Vermögensschaden bei Betrug (§263 Abs. 1 StGB)

Wann liegt ein Vermögensschaden bei und sonstigen Vermögensdelikten vor: Ein Vermögensschaden im Sinne des Betruges (§263 Abs. 1 StGB) tritt mit der Rechtsprechung ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens führt. Dies nennt der BGH das „Prinzip der Gesamtsaldierung“.

Vorab ist daran zu erinnern, dass  der Betrug kein bloßes Vergehen gegen die Wahrheit und das Vertrauen im Geschäftsverkehr ist, sondern eine Vermögensstraftat. Nicht die Täuschung an und für sich, sondern die vermögensschädigende Täuschung ist strafbar. Ein Vermögensschaden ist also Voraussetzung der Strafbarkeit.

Vermögensschaden beim Betrug

Erst einmal festzuhalten ist, dass dem Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB eine objektiv-wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrundeliegt (BGH, 1 StR 45/11 und 1 StR 359/13). Maßgeblich ist bei Austauschverhältnissen aufgrund gegenseitiger Verträge, ob der objektive Wert hinter dem Wert dessen zurückbleibt, was die aufgrund der Täuschung verfügende Person als eigene Leistung aufwendet (BGH, 2 StR 398/19).

Zeitpunkt der Vermögensbewertung

Grundlegend für die Feststellung des Vermögensschadens ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswertes unmittelbar vor und nach der Verfügung.

Eingehungsbetrug

Wurde der Geschädigte zum Abschluss eines Vertrages verleitet (Eingehungsbetrug), sind bei der für die Schadensfeststellung erforderlichen Gesamtsaldierung der Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Vertragspartner und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen. Der Getäuschte ist hier dann geschädigt, wenn sich dabei ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung (BGH, 4 StR 396/21).

Risikogeschäft

Ist der Getäuschte ein Risikogeschäft eingegangen, so stellt im Rahmen der vorzunehmenden Saldierung ein drohender, ungewisser Vermögensabfluss erst dann einen Schaden dar, wenn der wirtschaftliche Wert des Vermögens bereits gesunken ist, wenn also der Geldwert des seitens des Getäuschten erworbenen Anspruchs infolge der Verlustgefahr geringer ist als derjenige der eingegangenen Verpflichtung. Dieser Minderwert des im Synallagma Erlangten ist unter wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu bestimmen und festzustellen (BGH 4 StR 186/16 und 4 StR 396/21).

Erwirbt der Getäuschte einen (Rückzahlungs-)Anspruch gegen eine Gesellschaft, bedarf es im Rahmen der vorzunehmenden Saldierung für die wirtschaftliche Feststellung des Anspruchswertes einer Bewertung des vorhandenen Unternehmensvermögens und der zu prognostizierenden Unternehmensentwicklung, die – ggf. mit Hilfe – nach wirtschaftswissenschaftlichen Bewertungsverfahren beziffert und in den Urteilsgründen dargelegt werden müssen (BGH, 1 StR 496/20, 5 StR 510/13 und 4 StR 396/21).

Wann liegt ein Vermögensschaden vor?

Der Getäuschte ist dann geschädigt, wenn sich ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt, etwa weil der Wert des tatsächlich erworbenen Anspruchs hinter dem der täuschungsbedingt vereinbarten Forderung zurückbleibt (BGH, 4 StR 55/12, 1 StR 435/15 oder 4 StR 186/16 und 4 StR 323/17). Allerdings ist nicht alleine auf den Preis einer Sache abzustellen:

Zwar kann innerhalb bestehender und funktionierender Märkte – wie dies beim Gebrauchtwagenhandel der Fall ist – der dem Vermögensschaden zugrunde zu legende Wert des betreffenden Kraftfahrzeugs allein mittels des zwischen den Parteien vereinbarten Preises bestimmt werden. Dies gilt aber nicht ausnahmslos. Denn angesichts der objektiv-wirtschaftlichen Betrachtungsweise kommt eine an dem vereinbarten Preis orientierte Bestimmung der Höhe des Vermögensschadens in aller Regel dann nicht in Betracht, wenn im Einzelfall Umstände vorliegen, wonach – gemessen an einem von der Parteivereinbarung unabhängigen Marktwert – ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung besteht (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2016 – 1 StR 435/15, BGHSt 61, 149, 156 f. mwN; Beschluss vom 23. Oktober 2019 – 1 StR 444/19).

