Der Bundesgerichtshof (VI ZR 533/15) konnte sich nochmals zum Verkehrsunfall ohne Berührung der Kraftfahrzeuge äußern – strittig dabei ist im Rahmen der Zurechnung der Betriebsgefahr das Merkmal „beim Betrieb des Kraftfahrzeugs“. Dabei hat der BGH erneut klargestellt, dass Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs bei einem berührungslosen Unfall ist, dass das KFZ über die bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat.
Hierzu hat der BGH diverse Fallgruppen bereits geklärt, an denen man sich orientieren kann:
- So geht auf einer Bundesautobahn von einem verhältnismäßig sperrigen und langsam überholenden Fahrzeug oder auch nur einem Fahrverhalten, das als Beginn des Überholvorgangs oder seine Ankündigung aufgefasst werden kann, eine typische Gefahr für auf der Überholfahrbahn nachfolgende schnellere Verkehrsteilnehmer aus, die durch eine misslingende Abwehrreaktion zu Schaden kommen (Senatsurteil vom 29. Juni 1971, aaO).
- Eine typisch mit dem Betrieb eines Sattelschleppers verbundene Gefahr wirkt sich aus, wenn ein von diesem überholter Fahrer eines Motorfahrrades unsicher wird und deshalb stürzt (Senatsurteil vom 11. Juli 1972 – VI ZR 86/71, aaO unter II 1 c).
- In zurechenbarer Weise durch ein Kraftfahrzeug (mit-)veranlasst ist ein Unfall bei seinem Herannahen an entgegenkommenden Fahrradverkehr, wenn der Verkehrsraum zu eng zu werden droht und einer der Fahrradfahrer bei einem Ausweichmanöver stürzt (Senatsurteil vom 19. April 1988 – VI ZR 96/87, aaO unter 1 b).
- Selbst ein Unfall infolge einer voreiligen – also objektiv nicht erforderlichen – Abwehr- und Ausweichreaktion ist dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zuzurechnen, das diese Reaktion – im Streitfall durch einen kleinen Schlenker aus seiner Fahrspur hinaus – ausgelöst hat (Senatsurteil vom 26. April 2005 – VI ZR 168/04, aaO unter II 1 b).
Aus der Entscheidung des BGH:
Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG und die Haftung des Fahrers aus vermutetem Verschulden gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 18 StVG nicht eingreifen, wenn ein in Betrieb befindliches Kraftfahrzeug lediglich an der Unfallstelle anwesend ist, ohne dass es durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat.
Das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfasst daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist. Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden. An diesem auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (Senatsurteil vom 26. April 2005 – VI ZR 168/04, VersR 2005, 992, 993 unter II 1 a mwN).
Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht. Allerdings hängt die Haftung gemäß § 7 StVG nicht davon ab, ob sich der Führer des im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat, und auch nicht davon, dass es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist (Senatsurteil vom 26. April 2005, aaO mwN).
Diese weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entspricht dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG und findet darin ihre innere Rechtfertigung. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist sozusagen der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kfz – erlaubterweise – eine Gefahrenquelle eröffnet wird, und will daher alle durch den Kfz- Verkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kfz entstanden, wenn sich von einem Kfz ausgehende Gefahren ausgewirkt haben (Senatsurteil vom 26. April 2005, aaO mwN).
Allerdings reicht die bloße Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle für eine Haftung nicht aus. Insbesondere bei einem sogenannten „Unfall ohne Berührung“ ist daher Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs des Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus das Fahrverhalten seines Fahrers in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst hat (Senatsurteile vom 22. Oktober 1968 – VI ZR 178/67, VersR 1969, 58; vom 29. Juni 1971 – VI ZR 271/69, VersR 1971, 1060; vom 11. Juli 1972 – VI ZR 86/71, NJW 1972, 1808 unter II 1 c), mithin, dass das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (…)
Es ist im Straßenverkehrsrecht anerkannt, dass maßgeblicher Zeitpunkt für Ursächlichkeit und Zurechnungszusammenhang der Eintritt der konkreten kritischen Verkehrslage ist, die unmittelbar zum Schaden führt. Die kritische Verkehrslage beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann (Senatsurteile vom 25. März 2003 – VI ZR 161/02, VersR 2003, 783, 784; vom 1. Dezember 2009 – VI ZR 221/08, VersR 2010, 642 Rn. 16, 21). Das gilt auch für die Gefährdungshaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., Einleitung Rn. 101; § 7 StVG Rn. 13; § 17 Rn. 17).
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