Zukunft der EU-Strategie gegenüber China: Ein kritischer Blick

In den letzten Jahren haben sich die Beziehungen zwischen der Europäischen Union (EU) und signifikant gewandelt, geprägt von zunehmenden Spannungen und einer Neubewertung der gemeinsamen strategischen Ausrichtung. Eine aktuelle Studie des Europäischen Parlaments, angefordert durch den Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten (AFET), bietet eine umfassende Analyse der Dynamik zwischen den beiden Mächten und schlägt eine kohärente Vision für die Zukunft vor.

Der aktuelle Stand der EU-China-Beziehungen

Die Beziehung zwischen der EU und China wird durch eine komplexe Mischung aus Partnerschaft, wirtschaftlichem Wettbewerb und systemischer Rivalität charakterisiert. Diese Dynamik spiegelt sich in einer Vielzahl von Bereichen wider, von Handelsungleichgewichten bis hin zu geopolitischen Spannungen. China wird dabei als „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ beschrieben, was die mehrschichtige und oft widersprüchliche Natur dieser Beziehungen unterstreicht.

Herausforderungen und Spannungsfelder

Die Studie identifiziert mehrere kritische Herausforderungen, die die Beziehungen belasten. Dazu gehören Menschenrechtsverletzungen in China, Cyberangriffe und politische Einmischungen, die zunehmend Besorgnis in Europa erregen. Ebenso problematisch sind die aggressiven außenpolitischen Manöver Chinas im Südchinesischen Meer und die anhaltende Unterstützung für Russland im Kontext der Ukraine-Krise.

Strategische Empfehlungen für die EU

Die Studie empfiehlt eine Politik des „De-Risking“, um die Abhängigkeiten von China in kritischen Wirtschaftsbereichen zu minimieren. Dazu zählen Maßnahmen wie die Überprüfung von Direktinvestitionen und die Entwicklung einer umfassenderen Strategie für den Umgang mit Chinas Einfluss auf globaler Ebene. Ziel ist es, die EU widerstandsfähiger gegenüber potenziellen wirtschaftlichen und politischen Druckversuchen zu machen.

Es werden Empfehlungen ausgesprochen, die darauf abzielen, die EU widerstandsfähiger gegenüber den Herausforderungen in der Beziehung zu China zu machen – und gleichzeitig ihre strategischen und werteorientierten Interessen zu fördern. Die wesentlichen Empfehlungen aus der Studie über die zukünftige EU-Strategie gegenüber China sind:

  1. De-Risking: Verwaltung wirtschaftlicher und technologischer Risiken durch gezielte Maßnahmen.
  2. Überprüfung von Direktinvestitionen: Einführung und Verstärkung von Mechanismen zur Überwachung chinesischer Investitionen in kritischen Sektoren.
  3. Förderung strategischer Autonomie: Entwicklung unabhängiger Kapazitäten in Schlüsseltechnologien und kritischen Rohstoffen.
  4. Vertiefung der Kooperation mit gleichgesinnten Partnern: Stärkung der transatlantischen Beziehungen und Kooperation mit anderen demokratischen Staaten.
  5. Menschenrechte und demokratische Werte verteidigen: Konsequente Haltung gegenüber Menschenrechtsverletzungen und Förderung universeller Werte.
  6. Globale Normen und Regeln stärken: Einsatz für eine regelbasierte internationale Ordnung und Widerstand gegen autoritäre Einflüsse.
  7. Diversifikation von Handelsbeziehungen: Reduzierung der Abhängigkeit von chinesischen Lieferketten durch Diversifikation.
  8. Förderung von Forschung und Bildung: Schutz sensibler Forschungsbereiche und Förderung eines offenen und sicheren akademischen Austauschs.
  9. Krisenprävention und Konfliktmanagement: Proaktive Maßnahmen zur Verhinderung und Bewältigung von Konflikten, insbesondere im Bereich der Cybersicherheit und politischen Einmischung.
  10. Transparente Kommunikationsstrategien: Verbesserung der strategischen Kommunikation innerhalb der EU und auf globaler Ebene zur effektiven Vermittlung der EU-Politik und -Werte.

Die Bedeutung einer langfristigen Vision

Ein zentraler Aspekt der Studie ist die Forderung nach einer klaren und kohärenten Langzeitstrategie der EU gegenüber China. Diese sollte nicht nur reaktive Maßnahmen umfassen, sondern auch proaktive Schritte zur Stärkung der europäischen Autonomie und zur Förderung internationaler Normen und Werte.

Es wird auch erörtert, wie China seit der Veröffentlichung der Strategie „Made in China 2025“ im Jahr 2015 seine technologische Selbstständigkeit verbessern und immer größere Segmente der Wertschöpfungsketten in seinen strategischen Industrien beherrschen will. Obwohl die Strategie offiziell zurückgestellt wurde, bleiben die zugrunde liegenden Ambitionen bestehen. Diese Entwicklung wird als Teil von Chinas Bestreben betrachtet, in den zukunftsträchtigen Wachstumsindustrien global führend zu sein.

