal berichtet). Was die Nutzer nicht wussten: Das FBI konnte jede Nachricht mitlesen. Eine perfekte Falle, die sich wie ein Spionagethriller liest!
Die Entscheidung des LG Memmingen
Das Landgericht Memmingen traf am 21. August 2023 eine bahnbrechende Entscheidung (1 KLs 401 Js 10121/22). Ein Angeklagter, beschuldigt des Handels mit Betäubungsmitteln, basierend auf ANOM-Chatverläufen, wurde freigesprochen. Warum? Die Beweise galten als unverwertbar.
Warum sind ANOM-Chats unverwertbar?
Das LG Memmingen stellte fest, dass die Erkenntnisse aus ANOM nicht verwertbar sind, weil die Überprüfbarkeit fehlt. Dies führt zu einem Beweisverwertungsverbot. Die Identität des Drittlands, das die ANOM-Daten sammelte, und die dortigen Gerichtsbeschlüsse blieben geheim. Ohne diese Informationen konnten die erhobenen Daten nicht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Hier zieht man dann auch zutreffend den Vergleich zu Encrochat:
Zwar hat der BGH am 08.02.2022 in Bezug auf den Krypto-Messengerdienst „EncroChat“ entschieden, dass die durch die französischen Ermittlungsbehörden gewonnenen Erkenntnisse aus der Telokommunikationsüberwachung mittels „EncroChat“ im Ergebnis verwertbar sind (Beschluss vom 08.02.2022, 6 StR 639/21).
Die in der Rechtsprechung zu den „EncroChat“-Fällen vertretene Ansicht, dass kein „Befugnis-Shopping“ im Sinne einer planmäßigen Umgehung eigener nationaler Vorschriften durch den Bezug von Beweisen aus dem Ausland vorliege, kann nach Ansicht der Kammer jedoch nicht für den vorliegenden Fall übernommen werden.
Denn bei den „EncroChat“-Fällen steht fest, dass sich der die Daten liefernde Server in Frankreich befand und dass durch das örtlich und sachlich zuständige französische (Ermittlungs-)Gericht die erforderlichen Beschlüsse zur Datenerhebung erlassen worden waren.
So konnten die nationalen Gerichte die ihnen bereitgestellten französischen Beschlüsse auf eine eventuelle Verletzung völkerrechtlich verbindlicher und dem Individualrechtsgüterschutz dienender Garantien wie etwa Art. 3 oder Art. 6 EMRK, oder auf einen eventuellen Verstoß gegen die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze im Sinne des „ordre public“ hin überprüfen. Hingegen scheitert in den „ANOM“-Verfahren eine solche Überprüfung daran, dass durch das FBI oder das amerikanische Justizministerium nicht einmal das den Server beherbergende „Drittland“ genannt wird geschweige denn die dort ergangenen gerichtlichen Beschlüsse zur Datenerhebung zur Verfügung gestellt werden. Die gerichtlichen Beschlüsse des Drittlands sind damit bislang nur vom „Hörensagen“ bekannt.
Mit diesen Umstand haben sich die o.g. Entscheidungen der Oberlandesgerichte ersichtlich nicht befasst. Angesichts der zeitlich frühen Befassung der Oberlandesgerichte mit dem „ANOM“-Komplex kann diesen auch kaum der im hiesigen Verfahren erlangte Kenntnisstand vorgelegen haben, zumal zeitlich später erfolgte Rechtshilfemaßnahmen der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt a.M. und wesentliche erst Anfang 2023 erlangte Erkenntnisse von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt a.M. zurückgehalten und erst im Laufe der Hauptverhandlung im Verfahren 1 KLs 401 Js 22809/21, welches von der ersten Kammer des Landgerichts Memmingen parallel verhandelt wurde, zur Verfügung gestellt worden sind.
ANOMs Einzigartigkeit und Rechtsdilemma
Die Besonderheit von ANOM liegt in seiner Entstehungsgeschichte. Ein von den US-Behörden entwickeltes und verdeckt betriebenes System, das zur Fallenstellung für Kriminelle gedacht war. Dies führte zu einem Rechtsdilemma: Wie behandelt man Beweise, die aus einer solch verschleierten Quelle stammen und deren rechtliche Grundlage im Dunkeln liegt? Schön war dabei auch die Klarstellung des Gerichts, dass eben nicht jeder Nutzer gleich unter Generalverdacht steht:
Letztlich ist die Kammer auch nicht davon überzeugt, dass gegen jeden Erwerber bzw. Nutzer eines „ANOM“-Kryptohandys ein Anfangsverdacht der Begehung von Straftaten besteht. Vielmehr handelt es sich bei der von den Ermittlungsbehörden aufgestellten These, dass jeder Erwerber bzw. Nutzer dem kriminellen Milieu zuzuordnen ist und ausschließlich strafbare Inhalte auf den Kryptohandys generiert werden, um einen pauschalisierten Generalverdacht.
Im Ergebnis läuft diese auf einem Generalverdacht beruhende, vollumfassende Überwachung aller Aktivitäten der „ANOM“-Nutzer auf eine anlasslose Massenüberwachung und damit eine im Kern geheimdienstliche Maßnahme hinaus. So erlangte Informationen können nicht zur Verwertung im Strafverfahren umgewidmet werden, da eine solche Maßnahme nach der StPO nicht zulässig ist und auch mit grundgesetzlichen Wertungen nicht in Einklang zu bringen ist (vgl. BVerfG, NJW 2002, 2235, 2256).
Hinweis: Zum Thema Kryptomessaging und Beweisverwertungsverbot findet sich von RA JF in der Literatur eine Darstellung bei §174 TKG Rn. 4, 35 im BeckOK-StPO (Beweisverwertungsverbot und EUGH-Rechtsprechung) sowie in jurisPR-StrafR 11/2023 Anm. 4 (LG Darmstadt)!
Beachten Sie auch die zahlreichen Beiträge in unserem Blog zum Schlagwort „Kryptomessenger“!
Fazit
Das Urteil des LG Memmingen markiert einen Wendepunkt im Umgang mit digitalen Beweismitteln, die durch geheime staatliche Operationen erlangt wurden. Es wirft ein Licht auf die Notwendigkeit, Transparenz und Rechtmäßigkeit in der digitalen Strafverfolgung zu wahren. ANOM, ein Werkzeug des verdeckten Krieges gegen das Verbrechen, ist nun selbst im Rampenlicht eines rechtlichen Wirrwarrs.
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