Feststellung der Schuldunfähigkeit

Im Strafrecht kennt man die Schuldunfähigkeit (§20 StGB) und die erheblich verminderte Schuldfähigkeit (§21 StGB). Bei der Frage, ob die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ganz ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt mit dem mehrstufig (BGH, 4 StR 446/17,  1 StR 285/16, 4 StR 42/13).

Dazu auch:

Mehrstufige Prüfung der Schuldfähigkeit

Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit eines Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfordert prinzipiell eine mehrstufige Prüfung:

Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist.

Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der Richter für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen.

Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds und bei der Prüfung einer aufgehobenen oder erheblich beeinträchtigten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat.

Hinweis: Folgt das Tatgericht einem Sachverständigen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Darlegungen in den schriftlichen Urteilsgründen so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (siehe hier).

Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit

Im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung ist zwischen der Aufhebung der Einsichtsfähigkeit und der Aufhebung der Steuerungsfähigkeit zu differenzieren: Die Frage der Steuerungsfähigkeit ist erst zu prüfen, wenn der Täter in der Lage ist, das Unrecht seines Tuns einzusehen. Nur in Ausnahmefällen ist in Betracht zu ziehen, dass krankheitsbedingt neben der Einsichtsfähigkeit auch die Steuerungsfähigkeit aufgehoben ist (BGH, 2 StR 394/05).

Bleibt nach den Urteilsgründen zweifelhaft, welche Alternative das Tatgericht annehmen wollte, gefährdet dies den Bestand des Urteils (BGH, 3 StR 521/16 und 4 StR 12/20)

Psychische Störung

Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Beschuldigten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann ist der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen.

Psychiatrische Sachverständigengutachten spielen eine immer grössere Frage – heute sogar bei Strafrichtern, also der Eingangsinstanz bei den Amtsgerichten. Dabei ist die aus amerikanischen Filmen vermittelte „Schuldunfähigkeit als Flucht“ in Deutschland eine tückische Problematik: Wenn schwere Straftaten im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen werden droht regelmässig die Frage einer nach §63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus. Die kann sich, je nach Therapiemöglichkeit, über Jahre hinziehen – empirisches Mittel sind derzeit wohl ca. 8 Jahre die man im Schnitt hier verbringt.

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Jens Ferner

Strafverteidiger

Durch die psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der aufgehobenen Unrechtseinsichtsfähigkeit oder der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten zur Tatzeit um Rechtsfragen (BGH, 4 StR 115/20).

Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, 4 StR 417/12, 3 StR 521/15).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht.