Vorbereitungszeit vor Plädoyer

Dass der Strafverteidigung eine angemessene Zeit zur Vorbereitung eines Plädoyers zugestanden werden muss, musste (leider) der , 3 StR 80/22, klarstellen. Leider deshalb, weil es hier um essentialia gehen sollte, die in einem modernen Rechtsstaat nicht einmal im Ansatz der Diskussion unterliegen – offenkundig hatte ein Landgericht – das Landgericht Düsseldorf – hier aber dann doch Probleme seinen Stand auf dem Boden des Grundgesetzes zu finden.

Zu den Grundlagen: § 258 Abs. 1 StPO gibt dem Angeklagten das Recht, sich nach Schluss der Beweisaufnahme und vor der abschließenden Entscheidung des Gerichts zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten des Verfahrens zu äußern, und dient damit unmittelbar der Gewährleistung des durch Art. 103 Abs. 1 GG garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör (grundlegend hierzu: BVerfG, 2 BvR 705/79). Zu dessen Wahrnehmung kann er sich – wie in § 258 Abs. 3 StPO vorausgesetzt – eines Verteidigers bedienen. Wegen seiner überragenden Bedeutung erschöpft sich dieses Recht nicht in der bloßen Möglichkeit zur Äußerung; vielmehr muss der Verfahrensbeteiligte in die Lage versetzt werden, es wirksam auszuüben. Das Gericht ist daher verpflichtet, angemessene Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Verfahrensbeteiligten einen Schlussvortrag in der von ihnen für sachdienlich erachteten Weise halten können.

Was nun hierzu erforderlich ist, lässt sich mit dem BGH nicht abstrakt, sondern nur im Einzelfall bestimmen. Danach kann es je nach Umfang und Dauer der sowie dem konkreten Prozessverlauf notwendig sein, zur Ausarbeitung der Schlussvorträge eine angemessene Vorbereitungszeit einzuräumen:

Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang diese zu gewähren ist, hat das Tatgericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, wenn die Verfahrensbeteiligten eine Vorbereitungszeit verlangen. Für die Beurteilung der Angemessenheit derselben kann neben Komplexität und Umfang der Sach- und Rechtslage insbesondere auch relevant sein, dass die Verfahrensbeteiligten bereits zuvor auf den anstehenden Schluss der Beweisaufnahme hingewiesen wurden oder aus anderen Gründen damit rechnen mussten, ihre Plädoyers halten zu müssen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21. März 1989 – 5 StR 120/88, BGHR StPO § 258 Abs. 1 Schlussvortrag 1); in diesem Fall können sie die Zeit zwischen den Hauptverhandlungsterminen bereits zur Vorbereitung ihrer Vorträge und gegebenenfalls erforderlichen Besprechung und Abstimmung mit dem Mandanten nutzen, sodass die Notwendigkeit einer (weiteren) ganz entfallen oder jedenfalls ihre Dauer kürzer zu bemessen sein kann.

Bundesgerichtshof, 3 StR 80/22

Was das Landgericht Düsseldorf hier veranstaltet hat, lässt sich nicht im Ansatz nachvollziehen und führt zu einer schweren klatschen durch den BGH:

Aus den vorgenannten Grundsätzen ist zwar nicht zu schlussfolgern, dass es im Belieben der Verfahrensbeteiligten steht, ob und in welchem Umfang eine Vorbereitungszeit zu gewähren ist, denn sie muss in Ansehung der Umstände des Einzelfalls objektiv angemessen sein. Bei der Dauer einer Hauptverhandlung von über sechs Monaten mit 45 Verhandlungstagen konnte das Landgericht aber nicht ohne weiteres von den Verfahrensbeteiligten verlangen, jederzeit den gesamten Prozessstoff für ein Plädoyer, das alle im Laufe des Verfahrens stattgefundenen Beweiserhebungen und aufgeworfenen Rechtsfragen berücksichtigt, aufbereitet zu haben.

Dies gilt hier erst recht, weil am dritt- und vorletzten Hauptverhandlungstag Beschlüsse, mit denen Beweisanträge der Verteidigung abgelehnt wurden und die insgesamt ca. 160 Seiten Begründung umfassen, verkündet wurden (…)

Da fällt nicht mehr viel zu ein, was man noch schreiben kann. Jedem professionellen Leser sollte dabei klar sein, dass wenn der BGH wegen einer solchen Sachfrage eine vollständige Entscheidung aufhebt, man als Kammer schlicht versagt hat. Von der Frage, welches Selbstverständnis man von seinem Beruf als Richter überhaupt hat, wenn man der Verteidigung eine Vorbereitungszeit für ein Plädoyer abspricht. Vom Verständnis eines modernen Rechtsstaats abgesehen. Eine Sternstunde des Gerichtsstandorts Düsseldorf war das hier jedenfalls nicht. Es tut nicht weh, nach dem Schluss der Beweisaufnahme generell etwas Zeit zuzubilligen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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