Gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen

Der BGH (6 StR 275/22) betont, dass eine nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB auch durch Unterlassen begangen werden kann.

Der 6. Senat führt hierzu aus, dass bereits der Gesetzeswortlaut insoweit keine Einschränkung erkennen lasse, so dass die allgemeinen Regeln einschließlich der Begehung durch Unterlassen nach § 13 StGB Anwendung fänden. Für dieses Normverständnis sprechen insbesondere auch Sinn und Zweck der Vorschrift. Ihre Neufassung durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) sollte vor allem dem Anliegen Rechnung tragen, dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit größeres Gewicht zu verleihen (vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 1, 19, 35).

Im Hinblick auf diesen angestrebten effektiven Rechtsgüterschutz ist bei der Anwendung des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu berücksichtigen, dass auch einer Tatbeteiligung durch Unterlassen – je nach den Umständen des Einzelfalls – eine erhöhte Gefahr erheblicher Verletzungen oder einer Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten innewohnen kann. Für die Annahme einer erhöhten Gefährlichkeit bei gemeinschaftlicher Begehung mit einem anderen aktiv handelnden Beteiligten reicht allerdings die Anwesenheit einer sich lediglich passiv verhaltenden Person ebenso wenig aus wie das bloße gleichzeitige Agieren von Beteiligten an einem Ort, an dem jedes Opfer nur einem Angreifer ausgesetzt ist.

Dementsprechend kann allein das gleichzeitige Unterlassen mehrerer Garanten im Sinne einer bloßen Nebentäterschaft den Tatbestand nicht erfüllen. Die hierfür erforderliche erhöhte Gefährlichkeit wird aber regelmäßig gegeben sein, wenn sich die zur Hilfeleistung verpflichteten Garanten ausdrücklich oder konkludent auf ein Untätigbleiben verständigen und mindestens zwei handlungspflichtige Garanten zumindest zeitweise am Tatort anwesend sind. Denn die getroffene Verabredung und die damit einhergehende Verbundenheit verstärken wechselseitig den jeweiligen Tatentschluss, die angebotene Hilfeleistung zu unterlassen, was neben dem gefahrerhöhenden gruppendynamischen Effekt die Wahrscheinlichkeit verringert, dass einer der Garanten seiner Verpflichtung nachkommt.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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