Zum Tatbestand „Beschimpfung von Bekenntnissen“ am Beispiel Strafantrag wegen Titanic-Titelbild (§166 StGB)

Das Titanic-Magazin, sich selbst als „endgültiges Satiremagazin“ bezeichnend, ist für pure Provokation bekannt. Im April 2010 widmete sich das Magazin der zu diesem Zeitpunkt in breiter Öffentlichkeit thematisierten Missbrauchsfällen in katholischen Einrichtungen mit einem Titelbild, das laut Berichten zu Strafanzeigen wegen §166 StGB („Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“) führte. Es ist zu überprüfen, ob der §166 StGB hier passt.

Ich nutze die Gelegenheit, um allgemein an Hand des aktuellen Beispiels das Thema „Beschimpfung von Bekenntnissen“ juristisch darzustellen.

Update: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgelehnt, wie hier zu lesen ist.

Sachverhalt

Hinweis vorab: Ich bin mir der unfreiwilligen Komik bewusst, wenn ich nun nicht direkt das Bild verlinke, sondern in eigenen Worten beschreibe – muss aber, auf Grund der möglichen Strafbarkeit, auf eine direkte Verlinkung verzichten. Dabei muss man sich des Problems bewusst sein, dass bereits die mündliche Wiedergabe durch eigene Worte eine Interpretation des Geschehens beinhaltet.

Sofern von mir Interpretiert wird weise ich schon jetzt darauf hin, dass ich bewusst mit den Augen des „normalverständigen Lesers“ versucht habe auf die Zeichnung zu blicken. Meiner Meinung nach tief gehende Deutungen, die dem Leser ein überdurchschnittliches Maß an Intellekt und Bildung abverlangen – etwa die in der größeren geröteten Nase des Jesus liegende Andeutung, gleichsam die „fleischigen Ohren“ des Priesters die zudem eine personelle Andeutung sind, blieben daher außen vor.

Das Titanic-Magazin zeigte auf seinem Cover einen katholischen Priester (rückwärtig), stehend vor einem Jesus-Kreuz. Die Hände sind – da vom Körper verdeckt – nicht zu erkennen und offensichtlich an dem am Kreuz angebrachten Jesus in irgendeiner Form „in Bewegung“. Der Jesus-Figur ist ein auffallend „entspannter“ Gesichtszug bei verdrehten Augen aufgezeichnet. Hinzu kommen zwei Elemente:

  1. Auf der Kopf-Rückseite des Priesters sieht man die bekannte runde Kopfbedeckung (Zucchetto, Pileolus), allerdings in hautfarbender Färbung die auffällig an eine Penis-Spitze erinnert.
  2. Aus der bekannten Wunde an der Jesus-Figur spritzt Blut auf eine Art, die letztlich an eine Ejakulation erinnert.

§166 I StGB (Tatbestand)

Der erste Absatz lautet:

Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören […]

Dass es sich bei dem Titanic-Magazin um eine Schrift handelt – sowohl bei der Print-Ausgabe als auch bei dem im Internet gezeigten Cover – liegt unproblematisch auf der Hand.

religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis

Bezugspunkt muss nun ein religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis sein, was hier durchaus fraglich scheint, da im Zentrum kein „Bekennen“ sondern vielmehr ein Symbol als solches steht. Jedoch schützt der §166 I StGB nicht den Akt des Bekennens als solchen[2. Sch/Sch-Lenckner, §166, Rn.4; Fischer §166 Rn.4], sondern vielmehr den Inhalt des Bekenntnisses[3. Sch/Sch-Lenckner, §166, Rn.4; Fischer §166 Rn.4]. Dies ist abstrakt zu verstehen, Tatobjekt ist daher die Zusammenfassung der Werte, an die Betroffene als etwas für sie absolut gültiges und verpflichtendes glauben[4. Sch/Sch-Lenckner, §166, Rn.4; Fischer §166 Rn.4]. Dabei ist der wesentliche Bekenntnisinhalt als Tatobjekt ausreichend[5. Sch/Sch-Lenckner, §166, Rn.4]. Als solcher ist bei Christen auf jeden Fall die Figur Jesus Christus zu verstehen[6. Sch/Sch-Lenckner, §166, Rn.4]. Die Religiosität dieses Bekenntnisses äußert sich im Bezug zu einem höheren göttlichen Wesen[7. Sch/Sch-Lenckner, §166, Rn.4], was hier der Fall ist.