BGH, 5 StR 513/19

Besonderheit: Sofort in Bar zu bezahlende Forderung

Im Jahr 2020 stellte der BGH klar, dass in Fällen abredegemäß sofort in bar zu begleichender Entgeltforderungen bereits die schlichte Unfähigkeit des Schuldners, sofort zu bezahlen, bei wirtschaftlicher Betrachtung in aller Regel zu einem geminderten Wert des Anspruchs gegenüber dem täuschungsbedingt Vereinbarten führt. Denn nun kann der Gläubiger über die ihm zustehenden Geldmittel nicht sofort wirtschaftlich frei verfügen:

Die spätere Erfüllung des Entgeltanspruchs hängt von der anderweitig bestehenden oder künftig erst eintretenden Zah- lungsfähigkeit sowie der fortbestehenden Zahlungsbereitschaft des Schuldners ab. Das hieraus resultierende Ausfallsrisiko trifft den Gläubiger. Da es nach der täuschungsbedingt getroffenen Vertragsabrede gerade nicht übernommen werden sollte, ist die Übernahme dieses Risikos auch nicht in die Vereinbarung der Höhe des Entgelts miteingeflossen. Schließlich zwingt die unterbliebene sofortige Bezahlung den Gläubiger dazu, Vorkehrungen zu treffen, um eine Erfüllung der Forderung in der Zukunft möglich zu machen. Der damit verbundene Aufwand an Zeit und Kosten kann zwar schon wegen fehlender Stoffgleichheit nicht unmittelbar als Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB an- gesehen werden (vgl. Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl., § 263 Rn. 213 mwN). Die Notwendigkeit solcher Vorkehrungen hat bei wirtschaftlicher Betrachtung aber eine Minderung des wirtschaftlichen Wertes des Anspruchs gegenüber der täuschungsbedingt vereinbarten sofortigen Barzahlung zur Folge (vgl. Lackner in LK-StGB, 10. Aufl., § 263 Rn. 207; Mittelbach JR 1958, 67).

An einem wirtschaftlichen Minderwert des Entgeltanspruchs infolge der abredewidrig unterbleibenden Barzahlung kann es allenfalls dann fehlen, wenn aus der Perspektive des für die Gesamtsaldierung maßgeblichen Zeitpunkts der Vermögensverfügung die zeitnahe Erfüllung der Entgeltforderung mit Sicherheit zu erwarten steht (vgl. BGH, Urteile vom 15. Dezember 1970 – 1 StR 573/70, GA 1972, 209; vom 8. Januar 1965 – 4 StR 471/64; BayObLGSt 1957, 146). Ein solcher Fall ist nach den Ausführungen des angefochtenen Urteils indes nicht gegeben. Dass – wie das Landgericht meint – der Entgeltanspruch der Geschädigten mit Blick auf die bekannte Wohnanschrift des Angeklagten und der in einigen Tagen zu erwartenden Gehaltszahlung „durchaus durchsetzbar“ gewesen wäre, vermag das Fehlen einer Vermögensbeschädigung im Sinne

BGH, 4 StR 586/19

Und Vorsicht, der BGH stellt zugleich klar, dass alleine die Feststellung, dass der Angeklagte die Dienste der Geschädigten nicht unentgeltlich in Anspruch nehmen wollte, weder in objektiver Hinsicht der Annahme eines Vermögensschadens noch dem eines entsprechenden Betrugsvorsatzes entgegen steht.

Einzelfall: Vermögensschaden bei Gebrauchtwagenkauf

Ein Kunde, der beim Kauf eines Gebrauchtwagens über Umstände, die den Verkehrswert (Marktwert) des Fahrzeugs maßgeblich mitbestimmen, getäuscht und dadurch zum Kaufabschluss bewogen wird, erleidet einen Schaden regelmäßig nur dann, wenn das Fahrzeug objektiv den vereinbarten Preis nicht wert ist (OLG Hamm, 3 Ss 203/92; OLG Koblenz, 2 Ss 156/01). Für die Schadensbewertung ist wie oben dargestellt die objektive Sicht eines sachlichen Beurteilers maßgebend, die sich nicht an der Schadensbewertung des Getäuschten, sondern an den Marktverhältnissen zu orientieren hat.

