Dereliktion: Diebstahl an weggeworfener EC-Karte

Zum einer EC-Karte gibt es eine besondere Entscheidung des OLG Hamm (3 RVs 103/10): Das OLG Hamm konnte feststellen, dass eine EC-Karte weder wertlos ist, noch dass man daran das Eigentum aufgibt, wenn man sie wegwirft

  1. Das Ablegen einer EC-Karte in einen sich in den Geschäftsräumen einer Bank befindenden Abfallbehälter zum Zwecke der späteren Leerung und Müllentsorgung stellt keine Dereliktion im Sinne des § 959 BGB dar. Vielmehr wird die Eigentumsaufgabe erst mit der Annahme durch den zuständigen Abfallentsorger zur Vernichtung erfolgen.
  2. Die EC-Karte (Codekarte) stellt aufgrund des funktionellen Wertes der Karte für den Täter infolge der durch sie eröffneten Möglichkeit der Geldabhebung mittels der (hier gleichfalls erlangten) PIN keine geringwertige Sache iSv. § 248 a StGB dar.

Die Wertungen überzeugen und auch wenn es überrascht, dass diese Fragen seinerzeit bis zu einem OLG vorgedrungen sind, so ist es gleichwohl hilfreich, dass hierzu OLG-Rechtsprechung existiert.

Diebstahl an weggeworfener EC-Karte

Das Besondere ist hier schon die weggeworfene EC-Karte, die ja nicht irgendwohin geworfen wurde, sondern in den Mülleimer der Bank. Wenn das OLG dann feststellt, dass sich die Karte somit noch in Gewahrsam der Bank als Eigentümerin befunden hat, wird das professionelle Juristen unter dem Stichwort „genereller Gewahrsamswille“ nicht überraschen. Schliesslich übt die Bank – als juristische Person – die tatsächliche Sachherrschaft durch die für sie tätigen Mitarbeiter aus:

Nach den Urteilsfeststellungen befand sich die Karte in einem in den Geschäftsräumen der Bank aufgestellten Abfalleimer und damit noch im Herrschaftsbereich der Bank. Für die Ausübung der Sachherrschaft ist es ausreichend, dass sich der Beherrschungswille auf die Gesamtheit der in den Geschäftsräumen befindlichen und der Bank gehörenden Gegenstände bezieht, ein ständiges Bewusstsein der Sachherrschaft an einzelnen Gegenständen aus der Sachgesamtheit ist nicht erforderlich (vgl. Fischer, a.a.O., Rdnr. 17 zu § 242 StGB m. w. N.; Schönke/Schröder, a.a.O., Rdnr. 26 zu § 242; OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 zur Warenentwendung im Selbstbedienungsladen).

OLG Hamm, 3 RVs 103/10

Wann liegt Dereliktion vor

Immer wieder muss daran erinnert werden, dass in juristischer Hinsicht so schnell eine echte Eigentumsaufgabe gar nicht in Betracht kommt:

Das Ablegen der EC-Karte nebst PIN in einen Abfallbehälter zum Zwecke der späteren Leerung und Müllentsorgung stellt keine Dereliktion im Sinne des § 959 BGB dar. Die Dereliktion ist eine einseitige nicht empfangsbedürftige Willenserklärung, weshalb es für die Auslegung auf den tatsächlichen Willen des Eigentümers ankommt (Fischer, a.a.O., Rdnr. 6 u. 7 zu § 242; Schönke/Schröder, a.a.O., Rdnr. 17 zu § 242). Verfolgt der Eigentümer etwa bestimmte Verwendungszwecke mit einer Sache, liegt keine Dereliktion vor ( MK-Oechsler, BGB, 5. Aufl. 2009, Rn. 4 zu § 959 BGB). So ist in der Rechtsprechung für an der Straße abgestelltes Sammelgut, das für eine Sammelorganisation bestimmt war, die Dereliktionsabsicht verneint worden (vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 1987, 500; OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.02.1992, Justizmitteilungsblatt NRW 1992, 191 – 192). Ebenso schließt Vernichtungsabsicht bei der Hingabe in den Müll die Dereliktionsabsicht aus (vgl. Staudinger-Gursky, a.a.O., Rn. 3 zu § 959 BGB m.w.N.).

OLG Hamm, 3 RVs 103/10

Geringwertigkeit der Karte

Durchaus spannend sind die Ausführungen dazu, warum eine EC-Karte nicht geringwertig im Sinne von § 248a StGB ist, was ja zwingend zum Erfordernis eines Strafantrags führen würde:

Bei der Beurteilung der Geringwertigkeit einer Sache kommt es nicht auf den Substanzwert, der bei der EC-Karte sehr niedrig ist, sondern auf den Verkehrswert der Sache zur Tatzeit an (vgl. Fischer, StGB, a.a.O., Rdnr. 4 zu § 248a; BGH NStZ 1981, 62; Schönke/Schröder, StGB, a.a.O., Rdnr. 7 zu § 248a m. w. N.). Der objektive Verkehrswert einer EC-Karte bzw. Code-Karte ist zwar aber nicht messbar (Schönke/Schröder, StGB, a.a.O., Rdnr. 7 zu § 248a m. w. N.; Schönke/Schröder, StGB, a.a.O., Rdnr. 7 zu § 248a m. w. N). Deshalb wird zum Teil angenommen, dass bereits aus diesem Grunde § 248a StGB auf den Diebstahl von EC-Karten, Scheckkarten oder Codekarten nicht anwendbar sei (so BGH 4 StR 224/87 v. 25.08.87, zit. bei LK-Ruß, StGB, 11.A., Rdnr.4 zu § 248a StGB). Anderer Ansicht nach (BayObLG NJW 1979, 2218; Fischer, StGB, a.a.O., Rdnr. 4 zu § 248 a m.w.N., a.A. nur Schönke/Schröder, StGB, a.a.O., Rdnr. 7 zu § 248a m. w. N.) soll die Geringfügigkeit aufgrund des funktionellen Wertes der Karte für den Angeklagten infolge der eröffneten Möglichkeit der Geldabhebung mittels der (hier gleichfalls erlangten) PIN entfallen. Der letztgenannten Auffassung schließt sich der Senat an.

OLG Hamm, 3 RVs 103/10
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht.