Dass eine staatliche Mitverantwortung für Straftaten ein bestimmender Strafzumessungsgrund sein kann – jedenfalls wenn diese über die bloße kausale Mitverursachung hinausgeht – hat schon der Bundesgerichtshof (BGH, 3 StR 474/08) festgehalten. Allerdings, daran ist immer wieder zu erinnern, gibt es keinen „Anspruch auf ein frühzeitiges Einschreiten der Ermittler“ (so auch BGH; 1 StR 275/10).
Im Einzelfall aber kann – unter besonderen Umständen – eine Strafmilderung dann geboten sein, wenn ein früheres Einschreiten der Strafverfolgungsbehörden unabweisbar geboten gewesen wäre, wie das Oberlandesgericht Hamm, 5 RVs 103/22, hervorhebt:
Der Senat hält diese Rechtsprechung, die sich auf einen Fall bezog, in dem die entsprechende (Finanz-)Behörde gegen ihr bekannte Steuervergehen in einer dem dortigen Angeklagten erkennbaren Weise zunächst nicht eingeschritten ist, für übertragbar auch auf den Fall, dass gegen einen Straftäter seitens der zur Strafverfolgung berufenen Organe trotz vielfacher wiederholter Begehung von Straftaten eine kaum spürbare Sanktion verhängt wird oder gar keine Sanktionierung seiner Taten erfolgt.
Der hinter der geschilderten Rechtsprechung erkennbar stehende Gedanke, dass durch ein nicht frühzeitiges Einschreiten ein Anreiz zur Fortführung der Taten bzw. Anreiz zur Begehung neuer Taten geschaffen wird oder die Taten zumindest erleichtert werden, gilt auch hier. Wird bei einer wiederholten Begehung von Straftaten keine Sanktion (etwa bei einer auflagenlosen Einstellung nach Opportunitätsgrundsätzen) oder eine unverständlich milde Sanktion verhängt, kann bei dem Täter der Eindruck entstehen, dass seine Taten nicht nachhaltig verfolgt bzw. ihm nichts oder nichts Gravierendes passieren könne. Eine Strafmilderung unter diesem Gesichtspunkt ist freilich eine Ausnahme.
Nicht jede zu milde Ahndung einer früheren Tat oder eine Verfahrenseinstellung nach Opportunitätsgrundsätzen gebietet eine entsprechende Erörterung im Rahmen der Strafzumessung (…).
Oberlandesgericht Hamm, 5 RVs 103/22
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