Für einen Vermögensschaden reicht es nicht aus, dass der Käufer ohne die Täuschung durch den Verkäufer den Vertrag nicht abgeschlossen hätte. Durch den Betrugstatbestand wird lediglich das Vermögen, nicht aber die Verfügungsfreiheit geschützt:

Sind bei objektiv-abstrakter Betrachtung Leistung und Gegenleistung gleichwertig, so kann im Sinne des sog. persönlichen Schadenseinschlages ein Schaden im Sinne des Betrugstatbestandes nur vorliegen, wenn die Leistung für den Getäuschten bei objektiver Beurteilung nicht oder nicht in vollem Umfang zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck brauchbar ist und er sie auch nicht in anderer zumutbarer Weise verwenden kann (…). Dies kann dann der Fall sein, wenn der Käufer aufgrund ganz besonderer individueller Bedürfnisse auf einen Pkw mit geringer Laufleistung – etwa im Hinblick auf eine geringere Reparaturanfälligkeit oder höhere Verkehrssicherheit – erkennbar besonderen Wert legt. Dies kann die Minderwertigkeit der Gegenleistung trotz eines an sich angemessenen Marktpreises ausnahmsweise begründen (…).

Dabei muss es sich aber um ganz spezielle individuelle Bedürfnisse des Käufers handeln, die über das in der Regel bei jedem Gebrauchtwagenkäufer vorhandene allgemeine Interesse hinausgehen, im Hinblick auf die geringere Reparaturanfälligkeit einen Pkw mit möglichst geringer Laufleistung zu erwerben. Dies folgt schon daraus, dass die Gesamtfahrleistung eines Wagens im Hinblick auf den Grad der Reparaturanfälligkeit bei jedem Gebrauchtwagen ohnehin ein maßgeblich wertbestimmender Faktor für den Marktpreis des Fahrzeugs ist, so dass die durch einen höheren Kilometerstand zu erwartende höhere Reparaturanfälligkeit auch von der Interessenlage des Käufers her durch einen geringeren Marktpreis des Fahrzeugs ausgeglichen wird und umgekehrt (…).

Oberlandesgericht Hamm, 5 RVs 31/20

Schadensgleiche Vermögensgefährdung

Wichtig zu wissen ist, dass mit ständiger Rechtsprechung des BGH auch eine „schadensgleiche Vermögensgefährdung“ vorliegen kann. Diese führt zu einem Schaden alleine aufgrund des manifestierten Risikos und ist äußerst stark Einzelfallabhängig. Dabei kommt es aber entscheidend darauf an, ob im Einzelfall durch die Verfügung das Vermögen konkret gefährdet, also mit wirtschaftlichen Nachteilen ernstlich zu rechnen ist (vgl. BGH, 4 StR 622/97).

Eine Besonderheit hierbei ergibt sich, wenn es um die Erlangung von Debitkarten geht: Solche Betrugstaten sind vollendet, wenn sich die Täter die Girokarten und die Kenntnis der Geheimzahlen täuschungsbedingt verschafft haben. Der Besitz einer Bankkarte und der zugehörigen Geheimzahl ermöglicht es den Tätern mit der Rechtsprechung des BGH, jederzeit Abhebungen vorzunehmen, sodass bereits im Moment des Erlangens ein Gefährdungsschaden eintritt. Spätere Transaktionen mithilfe der Girokarten und Geheimzahlen führen dann (nur) noch zu einer Vertiefung und Verfestigung des Betrugsschadens; diese Ausführungshandlungen sind im materiell-rechtlichen Sinne Teil der Betrugstaten (vgl. BGH, Beschluss vom 11. August 2021 – 3 StR 63/21 Rn. 35 f.). Denn ein Betrug ist erst beendet, wenn der
Vermögensvorteil beim Täter endgültig eingetreten ist.

Für eine ist dann übrigens maßgeblich die Erlangung des (letzten) vom Tatplan umfassten Vermögensvorteils (vgl. BGH, Beschluss vom November 2021 – 4 StR 103/21 Rn. 6 mwN). Das abgehobene Bargeld und die erworbenen Waren erlangte der Täter daher auch bei vordergründigem Handlen von Mittätern im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB noch „durch“ die Betrugstaten (hierzu BGH, 4 StR 357/21).

Schadensersatzanspruch als Vermögensschaden

Als eigenständiger Vermögenswert kann der Schadensersatzanspruch Gegenstand einer nachfolgenden Vermögensschädigung sein. Er ist mit dem BGH bei der erforderlichen wirtschaftlichen Betrachtung Vermögensbestandteil! Eingetreten ist der Betrugsschaden in Höhe der wertmäßigen Beeinträchtigung von Regressforderung jeweils mit der täuschungsbedingten Vermögensverfügung (zu alledem: BGH, 6 StR 251/20).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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