Das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 491/23) betont, dass die Untätigkeit des Ermittlungsrichters hinsichtlich der Versiegelung eines sichergestellten Datenträgers trotz erkennbarer Eilbedürftigkeit gegen die Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) verstößt.
Zum Sachverhalt
Am 28. September 2022 wurden die Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt. Teile des durchsuchten Objekts werden nach Angaben der Beschwerdeführerin als Redaktionsräume genutzt. Im Rahmen der Durchsuchung stellten die Beamten ein Kuvert mit einem darin befindlichen digitalen Datenträger (USB-Stick) sicher, der sich zuvor in einem Tresor befunden hatte. Diesen öffnete der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin, nachdem die Beamten ihm angedroht hatten, ihn andernfalls aufzubrechen.
Mit Schriftsätzen vom 1. November 2022 beantragte die Beschwerdeführerin in beiden Ermittlungsverfahren beim Amtsgericht den Erlass eines ermittlungsrichterlichen Beschlusses, wonach die Beschlagnahme aufzuheben und der bezeichnete Umschlag einschließlich des USB-Sticks an sie herauszugeben sei (im Folgenden „Hauptantrag“). Darüber hinaus beantragte sie die sofortige Versiegelung des Umschlags einschließlich des USB-Sticks bis zur Herausgabe an sie, jedenfalls bis zur gerichtlichen Entscheidung (im Folgenden: Eilantrag). Zur Begründung führte sie aus, die Durchsuchung der Redaktionsräume sei von den Durchsuchungsbeschlüssen nicht gedeckt. Zudem sei nicht berücksichtigt worden, dass die Daten auf dem USB-Stick dem journalistischen Quellenschutz unterlägen. Der beschlagnahmte Datenträger sei nicht einmal versiegelt worden, was unverzüglich nachzuholen sei.
Telefonische Nachfragen der Beschwerdeführerin vom 9. November 2022 blieben nach ihrem Vortrag erfolglos. Ihre schriftlichen Sachstandsanfragen vom 4. Januar 2023 in beiden Ermittlungsverfahren blieben unbeantwortet. Eine unter dem 23. Januar 2023 erhobene und mit der Untätigkeit des Ermittlungsrichters begründete Dienstaufsichtsbeschwerde wurde dahingehend beantwortet, dass diese in Bearbeitung sei.
Anspruch auf zeitnahe Bearbeitung
Die fortdauernde Untätigkeit des Ermittlungsrichters in Bezug auf den Eilantrag im Verfahren 237 Js 536/22 verletzt die Beschwerdeführerin in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.
Das Bundesverfassungsgericht weist darauf hin, dass Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG einen effektiven und möglichst lückenlosen gerichtlichen Rechtsschutz gegen Verletzungen der Individualsphäre durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt gewährleistet. Dieser Rechtsschutz darf sich nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpfen, sondern muss zu einer effektiven Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch ein mit hinreichender Entscheidungsbefugnis ausgestattetes Gericht führen. Effektiver Rechtsschutz bedeutet in diesem Zusammenhang auch Rechtsschutz in angemessener Zeit. Daraus folgt, dass der Eilrechtsschutz so weit wie möglich der Schaffung vollendeter Tatsachen vorbeugen muss, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (abschließender) gerichtlicher Überprüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können.
Klare Worte des BVerfG
Diesen Anforderungen wird der Ermittlungsrichter im Ermittlungsverfahren 237 Js 536/22 nicht gerecht. Seine Behandlung des Eilantrags der Beschwerdeführerin verletzt deren Anspruch auf effektiven Rechtsschutz.
Aus Sicht des BVerfG musste sich dem Ermittlungsrichter die Eilbedürftigkeit dieses Antrags auch deshalb aufdrängen, weil er erkennbar auf die Verhinderung vollendeter Tatsachen gerichtet war. Mit ihrem Hauptantrag auf ermittlungsrichterliche Entscheidung verfolgte die Beschwerdeführerin – wie sie auch ausdrücklich erklärte – die Aufhebung der Beschlagnahme und die Herausgabe des Umschlags einschließlich des darin befindlichen USB-Sticks. Zudem berief sie sich auf ihre besondere Stellung als Presseorgan, weshalb eine Einsichtnahme der Ermittlungsbehörden in die auf dem USB-Stick gespeicherten Daten verhindert werden solle. Vor diesem Hintergrund lag es auf der Hand, dass der Entscheidung über den Sachantrag und damit dem fachgesetzlichen Rechtsbehelf nach § 110 Abs. 4, § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO praktisch keine Bedeutung mehr zukam, sobald die Ermittlungsbehörden den USB-Stick ausgewertet hatten. Um einen solchen irreversiblen Zustand zu vermeiden, stellte die Beschwerdeführerin einen Eilantrag. Sie hatte daher einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine ihrer Dringlichkeit entsprechende Entscheidung.
Damit war es unvereinbar, die Entscheidung über den Eilantrag seit nunmehr über acht Monaten aufzuschieben.
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