Übergehen von Vortrag durch das Gericht

Der Fall VI ZR 213/22 des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 23. Januar 2024 behandelt die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das Übergehen von Vortrag des Klägers. In diesem Fall ging es um eine ärztliche Behandlung und die daraus resultierenden Schadensersatzansprüche des Klägers.

Der Kläger hatte sich wegen einer Pankreatitis in einem Krankenhaus aufgehalten, wo bei ihm eine Operation durchgeführt wurde, nachdem ein Befund eines nekrotisierenden Adenokarzinoms vorlag. Nach der Operation stellte sich heraus, dass das entnommene Gewebe keine Malignität aufwies. Es kam zu erheblichen Komplikationen, woraufhin der Kläger Schadensersatz forderte.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht wiesen die ab. Der Kläger erhob daraufhin eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH. Der BGH hob das Urteil des Berufungsgerichts teilweise auf und verwies die Sache zurück an das Berufungsgericht, soweit es die Berufung des Klägers gegen die Beklagte zu 2 (das pathologische Institut) zurückgewiesen hatte.

Das Berufungsgericht hatte die Argumentation des Klägers, wie er sich bei korrekter Befundung verhalten hätte, nicht berücksichtigt. Der Kläger hatte ausgeführt, dass er sich bei einem reinen Verdacht auf ein Karzinom keinesfalls für die Operation entschieden hätte. Der BGH stellte fest, dass das Berufungsgericht damit den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt hatte. Diese Verletzung war erheblich, da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es diesen Vortrag berücksichtigt hätte:

Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings nur dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Die Gerichte sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Solche Umstände können insbesondere dann vorliegen, wenn das Gericht wesentliche, das Kernvorbringen eines Beteiligten darstellende Tatsachen unberücksichtigt lässt.

Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in der Begründung der Entscheidung nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert ist. Daraus ergibt sich eine Pflicht der Gerichte, die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen zu verarbeiten (vgl. zuletzt BVerfG[K], BVerfG, Beschluss vom 30. August 2023 – 1 BvR 1654/22, juris Rn. 25 mwN).

Insgesamt zeigt dieser Fall, wie wichtig es ist, dass Gerichte alle relevanten Vorträge der Beteiligten in Betracht ziehen, um dem Anspruch auf rechtliches Gehör gerecht zu werden.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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