Der Bundesgerichtshof (I ZR 36/11) hat einige unscheinbare Sätze zur Abmahnung im Wettbewerbsrecht geäußert, die Anlass geben genauer hinzusehen und in der Begründung Sprengstoff enthalten. Im Leitsatz stellte der BGH fest:
Eine Abmahnung ist nur insoweit berechtigt im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG, als sie den Abgemahnten in die Lage versetzt zu erkennen, dass ihm berechtigterweise der Vorwurf eines wettbewerbswidrigen Verhaltens gemacht wird.
Das ist erst einmal nicht überraschend – die weiteren kurzen Ausführungen des BGH aber ändern die Blickweise.
Abmahnung nur berechtigt bei nachvollziehbarem Verstoss
Jedenfalls nicht neu ist, dass Abmahnkosten nicht zu tragen sind, wenn sich aus der Abmahnung schon nicht ergibt, welcher Vorwurf gemacht wird. Soweit der BGH nun klarstellt, dass es einer Abmahnung bereits an der Berechtigung mangelt, wenn der gemachte Vorwurf nicht nachzuvollziehen ist, ist dies zu begrüßen, fand sich in der Literatur allerdings auch schon vorher wieder.
Was heisst Nachvollziehbar?
Spannend ist vielmehr die Frage, wann ein Verstoss nachvollziehbar gemacht ist.
Bisher war es so, dass es ausreichte, wenn eine Abmahnung schlicht den vorgeworfenen Sachverhalt richtig darstellte, da es dem Empfänger zuzumuten sein soll, die entsprechende rechtliche Bewertung selber vorzunehmen. Eine falsche rechtliche Begründung ist damit unschädlich.
Verstoss muss rechtlich nachvollziehbar sein
Hieran hat der Bundesgerichtshof nach meinem Eindruck gerüttelt. In der vorliegenden Entscheidung ging es im Hintergrund um ein beworbenes Lebensmittel, wobei dem Abmahner die Aufmachung missfiel. In der Abmahnung wurde vorgeworfen, dass gegen die „Verordnung über die Kennzeichnung von Lebensmitteln“ und gegen das „Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch“ verstossen wurde. Der BGH stellte allerdings wenn, dann die Möglichkeit des Verstosses wegen Angaben über gesundheitsbezogene Angaben entsprechend der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 („Haalth-Claims“) fest. Es ging also um eine andere rechtliche Würdigung des betreffenden Sachverhalts. Und dazu liest man dann das hier:
Die von der Klägerin ausgesprochene Abmahnung war nicht berechtigt. In dem Abmahnschreiben vom 10. November 2009 hat die Klägerin lediglich geltend gemacht, das Zutatenverzeichnis auf der Ver-packung des Produkts „Monsterbacke“ entspreche nicht den Erfordernissen nach § 3 Abs. 3 LMKV, und der Slogan „So wichtig wie das tägliche Glas Milch!“ stelle eine im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LFGB aF irreführende Lebensmittelwerbung dar. Das Abmahnschreiben versetzte die Beklagte damit nicht in die Lage, den vermeintlichen Verstoß gegen Art. 10 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 zu erkennen (vgl. Fezer/Büscher, UWG, 2. Aufl., § 12 Rn. 17 und 36; MünchKomm.UWG/Ottofülling, 2. Aufl., § 12 Rn. 38 f., 42 und 137).
Die Ausführungen sind recht unerfreulich, weil der BGH nicht klar macht, warum nun genau der Abgemahnt hier nicht in der Lage gewesen sein soll, den Verstoß zu erkennen. Allerdings ist zu bemerken, dass der BGH alleine auf rechtliche Aspekte abstellt und eben nicht darauf verweist, dass irgendwo im dargestellten Sachverhalt ein Aspekt fehlte, den der Abgemahnt problemlos unter die richtige Norm hätte subsumieren können. Ein Ansatzpunkt mag aber sein, dass es hier nicht um rein deklaratorische Rechtliche Unterschiede geht, sondern dass das rechtliche Ergebnis ein vollkommen anderes – die irreführende Lebensmittelwerbung ist rechtlich etwas gravierend anderes als ein Verstoss gegen die Health-Claims-Verordnung.
Abmahnungen im Wettbewerbsrecht: Sauber arbeiten
Es bleiben Fragen. Wenn meine Lesart korrekt ist, wäre jeder Abmahnung der Erfolg zu verweisen, die in der rechtlichen Wertung zwar berechtigt einen Unterlassungsanspruch erkennt, dieser aber einer vollkommen anderen rechtlichen Begründung entspricht als die Ausführungen in der Abmahnung. Wenn also etwa eine Abmahnung alleine wegen Verstosses gegen Impressumspflichten ausgesprochen wird und am Ende nur ein Verstoss gegen §5a Abs.3 Nr.2 UWG übrig bleibt, könnte man bereits trefflich streiten, inwieweit die Abmahnung noch berechtigt war.
Entsprechend muss auf beiden Seiten sauber gearbeitet werden: Für Abgemahnte kann es sich lohnen, war nicht mit dem Seziermesser, aber eben mit der Lupe, die erhaltene Abmahnung zu prüfen. Abmahner selber wiederum müssen stärker darauf achten, ob der angegebene Sachverhalt korrekt oder wenigstens vollständig rechtlich gewürdigt wurde, um sich hier nicht Kostenersatzansprüche zu verbauen.
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