Auslieferung nach Polen?

Ein heftiges Thema sind aktuell Auslieferungen nach Polen, nicht zuletzt wegen des Zustands des dortigen Justizsystems. Aber: Der generelle Zustand des polnischen Justizsystems und insbesondere die Bedenken des Verfolgten im Hinblick auf die Unabhängigkeit der zuständigen Richterinnen und Richter begründen nur im Einzelfall eein Auslieferungshindernis nach § 73 Satz 2 IRG in Verbindung mit dem Grundrecht auf ein faires Verfahren, das von Art. 47 GRCh erfasst wird und über Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG zudem auch im deutschen Verfassungsrecht verankert ist.

Zwar erkennt die deutsche Rechtsprechung an, dass tatsächlich Anhaltspunkte für systemische und allgemeine Mängel in Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz in Polen vorliegen, diese müssen aber auch den konkreten Fall betreffen bzw. sich in diesem ausgewirkt haben.(so OLG Braunschweig, 1 AR (Ausl.) 3/22; OLG Bremen, 1 Ws 169/19).

Anders, wenn es wieder einmal um eine solche Entscheidung geht, die in Abwesenheit durch ein polnisches Gericht getroffen wurde: Entsprechend § 83 Abs. 1 Nr. 3 IRG ist die im Auslieferungsverkehr mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union unzulässig, wenn der Verfolgte bei einer Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung zu der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist. Dies ist keine Seltenheit bei polnischen Entscheidungen, wobei aber der Ausnahmekatalog des § 83 Abs. 2 bis Abs. 4 IRG zu berücksichtigen ist.

Insbesondere muss geprüft werden, ob die Voraussetzungen nach § 83 Abs. 2 Nr. 1 IRG gegeben sind, wonach eine Auslieferung abweichend von § 83 Abs. 1 Nr. 3 IRG auch dann zulässig ist, wenn der Verfolgte rechtzeitig zu der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, geladen wurde oder in anderer Weise hiervon tatsächlich Kenntnis erlangte. In Polen gibt es dabei eine Besonderheit: Mit Artikel 133 §§ 1 und 2 sowie Artikel 139 § 1 der polnischen wird eine Zustellungsfiktion hergestellt. Eine solche rechtliche Fiktion der Zustellung nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates steht der nach § 83 Abs. 2 Nr. 1 IRG vorausgesetzten tatsächlichen Inkenntnissetzung des Verfolgten von dem Ort und Termin der Verhandlung nicht gleich (so OLG Brandenburg, 2 AR 17/22 unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 24. Mai 2016 – C 108/16 PPU, ABL. EU 2016, Nr. C 260; KG Berlin, Beschluss vom 10. Oktober 2018 – (4) 151 AuslA 162/18 (176/18); OLG Bremen, Beschluss vom 07. September 2018 – 1 Aus. A 31/18).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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