Beschimpfen

In der Darstellung muss ein „Beschimpfen“ vorliegen. Ein solches ist nicht schon bei jeder herabsetzenden Äußerung zu erkennen[8. BGH NStZ 2000, 643]. Vielmehr bedarf es eines besonders verletzenden Elements, das sich vor allem in zwei Konstellationen denken lässt[9. SK-StGB, §166, Rn.11; Lackner/Kühl §166 Rn.4 i.V.m §90a Rn.6; Joecks §166 Rn.4]:

  1. Besondere Rohheit der Äußerung[3. Dazu BayOLG in NJW 1998, 2542, 2544]
  2. Vorwurf schimpflichen Verhaltens entweder in der Form der Behauptung schimpflicher Tatsachen oder besonders abfälliger Werturteile

Nun wird man in der Zeichnung keine erkennen können, da sie nicht nur ein fiktives, sondern in der Realität schlicht unmögliches Ereignis darstellt. Schwieriger ist es bei der Frage, ob ein besonders abfälliges Werturteil vorliegen könnte, immerhin beinhaltet die Zeichnung zumindest die Aussage, dass ein solches Verhalten – bei Möglichkeit – vorstellbar wäre, jedenfalls in dieser Form zu den Akteuren passen würde.

Die Vertiefung dieser Frage ist jedenfalls dann entbehrlich, sofern eine besondere Rohheit in der Äußerung festgestellt werden kann. Als Anhaltspunkt kann hier die besonders verletzende Form der Äußerung dienen[10. SK-StGB §166 Rn.11]. Im vorliegenden Fall sind dazu gleich mehrere Anhaltspunkte auszumachen:

  1. Die Figur Jesus Christus, im katholischen Glauben als „besonders Erhaben“ stilisiert, wird reduziert auf einen sexuellen Zustand. Gerade mit Blick auf die – nicht zuletzt innerhalb der Institution und nicht nur des Glaubens – geübte Kritik an der „Fleischeslust“ (die zudem als Steigerung in Form der „Wollust“ auch noch eine der „7 Todsünden“ in diesem Glauben sein soll) handelt es sich um eine durchaus ebenso rohe wie verächtliche Darstellung, die speziell tiefgläubige Katholiken tief treffen muss, weit über das „normaler Kritik anhaftende“ übliche Maß hinaus.
  2. Das Kreuz, Symbol des Leidens der Figur Jesus Christus, wird in der Zeichnung zum Instrument der Wehrlosigkeit gegenüber der sexuellen Handlung. Es ist gerade die Kreuzigung als Glaubens-Symbol, die hier zum Mittel der sexuellen Handlung und wird.

Hinweis: Spätestens an dieser Stelle wird dem Leser wohl die bildliche „ des Glaubens“ als Ausdruck entgegentreten. Dies wird an späterer Stelle, namentlich bei der Rechtswidrigkeit, in dieser Analyse noch eine Rolle spielen – keinesfalls wirkt sich diese mögliche Interpretation bei der Frage der Rohheit aus.

Im Ergebnis liegt eine ebenso brutale wie für den katholischen Betrachter schmerzhafte Darstellung vor an deren besonderen Rohheit kein Zweifel verbleibt. Die Reduzierung der höchsten Glaubenssymbole katholischen Glaubens auf ordinäre und wehrlose „Fleischeslust“ ist in dieser Form eine Rohheit, die ohne Vergleich bleibt. Ein Beschimpfen ist somit festzustellen[12. Die Literatur ist an dieser Stelle nicht einheitlich, wie man nun mit der Kunstfreiheit umgeht: Mal wird über die Kunstfreiheit schon argumentiert, dass der Begriff des Beschimpfens nicht vorliegt (so im SK-StGB), mal wird das Beschimpfen bejaht, dann aber in der Rechtswidrigkeit begrenzt (so Joecks und Kühl). Eine kurze Darstellung des Meinungsstreits mit den Folgen findet sich bei Sch/Sch-Lenckner §166 Rn.10.

