Zu-Eigen-Machen durch Retweet auf Twitter

Das OLG Koblenz (1 OLG 4 Ss 105/22) hat in einer Entscheidung deutlich gemacht, dass schon durch einen schlichten Retweet eine strafrechtliche Haftung begründet werden kann – in diesem Fall stellte sich die Frage, ob ein sonst frei verfügbares Video durch ein weiteres Teilen des Links überhaupt zugänglich gemacht wird:

Zugänglichmachen bedeutet, einem Dritten die Möglichkeit zu verschaffen, von der unbefugten Aufnahme Kenntnis zu nehmen (vgl. BT-Drucks. 15/2466, S.5), ob er tatsächlich Kenntnis nimmt, ist irrelevant. Es ist insofern nicht erforderlich, dass der Dritte Gewahrsam an der Aufnahme erhält; vielmehr reicht es aus, wenn ihm ein „Internet-Link“, also ein Sprungziel im Internet zu einem bestimmten Angebot, überlassen wird, durch dessen Aktivierung er die unbefugte Bildaufnahme ansehen kann (…). Denn es stellt keinen rechtlich relevanten Unterschied dar, ob die unbefugt hergestellte Aufnahme Dritten übersandt bzw. im Beitrag unmittelbar dargestellt oder durch Verlinkung zur Verfügung gestellt wird (…); sämtliche Varianten sind darauf gerichtet, dritten Personen die Kenntnisnahme vom Inhalt der Aufnahme zu ermöglichen und mithin Raum für weitere Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu schaffen.

OLG Koblenz, 1 OLG 4 Ss 105/22

Die Frage des Zueigenmachens konnte hier dahinstehen, da sich nach Rechtsauffassung des OLG die Frage in dieser besonderen Konstellation des §201a StGB schon gar nicht stellt.

Zum Thema Haftung für Social-Media auch bei uns:

Schon verfügbares Video weiter geteilt

Der Annahme eines Zugänglichmachens stand für das OLG auch nicht entgegen, dass das Video bereits vor der Verlinkung im Internet frei verfügbar war:

Schon nach dem allgemeinen Wortsinn ist der Begriff des „Zugänglichmachens“ nicht darauf beschränkt, eine erstmalige Möglichkeit der Kenntnisnahme zu gewähren. Auch der Schutzzweck des § 201a StGB spricht gegen eine derartige Einschränkung. § 201a StGB dient dem Schutz des Rechts am eigenen Bild als Ausprägung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung mit besonderem Augenmerk auf den höchstpersönlichen Lebensbereich (…).

Um Verletzungen dieses Lebensbereichs handelt es sich bei jeder Weitergabe und somit Vergrößerung der Möglichkeit der Wahrnehmung (vgl. auch BT-Drucks. 15/2466, S.5); das allgemeine verliert seinen Schutz nicht nach seiner erstmaligen Verletzung. Durch eine Verlinkung wird sowohl die Reichweite der Aufnahme vergrößert als auch deren „Aktualität“ verlängert und damit die Beeinträchtigung der informationelle Selbstbestimmung vertieft.

OLG Koblenz, 1 OLG 4 Ss 105/22

Strafrechtliche Haftung für Retweet

Die Entscheidung verdeutlicht, dass bei bestimmten Delikten auf kürzerem Wege eine strafrechtliche Haftung entstehen kann – im Umfeld des §201a StGB etwa muss man sich (je nach Vorwurf) nicht lange mit der Frage des Zueigenmachens aufhalten; und während man bei manchem Delikt (speziell bei Propagandadelikten im Internet) darüber streiten kann, ob eine neue Öffentlichkeit begründet wurde, spielt dies auch hier keine Rolle. Wobei das OLG diese Grundsätze auch auf das KUG anwenden möchte, was zwar nachvollziehbar begründet wird, meines Erachtens aber schon von der Stoßrichtung her falsch ist.

Die strafrechtliche Social-Media-Haftung wächst inzwischen erheblich an, dem ein oder anderen sicherlich über den Kopf; dabei können Verhaltensweisen, die in kürzester Zeit ausgeführt sind, zu erheblichen strafrechtlichen Konsequenzen führen. Der vorliegende Fall ist insoweit letztlich, was die schlichte Haftung für Verhaltens auf Twitter angeht, nichts Besonderes.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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