Ein Ransomware-Angriff, die Zahlung eines Lösegelds in Bitcoin und schließlich die Sicherstellung von Solana-Coins durch die Strafverfolgungsbehörden: Eine Entscheidung des Landgerichts Verden (2 Qs 35/25) verdeutlicht die aktuellen Herausforderungen im strafprozessualen Umgang mit Kryptowerten. Zentrale Frage war: Kann eine geschädigte Gesellschaft im Ermittlungsverfahren die Herausgabe digitaler Vermögenswerte verlangen, die durch staatliche Sicherstellungsmaßnahmen beschlagnahmt wurden? Die Antwort des Landgerichts ist ebenso klar wie restriktiv und folgt einer konsequent formalen Auslegung des geltenden Rechts.
Sachverhalt: Ein Cyberangriff und seine strafprozessualen Folgen
Die Antragstellerin, ein Unternehmen aus dem Bereich der Elektroversicherungen, wurde im März 2023 Opfer eines professionell durchgeführten Ransomware-Angriffs. Die Angreifer verschlüsselten sämtliche Datenbanken und forderten ein Lösegeld. Nach Verhandlungen bezahlte der Geschäftsführer des Unternehmens zwei Tranchen in Bitcoin – insgesamt im Wert von ca. 202.000 €. Diese Coins wurden über verschiedene Wallets transferiert, wobei ein Teil letztlich auf einer Adresse bei der Exchange-Plattform Binance landete.
Infolge weiterer Ermittlungen konnte die Staatsanwaltschaft den Inhaber dieses Wallets, einen mutmaßlichen Beschuldigten, identifizieren. Auf dessen Vermögen wurde ein Vermögensarrest erwirkt, der sich auch auf seine Ansprüche gegen die Exchange-Plattform bezog. Die Plattform transferierte schließlich Solana-Coins im entsprechenden Gegenwert an ein Behörden-Wallet. Die geschädigte Gesellschaft beantragte in der Folge mehrfach, diese Kryptowerte herauszugeben – zuletzt mit dem Argument, es handele sich (im übertragenen Sinn) um „ihre“ Bitcoins.
Juristische Analyse: Keine analoge Anwendung von § 111n StPO
Die rechtliche Würdigung durch das Landgericht Verden erfolgt entlang der klassischen dreistufigen Prüfung: Besteht ein direkter Herausgabeanspruch nach § 111n Abs. 1 StPO? Ist die Norm zumindest analog auf Kryptowerte anwendbar? Und falls nicht: Lässt sich der Anspruch auf sonstige Weise herleiten?
Zunächst stellt die Kammer klar, dass § 111n Abs. 1 StPO ausschließlich auf „bewegliche Sachen“ Anwendung findet. Kryptowährungen fallen jedoch nicht unter diesen Begriff. Sie sind keine körperlichen Gegenstände und lassen sich mangels Individualisierbarkeit und Besitzfähigkeit auch nicht als „Gegenstände“ im Sinne der Strafprozessordnung begreifen. Der Versuch, sich auf eine vermeintliche Besitzstruktur im Blockchain-System zu berufen, scheitert an der grundlegenden Differenz zwischen digitalem Guthaben und realer Sachherrschaft.
Die Frage, ob § 111n StPO zumindest analog herangezogen werden könne, verneint das Landgericht mit bemerkenswerter Deutlichkeit. Eine planwidrige Regelungslücke – Voraussetzung jeder Analogie – erkennt die Kammer nicht. Im Gegenteil: Der Gesetzgeber habe bewusst eine Regelung nur für bewegliche Sachen geschaffen. Forderungen, Daten oder sonstige digitale Vermögenswerte seien gerade nicht erfasst – nicht aus Versehen, sondern in expliziter Kenntnis ihrer Existenz. Der Gesetzeszweck, eine geordnete Verteilung im Vollstreckungsverfahren sicherzustellen, würde durch eine vorzeitige Herausgabe an einzelne Geschädigte konterkariert.
Auch eine vergleichbare Interessenlage – der zweite Pfeiler einer zulässigen Analogie – wird abgelehnt. Die Kammer verweist darauf, dass Kryptowährungen keine Sachen im Sinne des BGB sind und daher kein Besitz begründet werden kann. Eine Rückgriffsmöglichkeit auf § 111n StPO, der an das bürgerlich-rechtliche Besitzrecht anknüpft, scheidet damit aus. Selbst bei beweglichen Sachen ist die Norm nicht auf bloße Surrogate anwendbar – erst recht nicht bei digitalen Vermögenswerten.