Zur Frage der Kunstfreiheit an dieser Stelle: Ich folge der bei Fischer zutreffend geäußerten Ansicht (Fischer, §166, Rn.16, zustimmend Würtenberger in NJW 1982, S.610, 613), die die Kunstfreiheit im Bereich der Rechtswidrigkeit prüft: Zum einen erscheint mir dies begrifflich logischer, zum anderen wird es dabei helfen, hier den Aufsatz durch die klare Strukturierung leserlicher zu halten. Wer schon mit der Kunstfreiheit die Beschimpfung verneinen möchte, kann meine Ausführungen im Bereich der Rechtswidrigkeit an diese Stelle übertragen und dann abwägen – abgesehen von Aufbau-Fragen dürfte dies (von Fragen der Teilnahme einmal abgesehen) wenig Auswirkungen haben.

Störung des öffentlichen Friedens

Dieses Beschimpfen muss geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Mit diesem Tatbestand handelt es sich hierbei um ein potentielles nicht konkretes Gefährdungsdelikt[13. Fischer §166 Rn.14; Lackner/Kühl §166 Rn.4 i.V.m. §126 Rn.4]. Eine konkrete Gefährdung des öffentlichen Friedens ist somit nicht nötig[14. Fischer §166 Rn.14; Lackner/Kühl §166 Rn.4 i.V.m. §126 Rn.4; OLG Köln in NJW 1982, 657; OLG DDorf NJW 1986, 2518]. Es genügt vielmehr, dass Art und Inhalt der Handlung unter den Umständen ihrer Vornahme die konkrete Besorgnis rechtfertigen, der Angriff werde den Friedenszustand oder das Vertrauen in seine Fortdauer erschüttern, sei es auch nur in den Teilen der Bevölkerung die durch den Angriff bedroht erscheinen[15. Lackner/Kühl §166 Rn.4 i.V.m. §126 Rn.4]. Gefordert ist eine Prognose, die auf einen am Standort des Handelnden befindlichen verständigen Dritten abstellt, der zu dessen Verkehrskreis gehört [16. SK-StGB §166 Rn.16]. Abszustellen ist dabei auf den öffentlich, nicht nur religiösen, Frieden[17. SK-StGB §166 Rn.16].

Nun ist festzustellen, dass man schwerlich den öffentlichen Frieden in seiner Gesamtheit gefährdet sehen kann. Allerdings hatte das OLG Nürnberg dazu ausgeführt[18. OLG Nürnberg, Ws 1603/97, „Schwein am Kreuz“]: Eine Friedensstörung ist nicht erst mit dem Entstehen eines Klimas offener oder latenter Feindschaft anzunehmen, das sich jederzeit in Gewalt und Gegengewalt entladen kann, sondern schon dann, wenn Menschen nicht mehr in einer Gesellschaft leben können, ohne befürchten zu müssen, um ihres Glaubens willen diskriminiert zu werden und Schmähungen ausgesetzt zu sein, gegen die man sich letztlich nicht wehren kann. Eben dies erscheint hier, besonders für den Einzelnen, der Fall, der sich – Betroffen in der Herabsetzung seines Glaubens – kaum gegen die zahlreiche Publikation eines bekannten Magazins zur Wehr setzen können wird. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, dass die gegenseitige (auch religiöse) Toleranz als Wesenmerkmal des gesellschaftlichen Lebens betroffen ist, sei es in der Form mangelnden Respekts oder gar in der Befürchtung, dass zu weiteren intoleranten Äußerungen im Zuge zunehmender Intoleranz aufgerufen wird[19. OLG Köln in NJW 1982, S. 657].