Die EU erkennt dabei an, dass Chinas Bemühungen, seine technologische Unabhängigkeit zu verbessern und größere Segmente der Wertschöpfungsketten in seinen strategischen Industrien zu beherrschen, während die offiziellen Bemühungen in dieser Richtung nominell zurückgestellt wurden, weiterhin ein zentrales Element seiner Industriepolitik darstellen. Die Sorge Europas rührt vor allem von den verzerrten Mitteln, die Peking einsetzt, um diese Ziele zu erreichen, und den Abhängigkeiten, die diese Marktverzerrungen in einer Reihe kritischer Sektoren geschaffen haben.

Europa schaut auf dieselben Industrien, die von „Made in China 2025“ betroffen sind, und sieht sich daher in direkter wirtschaftlicher Konkurrenz mit China. Die EU ist bestrebt, ihre Politik neu auszurichten, um ihre eigene wirtschaftliche und technologische Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, insbesondere durch eine De-Risking-Strategie, um die Abhängigkeiten zu minimieren und die eigene wirtschaftliche Sicherheit zu erhöhen.


China-Strategie: Deutschland vs. Europa

Die China-Strategie der Bundesregierung und die EU-Strategie gegenüber China zeigen einige wichtige Gemeinsamkeiten, aber auch spezifische nationale Schwerpunkte und Vorgehensweisen. Dabei ist wohl zu sehen, dass die deutsche Strategie die EU-Richtlinien und -Ziele respektiert und unterstützt, während sie gleichzeitig spezifische nationale Anliegen und Strategien verfolgt, um den Umgang mit China zu optimieren und sowohl deutsche als auch europäische Interessen zu wahren.

Gemeinsamkeiten

  1. Multifacettierte Beziehung: Beide Strategien erkennen China gleichzeitig als Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen an. Sie betonen die Notwendigkeit, mit China in globalen Fragen wie Klimawandel und internationaler Sicherheit zu kooperieren, während sie gleichzeitig auf Herausforderungen durch Chinas politisches und wirtschaftliches Verhalten hinweisen.
  2. Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit: Sowohl die EU als auch Deutschland legen großen Wert auf die Einhaltung der Menschenrechte und die Förderung demokratischer Werte. Beide Strategien drücken Besorgnis über die Menschenrechtssituation in China aus und streben danach, diese Themen in ihren Beziehungen zu China aktiv anzusprechen.
  3. Wirtschaftliche Zusammenarbeit und De-Risking: Beide Strategien erkennen die tiefen wirtschaftlichen Verflechtungen mit China an und suchen nach Wegen, Risiken zu minimieren, ohne die wirtschaftlichen Beziehungen vollständig zu entkoppeln. Sie betonen die Notwendigkeit, Abhängigkeiten zu verringern, insbesondere in kritischen und technologisch fortgeschrittenen Sektoren.

Unterschiede

  1. Bilaterale vs. multilaterale Ansätze: Die deutsche Strategie betont stärker die bilaterale Zusammenarbeit und spezifische nationale Interessen innerhalb des EU-Rahmens. Sie beinhaltet konkrete Maßnahmen zur Förderung deutscher Interessen, etwa in Bezug auf faire Wettbewerbsbedingungen und die Verbesserung der Marktbedingungen für deutsche Unternehmen in China.
  2. Schwerpunkte in der internationalen Politik: Deutschland legt einen starken Fokus auf die umwelt- und klimapolitische Zusammenarbeit mit China, einschließlich spezifischer Initiativen wie der Förderung grüner Technologien und der gemeinsamen Bekämpfung des Klimawandels. Die EU-Strategie behandelt diese Themen ebenfalls, legt jedoch einen umfassenderen Schwerpunkt auf die Stärkung der strategischen Autonomie und die Reduzierung der Abhängigkeit von China.

Es gibt nach meinem Eindruck keine offenkundigen Unvereinbarkeiten zwischen den beiden Strategien, zumal sich die deutsche Strategie explizit in den Rahmen der EU-China-Politik einordnen will und dabei ja auch die europäische Abstimmung betont. Vielmehr ergänzt und spezifiziert die deutsche Strategie die europäischen Vorgaben durch nationale Maßnahmen und Schwerpunkte, wobei sie stets die Abstimmung mit den EU-Partnern und die Förderung europäischer Interessen hervorhebt.

Fazit

Die Beziehungen zwischen der EU und China stehen an einem kritischen Punkt. Es wird zunehmend deutlich, dass eine Neuausrichtung der EU-Politik erforderlich ist, um den neuen geopolitischen Realitäten gerecht zu werden. Diese Studie des Europäischen Parlaments bietet hierfür eine fundierte Grundlage und weist den Weg zu einer Strategie, die sowohl die Risiken minimieren als auch die Werte der EU auf der internationalen Bühne verteidigen könnte.

Die zukünftige EU-Strategie gegenüber China wird zweifellos die globale geopolitische Landschaft mitgestalten und erfordert ein behutsames, aber entschlossenes Vorgehen, um die Interessen und Werte der Europäischen Union zu wahren.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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