Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (Az. 3 SLa 156/24) hat am 15. Januar 2025 eine für arbeitnehmer wie Arbeitgeber interessante Entscheidung zur rechtlichen Zulässigkeit betriebsbedingter Kündigungen gefällt. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob der Wegfall eines Großauftrags die Kündigung einer langjährigen Mitarbeiterin rechtfertigen kann, insbesondere unter Berücksichtigung der gesetzlichen Anforderungen nach § 1 Abs. 2 und 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG).
Das Gericht bejahte dies und bestätigte die Wirksamkeit der Kündigung. Die Entscheidung ist nicht nur wegen ihrer präzisen Analyse der betriebsbedingten Erfordernisse bemerkenswert, sondern auch, weil sie die Grenzen der unternehmerischen Freiheit und die Anforderungen an die Sozialauswahl konkretisiert.
Sachverhalt
Die Klägerin war seit Januar 2021 als Disponentin bei einem Unternehmen beschäftigt, das Taxi- und Mietwagenfahrten durchführt. Ihr durchschnittlicher Monatsverdienst betrug 2.400 Euro brutto. Bis Ende Oktober 2023 führte der Arbeitgeber im Rahmen eines Exklusivvertrages fast den gesamten Rufbusverkehr im Landkreis Ludwigslust-Parchim durch, wodurch ein erheblicher Teil des Umsatzes generiert wurde. Aufgrund einer außerordentlichen Kündigung dieses Vertrags durch die Verkehrsgesellschaft L.-P. mbH brach das Auftragsvolumen massiv ein. Statt monatlich rund 6.750 Fahrten waren seit November 2023 nur noch etwa 750 Fahrten zu disponieren.
Die Arbeitgeberseite entschloss sich daraufhin, die Disponententätigkeiten weitgehend einzustellen und die verbleibenden Aufgaben auf andere Mitarbeiter zu verteilen. Für die Klägerin sah das Unternehmen keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit vor, da sie weder über eine Fahrerlaubnis verfügte noch die Aufgaben einer Fahrerin übernehmen konnte. Am 15. April 2024 erhielt die Klägerin eine betriebsbedingte Kündigung zum 31. Mai 2024, gegen die sie erfolglos klagte.
Rechtliche Würdigung
Die zentrale rechtliche Frage war, ob die Kündigung durch „dringende betriebliche Erfordernisse“ im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt war. Diese Erfordernisse liegen vor, wenn die Entscheidung des Arbeitgebers, die zur Kündigung führte, nicht offensichtlich unsachlich oder willkürlich ist und auf nachvollziehbaren unternehmerischen Gründen basiert.
1. Betriebsbedingte Erfordernisse durch Wegfall des Großauftrags
Das Gericht stellte fest, dass der drastische Rückgang des Arbeitsvolumens durch die Kündigung des Großauftrags ein dringendes betriebliches Erfordernis darstellt. Der Arbeitgeber hatte plausibel dargelegt, dass die Disponententätigkeiten von vormals 6.750 auf nur noch 750 monatliche Fahrten gesunken waren. Angesichts dieser erheblichen Reduzierung war die Entscheidung, die Arbeitsplätze der Disponentinnen zu streichen, sachlich gerechtfertigt. Besonders überzeugend war die detaillierte Darstellung der Umsatzeinbrüche und der daraufhin ergriffenen organisatorischen Maßnahmen.
Das LAG betonte, dass die Entscheidung des Arbeitgebers, künftig keine Disponentinnen mehr zu beschäftigen und die verbleibenden Aufgaben auf andere Mitarbeiter zu verteilen, nicht offensichtlich unsachlich oder willkürlich war. Die Verlagerung der Aufgaben auf die Büromitarbeiterin R. sowie die Übernahme einzelner Aufgaben durch den Geschäftsführer selbst seien eine nachvollziehbare unternehmerische Maßnahme.
2. Keine Pflicht zur Änderungskündigung
Die Klägerin argumentierte, der Arbeitgeber hätte zumindest eine Änderungskündigung aussprechen müssen, um ihr eine andere Beschäftigung anzubieten. Das Gericht wies dies zurück und führte aus, dass die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen schlüssig darlegten, dass keine geeigneten freien Arbeitsplätze für die Klägerin zur Verfügung standen.