Eben dies scheint hier durchaus der Fall zu sein, jedenfalls das bisherige Miteinander wird in einer empfindlichen, zum Nachahmen herausfordernden Art und Weise in Frage gestellt. Dabei mag auch Beachtung finden, dass das Cover frei im Internet zur Verfügung gestellt wird, also jeder Nutzer problemlos jederzeit dieses Cover z.B. auf ein T-Shirt drucken lassen kann. Dabei ist zudem die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit der Verbreitung durch weitere Verlinkung und Auseinandersetzung in Webseiten zu Berücksichtigen. Im Ergebnis ist somit eine durch das Beschimpfen geeignete Gefährdung des öffentlichen Friedens festzustellen

Anmerkung: An dieser Stelle liegt die erste von zwei wegweisenden zu treffenden Entscheidungen im Rahmen dieser Analyse – man mag die Eignung zur Friedensgefährdung auch durchaus anders bewerten. Dabei ist aber m.E. zu Berücksichtigen, dass in der Rechtsprechung keine Tendenz zu besonderer Zurückhaltung festzustellen ist.

Subjektiver Tatbestand (Vorsatz)

Im Bereich des subjektiven Tatbestandes, beim Vorsatz, genügt bedingter Vorsatz der sowohl hinsichtlich der Tathandlung als auch der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens vorliegen muss[22. Fischer §166 Rn. 15; Lackner/Kühl, §166, Rn.6; SK-StGB §166 Rn.19].

Hinweis für Laien: „bedingter Vorsatz“ (dolus eventualis) liegt vor, wenn die Möglichkeit der Verwirklichung erkannt wird und der Täter sich damit abfindet. Kurzformel: Man sagt sich „na wenn schon“.

Beides finde ich fragwürdig zu bejahen: Zwar setzt eine satirische Darstellung geradezu voraus, dass der Verfasser (zumindest mit Augenzwinkern) etwas spöttisch betrachtet, doch kann damit keinesfalls zwingend auf einen dolus eventualis bei einer Beschimpfung geschlossen werden. Selbst wer dies, wie auch immer, unterstellt muss dann feststellen, dass Verfasser/Verbreiter der Zeichnung zudem mit dolus eventualis hinsichtlich der Gefährdung des öffentlichen Friedens gehandelt haben. Hier habe ich erhebliche Zweifel, ob man den Mitarbeitern des Titanic-Magazins nachweisen kann (und will), dass diese zur Intoleranz gegenüber der katholischen Religion aufrufen wollten. Dass eine kritische auch öffentliche Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche angezielt war, liegt auf der Hand – und ist Sinn einer jeden Satire[21. Dazu auch sehr eingängig OLG Dresden, 4 U 127/10, „Bildnis nackte Oberbürgermeisterin“]. Doch ist gerade in einer freiheitlichen Demokratie die öffentliche (auch hitzige) Auseinandersetzung keine Gefährdung des öffentlichen Friedens, sondern vielmehr Grundvoraussetzung für dessen Bestand. Ich habe erhebliche Zweifel, ob an dieser Stelle eine Bejahung des – wenn auch nur bedingt notwendigen – Vorsatzes überhaupt möglich sein wird. Wer dies bejahen will, wird jedenfalls einige Anstrengungen aufbringen müssen. Die Analyse wird an dieser Stelle indes weiter geführt, um die restlichen Fragen noch anzugehen.

§166 II StGB

Der objektive Tatbestand des zweiten Absatzes unterscheidet sich in erster Linie in den Tatobjekten. Hier steht nicht das Bekenntnis, sondern die Einrichtung an erster Stelle. Dazu gehört bereits nicht nur die Kirche samt Ihren Symbolen (wie die Christus-Figur) sondern auch Gebräuche samt Christusverehrung[23. Lackner/Kühl §166 Rn-3]. Man wird hier zum gleichen Ergebnis kommen wie im ersten Absatz.

