Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat in seinem Beschluss vom 12. März 2024 (Az. 203 StRR 73/24) wesentliche Klarstellungen zur Nothilfe zugunsten Dritter und den Grenzen der zulässigen Verteidigung getroffen. Diese Entscheidung ist besonders relevant für die strafrechtliche Beurteilung von Verteidigungshandlungen und deren Angemessenheit in konkreten Bedrohungssituationen.
Sachverhalt
Der Angeklagte hatte in einer Auseinandersetzung zugunsten eines Dritten gehandelt und dabei den späteren Geschädigten mit einem heftigen Faustschlag gegen den Kopf niedergestreckt, was zu mehreren schweren Verletzungen führte. Der Angeklagte berief sich auf Nothilfe, da er den Geschädigten als Angreifer wahrgenommen hatte und dem Dritten helfen wollte. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hatte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, was dieser mit der Revision anfocht.
Rechtliche Analyse
Nothilfe und Notwehr
Nothilfe ist gemäß § 32 StGB nichts anderes als Notwehr zugunsten eines Dritten. Eine Handlung ist durch Nothilfe gerechtfertigt, wenn sie zur sofortigen und endgültigen Abwehr eines Angriffs führt und das mildeste Abwehrmittel darstellt, das in der konkreten Situation zur Verfügung steht. Der Verteidiger muss unter mehreren gleich effektiven Mitteln dasjenige wählen, das den Angreifer am wenigsten schädigt.
Konkretisierung der Anforderungen: Das BayObLG betonte, dass die Pflicht, den Angreifer so weit zu schonen, wie dies im Rahmen einer effektiven Verteidigung möglich ist, nicht nur bei der Wahl des Mittels zu beachten ist, sondern auch bei dessen konkreter Anwendung, einschließlich Intensität und Dauer. Maßgeblich ist die konkrete Kampflage, die durch die Umstände des Angriffs und der Abwehr bestimmt wird, insbesondere durch die Stärke und Gefährlichkeit des Angreifers sowie die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen.
Anwendung im konkreten Fall
Das Gericht stellte fest, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt seines Einschreitens schonendere Mittel zur Verfügung gehabt hätte, um den drohenden Angriff abzuwehren. Eine Androhung des Einschreitens oder ein weniger heftiger Schlag wären ausreichend gewesen. Die heftigen Verletzungen des Geschädigten waren daher nicht gerechtfertigt, da der Angeklagte nicht das mildeste Mittel gewählt hatte.
Erlaubnistatbestandsirrtum: Das BayObLG verwarf zudem die Annahme eines Erlaubnistatbestandsirrtums, da keine Fehlvorstellung des Angeklagten über die rechtlichen Voraussetzungen der Nothilfe vorlag.
Gefährliche Körperverletzung und Vorsatz
Die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB wurde ebenfalls bestätigt. Das Gericht stellte fest, dass der Angeklagte die Umstände kannte, die die allgemeine Gefährlichkeit seines Handelns ausmachten, und somit vorsätzlich handelte. Trotz Alkoholisierung war er sich der Wucht und Gefährlichkeit seines Schlages bewusst, was aus einem früheren Vorfall hervorging, bei dem er einem anderen Opfer den Kiefer gebrochen hatte.
Konsequenzen für die Praxis
Notwehr und Nothilfe
Diese Entscheidung verdeutlicht die strengen Anforderungen an die Rechtfertigung von Notwehr- und Nothilfehandlungen. Verteidiger müssen sorgfältig abwägen, welche Mittel in der konkreten Situation am wenigsten schädlich sind, um eine gerechtfertigte Abwehrhandlung sicherzustellen.
Strafrechtliche Verantwortung
Die Entscheidung betont die strafrechtliche Verantwortung, selbst in Bedrohungssituationen. Verteidigungshandlungen, die über das erforderliche Maß hinausgehen, können zu einer strafrechtlichen Verurteilung führen, wenn mildere Mittel zur Verfügung gestanden hätten.
Schulung und Sensibilisierung
Für Sicherheitskräfte und Personen in Bedrohungssituationen ist es wichtig, Schulungen zur richtigen Einschätzung und Anwendung von Verteidigungsmitteln zu erhalten. Dies hilft, übermäßige Gewaltanwendung zu vermeiden und rechtliche Konsequenzen zu minimieren.
Fazit
Die Entscheidung des BayObLG bietet klare Leitlinien zur Nothilfe und betont die Bedeutung einer verhältnismäßigen und sorgfältigen Abwägung der Verteidigungsmittel. Sie stärkt den Schutz vor übermäßiger Gewaltanwendung und unterstreicht die strafrechtliche Verantwortung in Bedrohungssituationen. Für die Praxis des Strafrechts bietet das Urteil wertvolle Orientierung zur rechtlichen Beurteilung von Notwehr- und Nothilfehandlungen.
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