OLG Köln zur rechtlichen Grenze journalistischer Kritik bei Vorwürfen manipulativer Meinungsforschung

In einer wegweisenden Entscheidung vom 20. Februar 2025 (Az. 15 U 231/24) hat das klargestellt, dass Medienberichte, die ein Meinungsforschungsinstitut wegen angeblich fragwürdiger Methodik kritisieren und mit dem Begriff „Fake News“ sowie dem Vorwurf der „Manipulation“ arbeiten, nicht zwangsläufig das des betroffenen Unternehmens verletzen. Die Entscheidung stellt einen juristischen Leitfaden für die Abgrenzung zwischen unzulässiger und zulässiger Wertung dar – gerade im Kontext gesellschaftlich relevanter Debatten um Vertrauen in Daten, Umfragen und Medienrealitäten.

Ausgangspunkt: Die Grenze zwischen Fakten und Interpretation

Im Mittelpunkt des Verfahrens stand ein journalistischer Bericht, der ein bekanntes Meinungsforschungsinstitut in zugespitzter Weise kritisierte. Es wurde unter anderem angedeutet, das Institut könnte Ergebnisse im Sinne bestimmter politischer Narrative beeinflussen. Begriffe wie „Meinungsmanipulation“, „Verbreitung von Fake News“ und die Formulierung, man habe das „Umfragehoch der AfD […] höher ausfallen lassen, als es tatsächlich war“, bildeten die Angriffsfläche des Rechtsstreits. Die Klägerin sah hierin eine ehrenrührige Tatsachenbehauptung, die ihr unternehmerisches Ansehen in der Öffentlichkeit schwer beschädige. Sie beantragte eine – zunächst mit Erfolg. Das Landgericht Köln sah die Grenze zur Persönlichkeitsrechtsverletzung überschritten. Doch das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf.

Das OLG Köln argumentiert grundlegend: Die beanstandeten Äußerungen enthalten keine hinreichend belegbare Behauptung, wonach das Institut bewusst und gezielt falsche Umfragewerte publiziert habe. Zwar ließen sich die Formulierungen im journalistischen Stil als scharf, polemisch oder sogar reißerisch qualifizieren, doch handele es sich nach Maßgabe des Kontextes erkennbar um wertende Kritik auf einer nachvollziehbaren Tatsachengrundlage. Der Begriff der „Fake News“ diene nicht der Feststellung manipulativen Vorsatzes, sondern sei – im konkreten Zusammenhang – Ausdruck publizistischer Zuspitzung.

Die Deutungshoheit über Begriffe und ihre rechtliche Bewertung

Ein zentrales Argument des Gerichts liegt in der Frage nach dem objektiven Sinngehalt der streitgegenständlichen Begriffe. Das OLG betont, dass es für die rechtliche Bewertung nicht auf die isolierte lexikalische Bedeutung eines Begriffs wie „Manipulation“ oder „Fake News“ ankommt, sondern auf dessen Verwendung im Kontext. Wenn ein Bericht – wie im vorliegenden Fall – offenlegt, dass mit „Manipulation“ lediglich eine algorithmische Nachbearbeitung von Daten gemeint sei, die das Unternehmen selbst eingeräumt habe, fehlt es an dem für eine Tatsachenbehauptung konstitutiven Mehrwert: der Behauptung gezielter Irreführung.

Bemerkenswert ist dabei die juristische Präzision, mit der das Gericht die verschiedenen Textebenen des Artikels analysiert. So erkennt es in der markant formulierten Einleitung („Verbreiter von Fake News“) keine isolierte Tatsachenbehauptung, sondern eine rhetorisch pointierte Hinführung auf die nachfolgenden Inhalte. Der Durchschnittsleser werde durch den Gesamtduktus des Artikels zur Erkenntnis geführt, dass sich der Vorwurf der Unprofessionalität oder methodischen Fragwürdigkeit auf offen dargelegte Tatsachenelemente stützt – nicht auf unterstellte oder verdeckt behauptete Manipulation.

Persönlichkeitsrechtsverletzung von Unternehmen

Hervorzuheben ist, dass das OLG die betroffene Meinungsforschungseinrichtung ausdrücklich als teilnehmende Akteurin am öffentlichen politischen Diskurs betrachtet. Unternehmen, die aktiv auf den öffentlichen Meinungsbildungsprozess einwirken – etwa durch die Veröffentlichung politischer Umfrageergebnisse – müssen sich nach Ansicht des Senats in besonderem Maße auch kritische Auseinandersetzungen mit ihrer Arbeit gefallen lassen. Die Schwelle für eine rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsverletzung liegt in einem solchen Kontext höher, als dies etwa bei privaten Akteuren der Fall wäre.

Wichtig ist auch die Klarstellung, dass selbst dann, wenn eine Äußerung das unternehmerische Ansehen beeinträchtigt, dies nicht automatisch zu einem führt. Maßgeblich ist vielmehr, ob in der Gesamtabwägung das Schutzinteresse des Betroffenen das Interesse der Meinungs- und Medienfreiheit überwiegt. Das war hier nicht der Fall. Die Kritik sei nicht nur meinungsbildend, sondern durch offengelegte Fakten zumindest plausibel unterlegt gewesen.


Ergebnis

In der Kernaussage unterstreicht die Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln, dass journalistische Kritik an gesellschaftlich relevanten Institutionen selbst in scharfer Form zulässig bleibt, solange sie nicht die Schwelle zur nachweislich unwahren Tatsachenbehauptung überschreitet. Begriffe wie „Fake News“ oder „Manipulation“ sind rechtlich nicht per se ehrverletzend, sondern bedürfen der Deutung im Lichte des konkreten Kontexts. Unternehmen, die im öffentlichen Diskurs eine prägende Rolle einnehmen, haben nicht nur Einfluss, sondern tragen auch eine erhöhte Toleranzpflicht gegenüber medienvermittelter Kritik. Die Entscheidung ist ein Plädoyer für eine robuste Debattenkultur – mit präzisem juristischen Maß.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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