Die Auswirkungen der Anwesenheit Dritter bei psychiatrischen Begutachtungen: Eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm (24 U 168/16) beleuchtet eine wichtige Problematik im Rahmen gerichtlicher Beweisaufnahmen: die Auswirkungen der Anwesenheit Dritter bei psychiatrischen Begutachtungen.
Diese Entscheidung hat weitreichende Implikationen für die Praxis der Beweisführung in Gerichtsverfahren und wirft Fragen hinsichtlich der Validität und Verwertbarkeit von Expertengutachten auf. Dabei dürften sich Implikationen über das vorliegende Zivilverfahren hinaus auch für Strafverfahren ergeben.
Sachverhalt
Im vorliegenden Fall musste das Gericht die Frage klären, inwiefern die Anwesenheit von Begleitpersonen bei der Durchführung einer psychiatrischen Untersuchung die Ergebnisse des Gutachtens beeinflussen und dessen Verwertbarkeit in einem Gerichtsverfahren infrage stellen kann.
Rechtliche Analyse
Das OLG Hamm stellte fest, dass die Anwesenheit von Begleitpersonen bei psychiatrischen Begutachtungen die Aussagen der untersuchten Partei verfälschen kann. In solchen Fällen ist die Unparteilichkeit und Objektivität des Gutachtens potenziell gefährdet, was die Verwertbarkeit des Gutachtens im weiteren Verfahren infrage stellen kann:
Die Anwesenheit von Begleitpersonen bei gerichtlichen Beweisaufnahmen wird in der ZPO nicht geregelt und es besteht auch kein wissenschaftlicher Standard, der die Anwesenheit Dritter bei Begutachtungen vorsieht (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2011 – L 11 R 4243/10 – zitiert nach juris; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. November 2009 – L 2 R 516/09 B – zitiert nach juris). Ob und unter welchen Umständen ein zu untersuchender Beteiligter ein Recht auf Anwesenheit eines Dritten hat, ist nicht abschließend geklärt.
Während teilweise ein Recht auf Anwesenheit Dritter auch bei einer psychiatrischen Begutachtung uneingeschränkt bejaht wird (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 3. Februar 2015 – II-14 UF 135/14 – zitiert nach juris; vgl. auch OLG Zweibrücken, Beschluss vom 2. März 2000 – 3 W 35/00 – zitiert nach juris) bzw. ein genereller Ausschluss mit dem Grundsatz der Parteiöffentlichkeit und dem Gebot des fairen Verfahrens für unvereinbar erachtet wird (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 4. April 2019 – L 7 U 396/16 – zitiert nach juris; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. Juli 2006 – L 5 KR 39/05 – zitiert nach juris), wird teilweise ein solches Recht grundsätzlich abgelehnt (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2011 – L 11 R 4243/10 – zitiert nach juris; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. November 2009 – L 2 R 516/09 B – zitiert nach juris).
Gerade bei der Erhebung und Bewertung entsprechender psychischer Begleitumstände mag es zwar einerseits von Bedeutung sein, dass sich der Sachverständige einen möglichst unmittelbaren und ungestörten Eindruck z.B. von den Schmerzerfahrungen des Klägers und von seinem Umgang mit den Schmerzen verschaffen kann (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2011 – L 11 R 4243/10 – zitiert nach juris; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. November 2009 – L 2 R 516/09 B – zitiert nach juris).
Überdies kann bei der Begutachtung die Anwesenheit dritter Personen während der Exploration und der Untersuchung grundsätzlich kontraproduktiv sein und den Aufbau einer Beziehung zwischen Proband und Gutachter stören, wobei auch zu bedenken ist, dass bei Anwesenheit von Angehörigen die Mitteilungen des Probanden verfälscht sein können (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 22. September 2016 – L 7 R 2329/15 – zitiert nach juris).
Soweit es mithin um die Anwesenheit einer Begleitperson während einer medizinischen Begutachtung geht, handelt es sich aber gleichwohl um eine Frage, die der Sachverständige nach seinem fachlichen Ermessen zu beantworten hat; das Gericht ist regelmäßig nicht befugt, ihm insofern Weisungen im Hinblick auf die Erstellung seines Gutachtens zu erteilen (vgl. Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Juni 2013 – 2 A 11071/12 – zitiert nach juris; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2011 – L 11 R 4243/10 – zitiert nach juris).
Der Grundsatz des Anspruchs auf ein faires Verfahren verpflichtet auch den Sachverständigen zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation (vgl. BSG, Beschluss vom 09. April 2003 – B 5 RJ 140/02 B – zitiert nach juris). Deshalb entspricht ein genereller Ausschluss von Vertrauenspersonen des zu Untersuchenden, seien es der Ehepartner oder auch der Anwalt, weder dem Grundsatz der Parteiöffentlichkeit noch gar dem des fairen Verfahrens (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23. Februar 2006 – L 4 B 33/06 SB – zitiert nach juris).
Diese Feststellung des Gerichts basiert auf der Überlegung, dass die Anwesenheit Dritter die Freiheit der untersuchten Partei, offen und ehrlich zu antworten, einschränken könnte. Insbesondere in emotional aufgeladenen oder persönlich sensitiven Kontexten könnte der Einfluss Dritter dazu führen, dass die Aussagen der Partei nicht ihre tatsächlichen Empfindungen oder Erinnerungen widerspiegeln.
4. Fazit und Auswirkungen
Die Entscheidung des OLG Hamm unterstreicht die Notwendigkeit, die Rahmenbedingungen für psychiatrische Begutachtungen im gerichtlichen Kontext streng zu reglementieren. Sie betont, dass die Integrität des Verfahrens und die Glaubwürdigkeit der Beweismittel gewahrt bleiben müssen, um gerechte Urteile sicherzustellen.
Für die rechtliche Praxis bedeutet dies, dass bei der Anordnung und Durchführung psychiatrischer Untersuchungen die Anwesenheit unbeteiligter Dritter kritisch zu prüfen ist. Gerichte und Parteien sind gefordert, die Bedingungen solcher Begutachtungen so zu gestalten, dass die Authentizität und Verlässlichkeit der gewonnenen Informationen nicht kompromittiert wird.
Diese Entscheidung kann somit als richtungsweisend für ähnliche Fälle angesehen werden, in denen die Rahmenbedingungen einer Beweisaufnahme die Qualität und Verwertbarkeit der Ergebnisse beeinflussen könnten.
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