LAG Köln zur Mitbestimmung bei konzernweiter Arbeitszeiterfassung

Zuständigkeitsgrenzen und digitale Infrastruktur: Mit zwei parallelen Beschlüssen vom 29. November 2024 (Az. 9 TaBV 77/24) und vom 28. Januar 2025 (Az. 9 TaBV 88/24) hat das Landesarbeitsgericht Köln die mitbestimmungsrechtlichen Zuständigkeitsfragen im Zusammenhang mit der konzernweiten Einführung eines cloudbasierten IT-Systems zur Arbeitszeiterfassung und Personaleinsatzplanung präzisiert. Beide Verfahren kreisen um dasselbe Grundthema: In welchen Fällen ist bei der Einführung einer technischen Einrichtung zur Überwachung von Arbeitszeitverhalten der Konzernbetriebsrat, wann der Gesamtbetriebsrat zuständig – und welche Rolle spielt die konkrete Organisationsentscheidung der Arbeitgeberseite?

Die Entscheidungen sind nicht nur für die Betriebsverfassungspraxis von besonderem Interesse, sondern markieren auch den Versuch, digitale Infrastruktur mit der Struktur des kollektiven Arbeitsrechts in Einklang zu bringen. Dabei betont das Gericht mit bemerkenswerter Deutlichkeit die Prüfkompetenz der Einigungsstelle in ihrer Vorfragenzuständigkeit – und verweigert sich dem Versuch, komplexe Zuständigkeitsfragen im Rahmen des Einsetzungsverfahrens nach § 100 ArbGG endgültig zu klären.

Der Konflikt: Ein-Mandanten-Lösung versus betriebliche Differenzierung

Beide Beschlüsse betreffen die Einführung eines einheitlich betriebenen cloudbasierten IT-Systems („U“), das innerhalb verschiedener Unternehmen eines Logistikkonzerns zur Arbeitszeiterfassung und Personaleinsatzplanung implementiert werden soll. Die Arbeitgeberseite hatte sich für eine Ein-Mandanten-Struktur entschieden, bei der sämtliche Daten der verschiedenen Gesellschaften auf einer gemeinsamen Plattform zusammengeführt und zentral administriert werden. Diese organisatorische Festlegung führte zu einer juristischen Weichenstellung: Wer ist für die Mitbestimmung bei Einführung und Anwendung zuständig – der Konzernbetriebsrat oder der Gesamtbetriebsrat?

Während in dem einen Verfahren der Konzernbetriebsrat seine Zuständigkeit geltend machte, wandte sich im Parallelverfahren der Gesamtbetriebsrat gegen die konzernseitige Verweigerungshaltung und verlangte ebenfalls die Einsetzung einer Einigungsstelle mit Blick auf seine – vermeintliche oder tatsächliche – Zuständigkeit. Beide Verfahren gelangten schließlich zur Überprüfung durch das Landesarbeitsgericht, das sich einer dogmatisch differenzierten und zugleich pragmatischen Auslegung verschrieb.

Keine abschließende Klärung im Einsetzungsverfahren

In beiden Verfahren bekräftigt das LAG Köln einen zentralen Grundsatz: Das Einsetzungsverfahren nach § 100 ArbGG dient nicht der endgültigen Klärung schwieriger Zuständigkeitsfragen, sondern lediglich der vorläufigen Organisation eines funktionierenden Einigungsstellenverfahrens. Es genügt, dass die Einigungsstelle zur Regelung nicht offensichtlich unzuständig ist. Die komplexe Gemengelage aus technisch-organisatorischen und betriebsverfassungsrechtlichen Elementen spricht gerade dafür, dass solche Fragen im Rahmen der materiellen Prüfung durch die Einigungsstelle selbst geklärt werden sollen – nicht im Rahmen eines auf Schnelligkeit angelegten Beschlussverfahrens.

Besonders instruktiv ist die Analyse der organisationalen Voraussetzungen: Das Gericht betont, dass die Entscheidung der Arbeitgeberin für eine Ein-Mandanten-Struktur eine mitbestimmungsfreie Organisationsentscheidung darstellt. An diese schließt sich jedoch ein objektiver Zwang zu einer einheitlichen Regelung auf überbetrieblicher Ebene an – etwa weil die Software aus technischen Gründen nur gemeinschaftlich administriert werden kann oder weil die einheitliche Datenhaltung eine unternehmensübergreifende Überwachung ermöglicht. Ob dieser Zwang wirklich besteht, muss im Einzelnen geprüft werden – aber nicht im Einsetzungsverfahren, sondern durch die Einigungsstelle selbst.

Der Gleichlauf beider Einigungsstellen als sachgerechte Lösung

Bemerkenswert ist auch, dass das Landesarbeitsgericht den Gleichlauf beider Verfahren aktiv gefördert hat. In beiden Fällen wurde derselbe Vorsitzende bestellt, um divergierende Regelungen zu vermeiden. Das Gericht zeigt damit ein pragmatisches Verständnis der kollektivrechtlichen Prozessarchitektur: Wo parallele Einigungsstellenverfahren laufen, kann die personelle Einheit der Leitung helfen, widersprüchliche Ergebnisse zu verhindern – nicht durch normative Setzung, sondern durch Koordination und Konsistenz im Verhandlungsverlauf.

Zugleich weist das Gericht den Wunsch nach einer übergroßen Zahl von Beisitzern zurück. Die Komplexität der technischen Fragestellungen rechtfertige zwar eine qualifizierte Besetzung, nicht aber eine überbordende Erweiterung des Gremiums. Die Festsetzung auf drei Beisitzer pro Seite reiche aus, um die Interessen abzubilden, zumal spezifische lokale Aspekte bereits im Vorfeld erfragt und berücksichtigt werden könnten. Auch hierin zeigt sich die Orientierung an einer funktionsfähigen und effizienten Gremienstruktur.

Überblick

In der Schlussbetrachtung markieren die Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Köln eine wichtige dogmatische Weichenstellung im modernen Betriebsverfassungsrecht. Sie verweisen Zuständigkeitsfragen nicht vorschnell auf eine höhere Ebene, sondern akzeptieren die Vielschichtigkeit digitaler Infrastruktur und ihrer betrieblichen Abbildung als Teil der kollektiven Realität.

Die Einigungsstelle wird so zum Ort der differenzierten Auseinandersetzung – nicht nur mit arbeitszeitrechtlichen Details, sondern auch mit der systematischen Frage, wie tiefgreifende technische Innovationen in die Struktur der Mitbestimmung integriert werden können. Für die Praxis bedeutet das: Organisatorische Komplexität rechtfertigt keine Mitbestimmungsverweigerung, sondern verlangt prozedurale Offenheit, pragmatische Koordination und ein klar umrissenes Rollenverständnis aller Beteiligten.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung.
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht - zertifizierter Experte in Krisenkommunikation & Cybersecurity)
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