Untreue bei Pflichtenverstoß der Geschäftsleitung

Der (5 StR 134/15, „HSH Nordbank“) hat ausdrücklich klargestellt, dass dann, wenn die in § 93 Abs. 1 AktG normierten äußersten Grenzen des unternehmerischen Ermessens überschritten werden – und damit eine Hauptpflicht gegenüber der zu betreuenden Gesellschaft verletzt wird – eine Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten vorliegt, die (gleichsam „automatisch“) so schwer wiegt, dass sie zugleich eine Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 266 StGB begründet. Kurzum: Eine Sorgfaltspflichtverletzung der Geschäftsführung begründet regelmäßig den Anfangsverdacht einer !

Aber: Zu beachten ist, dass die Anwendung des Untreuetatbestandes auf „klare und eindeutige“ Fälle pflichtwidrigen Handelns zu beschränken ist; grobe Pflichtverletzungen können nur dann bejaht werden, wenn die Pflichtverletzung offensichtlich ist. Bei einem Verstoß gegen § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG liegt jedoch mit dem BGH stets eine „grobe“ oder „offensichtliche“ Pflichtverletzung im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung vor.

Die Vorstandsmitglieder unterliegen den gesellschaftsrechtlichen Pflichten, die in den §§ 76, 82, 93 AktG geregelt sind. Nach § 76 Abs. 1 AktG leitet der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung, wobei die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden haben (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG).

Trotz der Weisungsunabhängigkeit unterliegt das Leitungsermessen gesetzlichen Schranken. So sind gemäß § 82 Abs. 2 AktG der in der Satzung festgelegte Unternehmensgegenstand, die Geschäftsordnung sowie die Zuständigkeiten anderer Organe zu beachten. Über diese Regelungen hinaus wird dem Vorstand bei unternehmerischen Entscheidungen ein weiter wirtschaftlicher Entscheidungsspielraum eingeräumt, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist.

Werden jedoch diese in § 93 Abs. 1 AktG normierten äußersten Grenzen des unternehmerischen Ermessens überschritten und damit eine Hauptpflicht gegenüber der zu betreuenden Gesellschaft verletzt, so liegt eine Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten vor, die (gleichsam „automatisch“) so schwerwiegend ist, dass sie zugleich eine Pflichtverletzung im Sinne des § 266 StGB begründet. Angesichts des weiten unternehmerischen Entscheidungsspielraums, den § 93 Abs. 1 AktG einräumt, ist für eine gesonderte Prüfung der Pflichtverletzung als „grob“ oder „offenkundig“ kein Raum.

Ein Verstoß gegen § 93 Abs. 1 AktG liegt, wie der BGH bereits früher klargestellt hat, nur dann vor, wenn der dem Vorstand eingeräumte weite unternehmerische Ermessensspielraum überschritten wird. Zu diesem gehört neben dem bewussten Eingehen unternehmerischer Risiken grundsätzlich auch die Inkaufnahme des Risikos, bei der wirtschaftlichen Betätigung Fehlurteilen und Fehleinschätzungen zu unterliegen; denn derartige Entscheidungen sind regelmäßig aufgrund einer zukunftsbezogenen Gesamtabwägung von Chancen und Risiken zu treffen, die das Risiko erst nachträglich erkennbarer Fehleinschätzungen in sich birgt.

Eine Pflichtverletzung im Sinne des § 93 Abs. 1 AktG liegt mit dem BGH vor, wenn die Grenzen verantwortungsbewussten, ausschließlich am Unternehmenswohl orientierten und auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhenden unternehmerischen Handelns überschritten werden, die Bereitschaft zur Übernahme unternehmerischer Risiken in unverantwortlicher Weise überspannt wird oder das Verhalten des Vorstands aus sonstigen Gründen als pflichtwidrig anzusehen ist. Diese inzwischen als sog. Business Judgement Rule in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifizierten Grundsätze sind auch Maßstab für das Vorliegen einer Pflichtverletzung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB.


Hinweis: Allein aus der Verletzung einer Informationspflicht folgt nicht ohne weiteres auch eine Pflichtverletzung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, wie der BGH hier klargestellt hat.

§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG definiert einen „sicheren Hafen“, d.h. die Einhaltung seiner Voraussetzungen schließt eine Pflichtverletzung aus. Umgekehrt begründet die Überschreitung seiner Grenzen durch die Verletzung von Informationspflichten allein noch keine Pflichtverletzung. Vielmehr ist auch dann pflichtgemäßes Handeln nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG möglich; allerdings indiziert der Verstoß gegen § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG eine Pflichtverletzung. Schließlich ist eine Verletzung der Sorgfaltspflichten aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG stets nur dann zu bejahen, wenn ein schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln vorliegt; der Managementfehler muss sich auch einem Außenstehenden geradezu aufdrängen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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