Rechtswidrigkeit

Auf den ersten Blick liegt die Annahme nahe, den §193 StGB („Wahrnehmung berechtigter Interessen“) als Rechtfertigungsgrund im Rahmen des §166 StGB heran zu ziehen. Allerdings schützt der §166 StGB gerade nicht die Ehre einzelner Einrichtungen bzw. das Empfinden Betroffener, sondern den öffentlichen Frieden[24. Lackner/Kühl §166 Rn.1]. Auch wenn die Nähe zu den Beleidigungsdelikten unverkennbar ist, wird man mit der h.M. wohl eine unmittelbare Anwendung des §193 StGB ablehnen müssen. Zu Beachten ist aber, dass die hier Betroffene[25. Ich verzichte an der Stelle darauf, die akademische Diskussion des Kunst-Begriffes zu führen. Letztlich steht fest, dass die Zeichnung des Titanic-Magazins unproblematisch unter die Kunstfreiheit zu subsumieren ist.] Kunstfreiheit in Art. 5 III GG ein Verfassungsgut ist, dass dann im Rahmen der Rechtswidrigkeit entsprechend zu beachten ist[26. Fischer, §166, Rn.16; Lackner/Kühl §166 Rn4 – Passend dazu verweisen die meisten Kommentare dann auf die Kommentierung des §193 StGB die zwar nicht unmittelbar, aber eben „entsprechend“ zu berücksichtigen ist.]. Doch muss bedacht werden, dass neben dem Verfassungsgut der Kunstfreiheit auch der öffentliche Frieden ein Gut von Verfassungsrang ist, das der Kunstfreiheit nicht nachgestellt ist[27. Lackner/Kühl §166 Rn.4 a.E.; Ebenso BVerwG, 1 B 60/97, das auch die Nähe zum Art. 4 GG betont, wohl ohne weitere Folgen für diese Diskussion.].

Es ist somit eine Abwägung vorzunehmen, eine Wertabwägung[28. Fischer, §166, Rn.16], zwischen der einerseits betroffenen Kunstfreiheit des Titanic-Magazins, andererseits dem Rechtsgut des öffentlichen Friedens.

Eine Untergrenze kann man jedenfalls dort ausmachen, wo auf Grund der Plumpheit des Ganzen ein satirischer Charakter nicht mehr auszumachen ist[29. Sch/Sch-Lenckner §166 StGB]. Dies erscheint bei der gegebenen Grafik durchaus problematisch: In der Aufmachung als solcher ist schon eine erhebliche künstlerische Fähigkeit zu erkennen, die gewisse Fertig- und Fähigkeiten voraussetzt. Um der Grafik eine Aussage zu geben, muss sich für eine von mehreren zumindest möglichen Interpretationsmöglichkeiten entschließen, wobei je nach Bildungsstand und Intellekt des Lesers durchaus verschiedene Interpretationen möglich sind: Von der sexuellen Befriedigung der sich am Kreuz befindlichen Jesus-Figur bis hin zur (von diesem befriedigt hingenommenen) Veränderung der Einkleidung im unteren Körperbereich durch einen bekannten Kardinal. Die Wertung was davon nun naheliegend ist, verbietet sich, da Kunst ja gerade von der Vielschichtigkeit der Interpretationsmöglichkeiten lebt. Mit einer vermuteten Plumpheit wird man mithin keinesfalls den Anwendungsbereich des Art. 5 III GG in diesem Fall verneinen können.

Bei der Abwägung der beiden widerstreitenden Verfassungsgüter ist, wie so oft, der Blick auf das allgemeine Interesse zu richten[30. Dies auch in, wie von der Literatur vorgeschlagen, entsprechender Lesart des §193 StGB: Es bedarf eines berechtigten Interesses, ausgeübt von einem befugten Wahrnehmer in angemessener Art und Weise. Sehr eingängig dazu Joecks zu §193 Rn.8-11]: In einer pluralistischen Wertegesellschaft gibt es ein allgemeines überragendes Interesse der Menschen, im Bereich privatester Lebensführung (wozu auch religiöse Bekenntnisse gehören) toleriert und ohne Schmähungen zu leben. Nun ist zu fragen, wo das allgemeine (öffentliche) Interesse des Titanic-Magazins im Bereich der satirischen Darstellung liegt.

