Verfassungsbeschwerde wegen Hausdurchsuchung bei Linksetzung auf Wikileaks nicht angenommen

Vor wenigen Tagen wurde – nur minimal Beachtet – bekannt, dass das am 18.3.2010 die eingereichte Beschwerde in Sachen „ bei Wikileaks-Link“ nicht zur Entscheidung angenommen hat. Diese Entscheidung des BVerfG ist gleich in zweifacher Hinsicht fatal:

  1. Dieser Fall ist nie wirklich in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen worden. Vielmehr wird der hier vorliegende Fall mit einem anderen („Hausdurchsuchung bei Wikileaks-Domain-Inhaber“) verwechselt. Es wird sogleich gezeigt, dass dies ein gravierender Fehler ist, geht es doch um die Frage, ob ein einfacher Link schon für eine Hausdurchsuchung reichen kann.
  2. Ohne Begründung hat das BVerfG den Fall abgewiesen, dabei geht es hier um ein fundamentales und ständiger Rechtsprechung folgendes Kernthema des BVerfG.

Sachverhalt

Die Sache vor dem BVerfG hatte das Aktenzeichen 1 BvR 931/09. Der Sachverhalt stellte sich wie folgt dar: Der Betroffene hatte auf seiner Webseite W1 einen Link zur Webseite W2 gesetzt. Auf W2 wurde die so genannte (und bisher geheimgehaltene) „Dänische Zensurliste“ besprochen, die kurze Zeit vorher über die Webseite Wikileaks veröffentlich worden war. Auf dieser Linkliste fanden sich mehrere Tausend Links zu Webseiten, auf denen kinderpornographisches Material vorhanden sein sollte. Der Sinn der amtlich erstellten Liste war der Versuch, in Dänemark den Zugriff auf diese Webseiten zu unterbinden. Bei dem Betroffenen Webmaster der Webseite W1 (nicht W2!) wurde eine Hausdurchsuchung durchgeführt, dazu das erstinstanzliche Amtsgericht:

Da davon auszugehen ist, dass sich der Beschuldigte vor Verlinkung des Artikels dessen Informationsgehalt zu Eigen gemacht hat, ist ebenso wahrscheinlich, dass er sichdurch diesen Vorgang die Informationen der Internetseite und somit auch kinderpornographisches Material zumindest im Cache seines Computers gespeichert hat.

Mit dieser Begründung wurde sodann eine Hausdurchsuchung angeordnet. Im folgenden Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht wurde dies bestätigt und weiterhin darauf abgestellt, dass der Betroffene das kinderpornographische Material zugänglich gemacht habe – also verbreitet habe – weil er, wenn auch nur mittelbar, darauf verlinkt hat. Das Gericht hierzu:

Im vorliegenden Fall war im Hinblick auf die Frage der Beihilfehandlung zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte als Homepagebetreiber nicht nur einen einfachen Link gesetzt hat, sondern gezielt den Weg zu den Zielseiten mit missbilligtem Inhalt mittels sog. Sprungmarken von seiner Seite aus gewiesen hat. Er hat als Anbieter damit bewusst und gezielt den Nutzer mit seinem Ausgangslink auf dem technisch kürzesten Weg zu den inkriminierten Zielseiten navigiert.

Die Brisanz liegt auf der Hand: Es gab keinen unmittelbaren, sondern wenn, dann nur einen mittelbaren Link zu Wikileaks. Dennoch, alleine auf Grund der thematischen Auseinandersetzung mit dem Artikel, wurde vermutet, dass der Betroffene sich auch das Material angesehen und durch die Speicherung in seinem Cache Besitz verschafft hat. Hierbei gibt es nun drei Probleme:

  1. Wenn schon das Besprechen eines fremden Artikels dazu führt, dass man sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen muss, das dort besprochene Material auch selbst zu besitzen, wird es schwierig überhaupt noch im Internet Meinungen und Stellungnahmen zu äußern.
  2. In den Ausführungen des Landgerichts wird scheinbar der Vorwurf platziert, dass der Betroffene nicht einfach nur verlinkt hat, sondern einen qualifizierten, besonders verwerflichen, Link gesetzt hat. Es scheint also eine Unterscheidung je nach Linktechnik zu geben.
  3. Die Konstruktion der Vermutung des Besitzes ist höchst fragwürdig – dabei muss die Vorgabe des BVerfG, dass „vage Vermutungen“ nicht für einen ausreichen, im Hinterkopf behalten werden.

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Die mit Abstand größten Probleme bereitet mir dabei oben der Punkt 3: Das BVerfG hat mehrfach deutlich festgestellt, dass keinesfalls eine vage Vermutung Grundlage für einen schwerwiegenden Eingriff sein darf[1. Zuletzt nur BVerfG 2 BvR 728/05 in NStZ-RR 2006, S.110ff.]. Die hier im Raum stehende publizierte „Liste“ war dabei keineswegs ein Kuriosum: Sie wurde u.a. auf Heise.de, Golem.de und Netzpolitik.org besprochen – dabei von einer stattlichen Anzahl von Webseiten verlinkt. Im Ergebnis ist allerdings nur eine Hausdurchsuchung bekannt geworden, was sicherlich auch die Frage nach einer gewissen Willkür eröffnet, hier aber nicht vertieft wird.

