Mit Beschluss vom 26.03.2025 (Az. 1 Ws 92/25, 1 Ws 93/25) hat das Oberlandesgericht (OLG) München ein juristisch und gesellschaftspolitisch brisantes Thema entschieden: den Umgang mit Zwangsarbeit, Ausländerbeschäftigung ohne Genehmigung und Lohnwucher in Kleingewerben. Die Entscheidung betrifft nicht nur die Strafbarkeit der beteiligten Unternehmer, sondern bezieht auch dezidiert Stellung zur gerichtlichen Zuständigkeit bei schwerwiegenden Wirtschaftsstrafsachen – insbesondere dann, wenn sich ein Landgericht in der ersten Instanz für „nicht zuständig“ erklärt.
Sachverhalt
Dem Angeklagten, Betreiber zweier Nagelstudios, wird vorgeworfen, über mehrere Monate hinweg mindestens sechs vietnamesische Staatsangehörige illegal beschäftigt zu haben. Diese waren weder zum Aufenthalt noch zur Erwerbstätigkeit in Deutschland berechtigt. Die Beschäftigten erhielten Löhne weit unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns, mussten unter prekären Bedingungen leben und befanden sich laut Anklage in einer ausländerspezifischen Zwangslage, die gezielt ausgenutzt wurde. Der durch Vorenthaltung von Sozialabgaben entstandene Schaden belief sich auf über 43.000 Euro; der persönliche Gewinn des Angeklagten auf rund 122.000 Euro.
Die Anklage umfasste neben dem Vorenthalten von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) auch Fälle des Wuchers (§ 291 StGB), des Einschleusens von Ausländern (§ 96 AufenthG), der Zwangsarbeit (§ 232b StGB) sowie Verstöße gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG).
Rechtliche Analyse
Schwerpunkt: Gerichtliche Zuständigkeit und Prognoseentscheidung
Das Landgericht Traunstein sah sich nicht als zuständig an und wollte das Verfahren an das Amtsgericht Rosenheim verweisen. Zur Begründung führte es aus, dass keine Freiheitsstrafe über vier Jahre zu erwarten sei – ein Grenzwert gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG. Die Staatsanwaltschaft legte daraufhin sofortige Beschwerde ein.
Das OLG München hob den Beschluss auf und betonte: Eine Verweisung an ein Gericht niedrigerer Ordnung sei nur dann zulässig, wenn dessen Strafgewalt mit Sicherheit ausreiche. Bestehen Zweifel – etwa aufgrund der Vielzahl an Taten, der wirtschaftlichen Ausbeutung, der erheblichen Gewinne oder des komplexen Konkurrenzverhältnisses zwischen den Normen – sei das Landgericht zuständig. Der Maßstab für die Prognose sei nicht, ob eine Strafe unter vier Jahren „wahrscheinlich“, sondern ob sie „mit Sicherheit nicht“ zu erwarten sei.
Strafzumessungspotenzial: Mehr als ein Bagatelldelikt
Das OLG würdigte eingehend die Möglichkeit besonders schwerer Fälle, etwa beim Wucher (§ 291 Abs. 2 StGB), beim gewerbsmäßigen Einschleusen und bei § 232b StGB (Zwangsarbeit). Besonders hervorzuheben ist, dass der wirtschaftliche Vorteil aus der illegalen Beschäftigung sowie die bewusste Ausnutzung der prekären Lebenslage der Beschäftigten strafschärfend ins Gewicht fallen. Eine Gesamtfreiheitsstrafe von über vier Jahren sei jedenfalls „nicht ausgeschlossen“, sondern realistisch.
Die Kernaussage des Beschlusses lautet: Wer in großem Stil Menschen in Zwangslagen ausbeutet, dem muss mit voller strafprozessualer Schärfe begegnet werden. Auch Kleingewerbetreibende sind nicht immun gegen die Anwendung komplexer Wirtschaftsstrafnormen. Und: Die Frage der Zuständigkeit ist nicht taktisch, sondern prognostisch zu beantworten – und zwar mit Blick auf die reale Strafdrohung, nicht auf formale Erleichterungen.
Schlussfolgerung
Die Entscheidung des OLG München stellt klar: In komplexen Wirtschaftsstrafsachen mit Verdacht auf systematische Ausbeutung, organisierte Schwarzarbeit und Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht darf die erste Instanz nicht leichtfertig an ein Amtsgericht verweisen. Der Maßstab ist hoch, die Schwelle für die Eröffnung beim Landgericht niedrig. Die Entscheidung bekräftigt zudem, dass die gesellschaftliche Relevanz von Arbeitsausbeutung, auch im Kleingewerbe, ernst zu nehmen ist – rechtlich wie faktisch.
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