Dabei ist zunächst der Umstand zu Berücksichtigen, unter dem die Zeichnung veröffentlicht wurde: Keineswegs „aus dem Nichts“ hat man diese Zeichnung publiziert, sondern vielmehr unter dem Eindruck zahlreicher Berichte über Verdachtsfälle von Missbrauch in katholischen Einrichtungen. Das Titanic-Magazin, das sich gerne aktuellen Geschehnissen kritisch widmet, zielt dabei regelmäßig auf das Anstoßen öffentlicher Diskussionen an. Eben diese Funktion ist bei Presseerzeugnissen auch mit der Grund für den Schutz der in ihrer wichtigen Funktion für Meinungsbildung und Demokratie[31. Spätestens an dieser Stelle ist dem Leser hoffentlich klar, dass meine konzentrierte Betrachtung der Kunstfreiheit eine starke Vereinfachung ist: Vielmehr muss man das Zusammenspiel aus Meinungsäußerungsfreiheit, Pressefreiheit und Kunstfreiheit betrachten. Um hier nicht den Rahmen zu sprengen, bleibe ich beim Art. 5 III GG als Rechtfertigungsschranke – Juristen entschuldigen mir diese Ungenauigkeit hoffentlich.]. Es liegt auf der Hand, dass die Zeichnung zwar der Provokation, aber keinesfalls der simplen kurzweiligen Unterhaltung der Leserschaft dienen will. Das Ziel ist vielmehr die Auseinandersetzung mit – zumindest vermuteten und schon in der Presse angesprochenen – Missständen in katholischen Einrichtungen, ggfs. des Verhältnisses der katholischen Kirche zur Sexualität insgesamt.

Dabei ist zu Berücksichtigen, dass es der Satire immanent ist, dass Personen, Anschauungen, Ereignisse oder Zustände lächerlich gemacht werden[24. Epping/Hillgruber Art.5 Rn.156.2; Würtenberger in NJW 1982, S.610, 611; OLG Dresden – 4 U 127/10]. Alleine dass eine kritische Auseinandersetzung die Grenze der Lächerlichkeit überschreitet, kann insofern kein Maßstab der Bewertung sein, würde man sonst die Satire als probates Mittel der kritischen Würdigung ganz unterbinden. Ebenfalls geht die Satire Hand in Hand mit einem gewissen schockartigen Effekt, sie lässt „aufheulen“[24. Würtenberger in NJW 1982, S.610, 611; OLG Dresden – 4 U 127/10] – auch dies als Wesensmerkmal kann also nicht unmittelbar als Vorwurf dienen.

Festzustellen ist weiterhin, dass es in einer freien Gesellschaft auch keinen absoluten Schutz für bestimmte Interessensgruppen geben darf – niemand darf der kritischen Auseinandersetzung schlechthin entzogen sein. Speziell wenn Missstände auftreten, ist die (kritische) öffentliche Auseinandersetzung ein wichtiges und unentbehrliches Mittel, auf das nicht schlechthin verzichtet werden kann.

Auf Grund der erheblichen öffentlichen Beachtung und auch gesellschaftlichen Bedeutung der angesprochenen Thematik ist ein allgemeines öffentliches Interesse an der Auseinandersetzung damit durchaus zu bejahen. Wie soeben festgestellt muss dabei das Mittel der Satire, auch gegenüber der katholischen Kirche, in der Anwendung möglich sein. Schon begrifflich ist aber dabei bedingt, dass es sich auch um eine Auseinandersetzung in der Sache handelt, ein simples reduzieren einer kurzweiligen Grafik auf die Aussage „Sex“ und „Kirche“ dürfte dem nicht genügen. Ob dies hier aber vorliegt ist schon zweifelhaft.

