Strafprozess: Zum Ergänzungsrichter nach §192 GVG

Nach § 192 Abs. 2 und 3 GVG tritt ein zur hinzugezogener Ergänzungsrichter in die Beschlussfähigkeit ein, wenn ein zur Entscheidung berufener Richter an der weiteren Mitwirkung verhindert ist.

Verhinderungsfall

Die Feststellung, ob ein Verhinderungsfall vorliegt, obliegt dem Vorsitzenden. Der Vorsitzende hat bei seiner Entscheidung einen Ermessensspielraum; die Verkennung des Rechtsbegriffs der Verhinderung begründet nur bei Willkür ein Revisionsgrund. Dementsprechend steht es auch im Ermessen des Vorsitzenden, wann er die Entscheidung über das Vorliegen eines Verhinderungsfalles trifft.

Er kann die Hauptverhandlung zunächst unterbrechen und abwarten, ob sie später mit dem vorübergehend verhinderten Richter fortgesetzt werden kann, oder die Hauptverhandlung sofort unter Mitwirkung des Ergänzungsrichters fortsetzen.

Ermessensentscheidung

Bei der vom Vorsitzenden zu treffenden Ermessensentscheidung sind verschiedene, gegenläufige Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Richter während der laufenden Hauptverhandlung erkrankt und deshalb zu einem Fortsetzungstermin nicht erscheinen kann. Einerseits gebietet es der Grundsatz des gesetzlichen Richters, in solchen Fällen die Hauptverhandlung zu unterbrechen und abzuwarten, ob sie unter Mitwirkung des erkrankten Richters rechtzeitig fortgesetzt werden kann. Denn an der Urteilsfindung soll der Richter mitwirken, der nach den allgemeinen Regeln von vornherein dafür zuständig war. Auf der anderen Seite können es insbesondere die Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime als sachgerecht erscheinen lassen, die Verhinderung möglichst frühzeitig festzustellen, um die Hauptverhandlung ohne Verzögerung fortzusetzen.

Erkrankung eines Richters

Die vorstehenden Grundsätze bedürfen mit dem BGH für den Fall der Erkrankung eines Richters im Hinblick auf die Hemmungsregelung des § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO einer Einschränkung. Danach ist es im Hinblick auf den Grundsatz des gesetzlichen Richters geboten, die Feststellung des Verhinderungsfalles zurückzustellen und abzuwarten, ob die Hauptverhandlung unter Mitwirkung des erkrankten Richters fortgesetzt werden kann.

Solange die Fristen gehemmt sind, ist daher für eine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden kein Raum, und der Eintritt des Ergänzungsrichters kommt erst in Betracht, wenn der erkrankte Richter nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung auch zum ersten notwendigen Fortsetzungstermin nicht erscheinen kann. Der BGH (3 StR 544/15) hält zu diesem Fall des Eintritts des Ergänzungsrichters fest:

Kann ein zur Urteilsfindung berufener Richter wegen Krankheit nicht zu einer Hauptverhandlung erscheinen, die bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat (§ 229 Abs. 3 Satz 1 StPO), so kommt der Eintritt eines Ergänzungsrichters (§ 192 Abs. 2 GVG) grundsätzlich erst dann in Betracht, wenn der erkrankte Richter nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung zu dem ersten notwendigen Fortsetzungstermin weiterhin nicht erscheinen kann.

BGH, 3 StR 544/15

Etwas Anderes kann mit dem BGH nur ausnahmsweise etwa dann gelten, wenn schon von vornherein feststeht, dass eine Fortsetzung der Hauptverhandlung mit dem erkrankten Richter auch nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung nicht möglich sein wird, oder wenn andere vorrangige Prozessmaximen beeinträchtigt würden.

Auswirkungen der Änderung des §229 StPO?

Der BGH hat bislang (ausdrücklich) offen gelassen, ob an der oben dargestellten Rechtsprechung vor dem Hintergrund der Änderung des § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO, mit der die maximale Hemmung von sechs Wochen auf zwei Monate verlängert wurde (BT-Drucks. 19/14747, S. 32 f.), in vollem Umfang festgehalten werden kann.

Insoweit könnte mit dem schon deshalb Anlass zu einer erneuten Prüfung bestehen, weil in der Gesetzesbegründung kein Zusammenhang zwischen der Verlängerung der Hemmungsfrist und der Frage des Zeitpunkts der Feststellung der Verhinderung eines Richters oder Schöffen und der Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters oder Ergänzungsschöffen hergestellt worden ist, die Gesetzesbegründung sich vielmehr – in Kenntnis der Rechtsprechung des Senats – zu diesem Umstand nicht verhält.

Hinzu kommt, dass auch nach der damaligen Gesetzesbegründung die Verlängerung der Hemmungsfrist in § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht an die Frage des Zeitpunkts der Feststellung der Verhinderung eines Richters oder Schöffen nach § 192 Abs. 2 und 3 GVG anknüpfte (BT-Drucks. 15/1508, S. 25). Die damalige Neuregelung der Fristenhemmung durch das Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198) wurde vielmehr ausdrücklich damit begründet, einer Hemmung solcher Verfahren entgegenzuwirken, „in denen in der Regel keine Ergänzungsrichter oder -schöffen bestellt werden“; zudem sollte sichergestellt werden, „dass die in § 192 GVG vorgesehene Möglichkeit der Bestellung von Ergänzungsrichtern und -schöffen auf die gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefälle beschränkt bleibt“ (BT-Drucks. 15/1508, S. 25).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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