Weitreichende Reform der Geldstrafe

Das deutsche Strafrecht steht vor einer bisher unbemerkten und tiefgreifenden Reform der Bemessung der : Im Rahmen des „Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, , Auflagen und Weisungen sowie in einer Entziehungsanstalt“ hat der Rechtsausschuss des Bundestages eine Änderung vorgenommen und fügt in §40 StGB folgenden unscheinbaren Satz ein:

Nach § 40 Absatz 2 Satz 2 wird folgender Satz
eingefügt: „Es achtet dabei ferner darauf, dass dem Täter
mindestens das zum Leben unerlässliche Minimum seines Einkommens verbleibt“.

Damit hat §40 StGB zukünftig folgenden Wortlaut:

Die Höhe eines Tagessatzes bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. Dabei geht es in der Regel von dem Nettoeinkommen aus, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Es achtet dabei ferner darauf, dass dem Täter mindestens das zum Leben unerlässliche Minimum seines Einkommens verbleibt. Ein  wird auf mindestens einen und höchstens dreißigtausend Euro festgesetzt.

Das wirkt nicht aufregend, außer man kennt die gerichtliche Praxis: Empfänger von Bürgergeld werden regelmäßig, unter Außerachtlassung aller Lebensumstände, mit Tagessätzen um die 10 Euro bis sogar 15 Euro belegt. Das in sich faire System der Bemessung des Tagessatzes gerät bei diesen Menschen aber an seine Grenzen, denn wer wenig hat, kann eine auch in Relation gesetzte Geldstrafe schwerer verkraften als jemand, der eben ein hohes Einkommen hat. Oder um es plastischer auszudrücken: Der Arme muss auf Brotschreiben verzichten, der Reiche kauft halt etwas weniger Lachs, um sich seine Geldstrafe zu finanzieren.


Der Gesetzgeber schließt diese Lücke, die im Gerichtssaal seit je her ignoriert wurde, nun. Für jemanden, der am Schreibtisch Strafrecht bearbeitet, klingt das wenig aufregend, der Gesetzgeber ist sich – offenkundig – der Brisanz selber nicht bewusst, wenn ausgeführt wird:

„Mit der Einfügung des neuen Satz 3 in § 40 Absatz 2 StGB soll die obergerichtliche Rechtsprechung kodifiziert
werden, die bei Personen, deren Einkommen sich nahe am Existenzminium bewegt, insbesondere bei Empfängern
sozialer Transferleistungen, ein Abweichen vom Nettoeinkommensprinzip, das nach § 40 Absatz 2 Satz 2 StGB
nur „in der Regel“ Grundlage der Bemessung sein soll, und ein Absenken des Tagessatzes für geboten hält. Danach muss berücksichtigt werden, dass auf die Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums hin ausgestaltete Transferleistungen dem Leistungsbezieher lediglich einen sehr geringen finanziellen Spielraum lassen und
diesem das zum Leben unerlässliche Minimum durch die Geldstrafe nicht genommen werden darf“

Es werden nun einige OLG aufgeführt, wobei etwa das bevölkerungsreiche OLG Köln fehlt – nicht ohne Grund, hier werden die oben benannten Tagessätze bei Bürgergeld-Empfängern bisher durchgewinkt. Wobei man sich fragt, wie der unter Betreuung und im betreuten Wohnen angeschlossene BTM-Abhängige die erneute Schwarzfahrt bei x laufenden Ratenzahlungen überhaupt bewältigen soll. Hier kommt ein erheblicher Teil vollkommen überflüssiger (Ersatz-)Freiheitsstrafen her.


Dogmatisch ist zu bedenken, dass mit §42 StGB von Amts wegen schon jetzt Ratenzahlungen zu ermöglichen sind. Dass der Gesetzgeber nun diesen neuen Satz einfügt, obwohl es diese Ratenzahlungen bereits gibt (wobei ich schon oft gesehen habe, dass ahnungslose Richter auf die Staatsanwaltschaft verweisen, weil sie den Zwang des §42 StGB nicht kennen) zeigt, dass losgelöst von Raten das absolute Existenzminimum zu bestimmen ist. Es dürfte auch kein Zufall sein, dass der Ausschuss in der Begründung auf Tagessätze bis zu 5 Euro und sogar bis zu einem Euro Höhe verweist.

Hinzu kommt, dass – ebenfalls in der Praxis vollkommen verkannt – die Gerichte eine Amtsermittlungspflicht hinsichtlich des Einkommens der Angeklagten trifft. Alleine weil ein Angeklagter schweigt oder irgendetwas erklärt, darf nicht blind etwas angenommen oder geschätzt werden: So ist etwa an Abfragen bei Behörden hinsichtlich der Einkommensverhältnisse zu denken.

Es werden daher zahlreiche Strafrichter umdenken müssen. Dabei kommt auf die Strafgerichte sehr viel Arbeit zu: Ein forensischer Strafverteidiger sollte gut überlegen, wie sinnvoll hier Berufungen sind. Es drängt sich geradezu auf, dass dort, wo alleine Streit über die Höhe des Tagessatzes besteht, direkt Sprungrevision einzulegen ist. Im Zweifelsfall wird es nämlich an tragfähigen Feststellungen zur Einkommens- und Ausgabensituation in bisherigen Verfahren fehlen. Dabei werden die Strafverteidiger in der Pflicht stehen, für frühzeitige brauchbare OLG-Rechtsprechung zu sorgen. Die zusätzliche Arbeit mag man sich als Richter ersparen, in dem man an dem Punkt schon jetzt beginnt deutlich sorgfältiger zu arbeiten, als ich es in meinem Alltag erlebe. Und indem man sensitiver ist: Wie bisher die Ausgaben für Miete & Lebenshaltung zu ignorieren, wenn der Betroffene auf dem Niveau von Bürgergeld lebt, wird mit dieser Gesetzesergänzung de facto unmöglich gemacht.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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