Die Entscheidung stellt klar, dass eine Änderungskündigung nur dann zwingend erforderlich ist, wenn überhaupt ein freier Arbeitsplatz vorhanden ist, der den Qualifikationen des Arbeitnehmers entspricht. Da die Klägerin weder die Qualifikation noch die Fahrerlaubnis für die verbleibenden Tätigkeiten hatte, war der Arbeitgeber nicht verpflichtet, eine Änderungskündigung auszusprechen. Die Übertragung der Aufgaben auf die verbleibenden Mitarbeiter war sowohl organisatorisch als auch wirtschaftlich nachvollziehbar.
3. Sozialauswahl: Kein Rechtsfehler
Ein weiterer Angriffspunkt der Klägerin war die angeblich fehlerhafte Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG. Sie argumentierte, dass andere Mitarbeiter sozial weniger schutzwürdig gewesen seien. Das LAG folgte dieser Argumentation nicht.
Das Gericht hob hervor, dass die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer eine zentrale Voraussetzung für die Sozialauswahl sei. Die von der Klägerin angeführten Mitarbeiterinnen, insbesondere die Büromitarbeiterin R., waren jedoch aufgrund ihrer unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche und Qualifikationen nicht vergleichbar. Die Entscheidung betonte, dass die Sozialauswahl nicht allein anhand sozialer Kriterien wie Alter, Unterhaltspflichten und Betriebszugehörigkeit erfolgen darf, sondern dass auch die Vergleichbarkeit der Tätigkeiten entscheidend ist.
Außerdem stellte das Gericht fest, dass die unternehmerische Entscheidung, keine Disponentinnen mehr zu beschäftigen, sachlich gerechtfertigt war und daher die Sozialauswahl auf die verbleibenden Arbeitsplätze beschränkt blieb, die der Klägerin nicht zugänglich waren. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die Sozialauswahl nur innerhalb vergleichbarer Arbeitnehmergruppen vorzunehmen ist.
Folgen der Entscheidung für die Praxis
Die Entscheidung des LAG Mecklenburg-Vorpommern hat weitreichende Konsequenzen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sie stärkt die unternehmerische Entscheidungsfreiheit, indem sie betont, dass Arbeitgeber im Rahmen nachvollziehbarer betrieblicher Gründe frei darüber entscheiden können, welche Tätigkeiten sie künftig nicht mehr benötigen. Zugleich schärft sie die Anforderungen an die Darlegungspflichten von Arbeitgebern bei betriebsbedingten Kündigungen.
Arbeitgeber müssen künftig besonders sorgfältig und detailliert darlegen, warum die Beschäftigungsmöglichkeit für die betroffenen Arbeitnehmer entfallen ist. Dabei kommt es nicht nur auf die Plausibilität der wirtschaftlichen Gründe an, sondern auch auf die konkrete Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung. Die Sozialauswahl bleibt zwar ein wichtiges Instrument zum Schutz der Arbeitnehmer, darf aber nicht dazu führen, dass betriebswirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen verhindert werden.
Die Quintessenz lautet: Eine betriebsbedingte Kündigung ist rechtmäßig, wenn sie nachvollziehbar auf einer unternehmerischen Entscheidung beruht und keine vergleichbaren Arbeitnehmer ohne dringende betriebliche Erfordernisse bevorzugt werden.
Fazit
Die Entscheidung des LAG Mecklenburg-Vorpommern bestätigt die hohe Bedeutung der unternehmerischen Freiheit bei betriebsbedingten Kündigungen und konkretisiert die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers.
Sie verdeutlicht, dass die gerichtliche Kontrolle betriebsbedingter Kündigungen nicht dazu führen darf, unternehmerische Entscheidungen inhaltlich zu bewerten, sondern sich auf die Prüfung der Plausibilität und Sachlichkeit beschränken muss. Für Arbeitgeber bedeutet dies eine gewisse Rechtssicherheit, sofern sie ihre Entscheidungen nachvollziehbar und detailliert darlegen können.
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