Der Bundesgerichtshof (2 StR 102/22) hat klarstellen können, dass ein Käufer von Deko-Waffen beim Aufkauf eines ganzen Restbestandes von einem (Dekorations-)Waffenhändler das Risiko sehen kann, dass sich in diesem auch nicht ordnungsgemäß unbrauchbar gemachte Waffen befinden. Wenn ein Gericht davon ausgeht, ist dies jedoch allein als (widerlegbares) Indiz anzusehen.
Das Landgericht Aachen hatte dies noch als Erfahrungssatz angenommen (man fragt sich, wie man auf solche eine Erfahrung kommen möchte, wenn man wirklich Erfahrung im Umgang mit Dekowaffen hat…) und musste sich nun vom BGH ins Stammbuch schreiben lassen, dass man sich bei seiner Beweiswürdigung ausschließlich auf einen Erfahrungssatz gestützt hat, der weder allgemeingültig noch durch eine etwaige dahingehende persönliche Erfahrung des Angeklagten belegt ist.
Dabei befasst sich der BGH hervorragend mit den Urteilsgründen, die aufhorchen lassen und zugleich zeigen, wie wichtig die persönlichen Verhältnisse gerade im Waffenstrafrecht sein können:
Zwar hat das Landgericht gesehen, dass der Angeklagte eine Vielzahl von „Dekorationswaffen“ zwecks Verleih an Film- und Fernsehproduktionen im Keller … und in dem Haus seiner Mutter … lagerte. Die Urteilsgründe lassen indes offen, warum der Angeklagte, der aus beruflichen Gründen ein Interesse an ordnungsgemäß unbrauchbar gemachten Waffen hatte, die Lieferung funktionsfähiger (Kriegs-)Waffen gebilligt haben sollte. Hinweise zum Inhalt des Kaufvertrages enthalten die Urteilsgründe nicht. Die Feststellung, der Angeklagte sei langjähriger Waffensammler, wird nicht belegt; sie liegt angesichts des Fehlens jedweder (kriegs-) waffenrechtlicher Erlaubnis auch fern.
BGH, 2 StR 102/22
Dabei ging es noch weiter: das Landgericht unterstellte dem Angeklagten, vor dem Hintergrund seines schon vorhandenen Waffenbestandes sowie vorhandener Kenntnis der aktuellen gesetzlichen waffenrechtlichen Bestimmungen, dass er bei einem unkontrollierten Kauf auf einem Flohmarkt billigend in Kauf nähme, Besitz an einer Waffe (hier: Revolver) zu erlangen, der mit den geltenden waffenrechtlichen Bestimmungen nicht vereinbar sei. Das aber genügte dem BGH nicht. Dabei macht man beim Bundesgerichtshof deutlich, dass allzu formalisierte Rechtsanwendung im Waffenstrafrecht fehl am Platz ist – und dass die Anforderungen an die Darstellungen durchaus anspruchsvoller sind:
Zum Begriff des Vorsatzes, des bewussten Wollens aller Merkmale des äußeren Tatbestandes, gehört, dass der Täter die nach Gegenstand, Zeit und Ort bestimmte Zuwiderhandlung wenigstens in allen wesentlichen Beziehungen, wenn auch nicht mit allen Einzelheiten der Ausführung in seine Vorstellung und seinen Willen aufgenommen hat (…). Dabei führt die fehlerhafte Vorstellung über die tatsächliche Funktionalität einer Waffe − anders als die fehlerhafte normative Einordnung der in tatsächlicher Hinsicht zutreffend erkannten Waffenqualität (…).
Gemessen hieran ist der Vorsatz des Angeklagten am Besitz einer funktionsfähigen Schusswaffe nicht rechtsfehlerfrei belegt. Es bleibt offen, weshalb der Angeklagte, der den mehr als 100 Jahre alten russischen Revolver nach den Feststellungen vor über 30 Jahren – mithin als junger Mann und rund sechs Jahre vor der Aufnahme seiner Tätigkeit als Verleiher von Requisiten für Film- und Fernsehproduktionen − im zerlegten Zustand erwarb und einlagerte, Kenntnis von dessen tatsächlicher (eingeschränkter) Funktionsfähigkeit nach einem erfolgten Zusammenbau hatte. Feststellungen zum äußeren Erscheinungsbild des zerlegten Revolvers und der technischen Sachkunde des Angeklagten für eine zutreffende Beurteilung in tatsächlicher Hinsicht lassen die Urteilsgründe ebenso vermissen wie eine Erörterung seines Interesses am Erwerb einer (eingeschränkt) funktionstüchtigen 100 Jahre alten Waffe.
BGH, 2 StR 102/22
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