So steht im Vordergrund die Diskussion um sexuellen Missbrauch und Fälle körperlicher Misshandlung in katholischen Einrichtungen. Der Blick auf die Titanic-Darstellung zeigt dabei in erster Linie eine sexuelle Handlung an der wichtigsten Glaubensfigur der Kirche, was den konkreten Bezug zu den betroffenen Einrichtungen – in erster Linie wohl Schulen und Heime – fragwürdig erscheinen lässt. Doch muss dabei gesehen werden, dass die öffentliche Diskussion sich keineswegs um die Feststellung von Missständen alleine dreht: Vielmehr wird, typisch bei solchen Diskussionen, auch die Frage nach inneren wie äußeren Zusammenhängen gesucht. Insbesondere das Zöllibat wird vielfach hinterfragt und als Ursache mal angesprochen, mal ausgeschlossen. An dieser Stelle wird deutlich, dass sowohl die Diskussion in der Sache, als auch die zielgerichtete Kritik, verschiedene Einstiegspunkte bietet.

Dabei ist es durchaus nicht abwegig, die Grafik so zu verstehen, dass Kritik an der Art geübt wird, wie die Kirche als Institution mit ihrer Art des Umgangs mit Sexualität den Glauben auf eine – aus Sicht der Darsteller – fragwürdige Art auslegt. Die zumindest deftige Art der Darstellung passt vor diesem Hintergrund durchaus noch in den Rahmen dessen, was als Satire möglich ist. Auch die Reduzierung auf die sexuelle Frage ist hier stimmig, nimmt man in der allgemeinen Presse zur Zeit die Kirche doch vor allem im Zusammenhang mit den Missbrauchs-Vorwürfen war, was in der öffentlichen Wahrnehmung durchaus als Reduzierung auf sexuelle Inhalte verstanden werden kann.

In der Gesamtschau wird man an dieser Stelle somit durchaus ein berechtigtes Interesse – nämlich die öffentliche Auseinandersetzung – feststellen können. Ein „Satire Magazin“, dass sich der öffentlichen Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen gewidmet hat ist auch durchaus befugt, dieses Interesse wahr zu nehmen. Die Geeignetheit der Zeichnung zur Schaffung einer breiten Öffentlichen Diskussion liegt nicht nur auf der Hand, sondern zeigt sich bereits in vollem Umfang, etwa mit Blick in die Tagespresse.

Sicherlich für Diskussionen wird weiterhin die Frage der Angemessenheit sorgen. Hier ist nochmals daran zu erinnern, dass man beachten muss, die Satire nicht schlechthin zu verbieten, weder allgemein, noch konkret gegenüber dem hier Betroffenen, der katholischen Kirche. Auch geht die Satire nun einmal mit der die Wirklichkeit verzerrenden und der Lächerlichkeit preisgebenden Wirkung einher (sonst wäre es begrifflich keine Satire). Da es hier bei der Kunstfreiheit um ein grundsätzlich schrankenlos gewährleistetes Grundrecht geht, muss man mit Grenzziehungen in der Form sehr vorsichtig sein[33. So auch Würtenberger in NJW 1982, S.610, 615]. Jedenfalls die Plumpheit als Untergrenze ist ein guter Ansatz, der hier keinesfalls erfüllt ist. Darüber hinausgehend ist die Gefahr zu sehen, dass man die Grenze zur inhaltlichen Bewertung einer Grafik überschreitet, die nicht Sinn des Strafrechts ist[34. Würtenberger in NJW 1982, S.610, 615 verweist zu Recht auf die fundamentalen Wertbereiche die verletzte werden müssen. Ansonsten ist nochmals mit Nachdruck daran zu erinnern, dass es keine „verbotene“ oder „erlaubte“ Kunst geben kann. Der schrankenlose Schutzbereich des Art. 5 III GG ist insofern stark von der Begrifflichkeit „entarteter Kunst“ der Nationalsozialisten gekennzeichnet.].

Ergebnis

Im Ergebnis tendiere ich daher an dieser Stelle zu dem Ergebnis, eine Strafbarkeit nach §166 StGB abzulehnen. Dabei ist der vorliegende Fall eindeutig von der „Schwein-am-Kreuz“-Thematik[35. OLG Nürnberg, Ws 1603/97, „Schwein am Kreuz“] zu unterscheiden, in der kommerzielle Interessen eines Händlers ohne Bezug zum Tagesaktuellen Geschehen im Vordergrund standen, während hier die Presse sich einem aktuellen öffentlichen Thema und dem Bedarf kritischer Diskussion widmet.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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