Systematische Bedeutung
Die Entscheidung überzeugt durch ihre systematisch-dogmatische Klarheit. Sie reiht sich ein in eine zunehmend konturierte strafprozessuale Behandlung von Kryptowerten, die diese – anders als der Laienbegriff suggeriert – gerade nicht als virtuelle Entsprechung klassischer Zahlungsmittel oder beweglicher Sachen einordnet, sondern als sui generis zu behandelnde digitale Vermögenswerte.
Ebenso korrekt wie beachtlich ist die eindeutige Einordnung der Kammer, dass Kryptowerte unter den Begriff der „anderen Vermögenswerte“ gemäß § 111c Abs. 2 StPO fallen. Diese Dogmatik führt stringent zur Pfändung als Vollzugsform – und verweigert dem Betroffenen (selbst wenn geschädigt) einen Herausgabeanspruch im Ermittlungsverfahren. Dass die Strafprozessordnung dabei auf ein Regelungskonzept aus den 1970er Jahren zurückgreift, ändert an der formalen Logik der Entscheidung nichts. Das Gericht lehnt die Schaffung einer richterrechtlichen Ausnahme dezidiert ab und verweist auf die Verantwortung des Gesetzgebers.
Dass die Entscheidung auch mögliche Härten erkennt – etwa den drohenden Kursverfall der beschlagnahmten Kryptowerte – und dennoch keine Herausgabe gestattet, unterstreicht das rechtsstaatliche Verständnis des Gerichts: Eine Einzelfallgerechtigkeit im Ermittlungsverfahren würde das Prinzip einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung unterlaufen. Die bestehende Möglichkeit der Notveräußerung nach § 111p StPO wird als ausreichendes Instrument angesehen, um wirtschaftliche Verluste zu minimieren – allerdings unter dem Vorbehalt pflichtgemäßen Ermessens durch die Staatsanwaltschaft.

Juristisch sehe ich nicht, was ich hier einwenden soll: Das ist nicht nur vertretbar, sondern schlicht korrekt – es fällt mir schwer, wie ich anders Position beziehen soll. Aber es fühlt sich eben nicht richtig an – hier liegt ja auch der Unterschied zur analogen Welt: Ein gestohlenes Motorrad, das zerlegt wird, ist “weg”. Kryptowährungen dagegen sind nachvollziehbar und selbst wenn man sie splittet oder durch Krypto-Mixer schickt, bleiben Sie (wenn auch mit steigendem Aufwand) nachvollziehbar. Eine “Herausgabe” bei einer späteren Beschlagnahme wäre dem Ransomware-Opfer gegenüber schlicht fairer.
Diese Linie dürfte sich wegen der klaren gesetzlichen Lage auch in künftigen Entscheidungen fortsetzen – bis der Gesetzgeber sich möglicherweise zu einer expliziten Regelung entschließt. Bis dahin gilt: Die digitale Welt verlangtan dieser Stelle ausnahmsweise nach – von mir sonst kritisierter – analoger Dogmatik.
Schlussfolgerungen
Die Entscheidung des LG Verden steht exemplarisch für einen formalisierten, aber konsistenten Umgang mit digitalen Vermögenswerten im Strafprozessrecht. Sie stellt klar, dass das geltende Verfahrensrecht keine Herausgabe kryptographisch gespeicherter Werte im Ermittlungsverfahren erlaubt – weder unmittelbar noch im Wege der Analogie. Geschädigte müssen sich daher auf das reguläre Vollstreckungsverfahren verweisen lassen.
Inhaltlich ist nichts einzuwenden: Kryptowährungen sind keine beweglichen Sachen, sondern als sonstige Vermögensrechte einzuordnen, die lediglich schuldrechtlich gesichert sind. Besitz, Gewahrsam oder Surrogationsgedanken greifen nicht. Auch vermeintliche Lücken im Gesetz werden nicht als solche anerkannt, sondern konsequent der gesetzgeberischen Wertung unterstellt. Das Resultat mag vollkommen zu Recht im Einzelfall als hart erscheinen, es folgt jedoch einem derzeit klaren Prinzip: dem Vorrang der rechtsstaatlich geordneten Vermögenssicherung vor individueller Anspruchsdurchsetzung im Ermittlungsverfahren. Man mag allerdings überlegen, ob das zwingend so sein muss – wobei man hier auch einwenden kann, dass man so nur Anreize setzt, auf Forderungen von Ransomware-Erpressern einzugehen.
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