Der Kern der Frage ist aber, warum im vorliegenden Sachverhalt mehr als nur eine vage Vermutung vorliegen sollte: Keineswegs muss man sich zur thematischen Auseinandersetzung mit einem Inhalt nur mit Primärquellen beschäftigen. Es ist nicht nur naheliegend, sondern Lebenswirklichkeit, dass oft und viel über Inhalte gesprochen und geschrieben wird, wobei sich die betreffenden Personen alleine aus Sekundär- und gar Tertiärquellen bedienen. Das BVerfG verlangt ausdrücklich mehr als nur vage Vermutungen um einen Eingriff im Rahmen des Art. 13 II GG durchzusetzen – es bleibt fraglich, wo angesichts des vorliegenden Sachverhalts noch eine Grenze zu ziehen ist.

Bis heute geben mir die Ausführungen des Landgerichts oben unter Punkt 2 Rätsel auf, da ich nicht verstehe, was damit gemeint ist – wird hier dem Betroffenen etwa vorgeworfen, dass er nicht nur einen Link gesetzt hat, sondern sich evt. so genannter Anker im Zieltext bedient hat? Das Landgericht eröffnet hier die Möglichkeit eine Abstufung von Links, etwa in der Art: Link auf eine Domain gesetzt, Link auf eine spezielle Unter-Seite einer Domain gesetzt, Link auf einen Anker innerhalb einer Unterseite einer Domain gesetzt.

Ob diese Kategorisierung bei der Frage, ob man sich Inhalte zu Eigen macht, sinnvoll ist, möchte ich bezweifeln: Schon bei Zitaten ist es unstreitig, dass man sich durch die Zitierung eines Textes diesen nicht automatisch zu Eigen macht. Erst das konkrete Erscheinungsbild, speziell die Frage, ob man das Zitat wie eine eigene Äußerung erscheinen lässt, ist hier letztlich Ausschlaggebend. Wenn aber schon das wörtliche Zitat einer Passage nicht automatisch das Zueigen-machen darstellt, wie kann dann der zielgenaue Verweis mittels eines Ankers auf eine externe Textpassage dies pauschal Erfüllen? Auch an dieser Stelle, speziell mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot und die Wortgrenze (Wie macht man sich zueigen, was ganz bewusst nur referenziert wird?) wäre eine Klärung des BVerfG geboten gewesen – zumal das „Zueigen-Machen“ bis heute heftigst umstritten ist.

Die meisten Laien wird sicherlich Punkt 1 verunsichern und stören: Wer Angst vor einer Hausdurchsuchung hat, nur weil er einen externen Inhalt bespricht, der wird im Zweifelsfall gar nicht mehr darüber schreiben. Gerade das BVerfG, das die Meinungsäußerungsfreiheit neben der Demonstrationsfreiheit als elementares Grundrecht zur Sicherung und Wahrung der Demokratie hervor hebt, hätte hier klärende Worte sprechen müssen.

Die Tatsache, dass es wohl nur eine Hausdurchsuchung gegeben hat, muss dabei kritisch gesehen werden und darf nicht als Sicherheit falsch verstanden werden. Man muss sich die Frage stellen, wann und in Abhängigkeit welcher Kriterien nun ein Link riskant ist und wann nicht. Das empfindliche Zusammenspiel aus Bestimmtheitsgebot, Willkürverbot und konkretem Verdachtsmoment bedurfte in diesem konkreten Fall, zumindest mit Blick auf die Rechte des Betroffenen, einer Analyse des BVerfG.

Es bleibt der Hinweis, dass das Landgericht als Beschwerdeinstanz seinerzeit hervorgehoben hat, dass der Betroffene im Vorfeld bereits wegen Verbreitung inkriminierter Schriften verurteilt worden war – und hat dies erschwerend berücksichtigt. Auch dies mag bei „unbescholtenen“ Webmastern und Bloggern Sicherheit hervorrufen, hinterlässt aber den faden Beigeschmack der Frage, ob man je nach Vorgeschichte nur noch eine bestimmte Art von Links setzen darf. Eine solche Gewichtung wäre freilich nicht im Sinne der Wertung des Art. 5 GG. Auch mit Blick auf diese Besonderheit im vorliegenden Fall ist es schade wenn nicht gar fragwürdig, dass das BVerfG ohne weitere Erläuterungen die Annahme des Sachverhaltes abgelehnt hat.

Im Fazit ist die Entscheidung des BVerfG bedauerlich und es bleibt die ketzerische Frage, ob die Sache heute, nachdem Wikileaks zunehmend in der Presse ist, mehr Beachtung gefunden hätte. Ich sehe allerdings keinen Anlass zur akuten Sorge von Webmastern, nun bei einem (mittelbaren) Link zu Wikileaks mit einer Hausdurchsuchung rechnen zu müssen – wohl aber sehe ich das Risiko, dass man nicht kalkulieren kann, welchem Risiko man sich nun konkret zumindest bei einem direkten Link aussetzt. Mit der zunehmenden Brisanz von Wikileaks und der zunehmenden öffentlichen Beachtung ist damit zu rechnen, dass auch in stärkerem Maße die Verbreitung kritisch gewürdigt werden wird. Solange die Rechtsprechung dazu tendiert, schon im Setzen eines Links ein Zueigen-machen zu erkennen und sogar bis zur der Verbreitung zu gehen, ist und bleibt es ein unkalkulierbares Risiko, das sich einer seriösen Bewertung entzieht. Das Bundesverfassungsgericht hätte das Risiko einschränken oder zumindest konturieren können.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht.