BVerfG zur Gewährung von Akteneinsicht im Strafverfahren an den Nebenkläger

Die an den Nebenkläger entwickelt sich zum zunehmenden Problem, seit OLG- und BGH-Rechtsprechung auf den Trichter gekommen sind, dass man das Recht auf Akteneinsicht nicht unterlaufen dürfe, indem man die Kenntnis der Akte negativ in die Würdigung der späteren Zeugenaussage einstellt. Viele Instanzgerichte verweigern sich diesem „Trend“, der gerade in Sexualstrafverfahren eine ordentliche Wahrheitsfindung effektiv verhindern kann – und nun legt das (1 BvR 2192/21) nach.

Grundsätzlich ist dabei längst geklärt, dass die Gewährung von Akteneinsicht nach § 406e Abs. 1 StPO regelmäßig mit einem Eingriff in Grundrechtspositionen des Beschuldigten, namentlich in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, verbunden ist – und die Staatsanwaltschaft vor Gewährung der Akteneinsicht deshalb zu einer Anhörung des von dem Einsichtsersuchen betroffenen Beschuldigten verpflichtet ist. Eine unterlassene Anhörung stellt mit BVerfG einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar, der durch die Durchführung des Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung nicht geheilt werden kann. Im weiteren führt das BVerfG nunmehr aus:

Die Entscheidung des Amtsgerichts, die die Rechtmäßigkeit der Akteneinsichtsgewährung feststellt, verkennt Bedeutung und Reichweite des Rechts der Beschwerdeführerin auf informationelle Selbstbestimmung dann, wenn und sofern die Beschwerdeführerin vor der gerichtlichen Entscheidung nicht in der von der Verfassung geforderten Art und Weise angehört worden wurde. Ob dies der Fall war, erscheint nach Lage der im verfassungsgerichtlichen Eilverfahren vorgelegten Unterlagen offen.

Insbesondere ist unklar, ob die Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Anhörung über die Gründe des Antrags der Betroffenen auf Akteneinsicht in Kenntnis gesetzt wurde. Insoweit kann dahinstehen, ob – wie vom Amtsgericht der Ermittlungsakte entnommen – der Beschwerdeführerin mit staatsanwaltschaftlicher Verfügung vom 20. Juli 2021 umfassende Akteneinsicht durch Übersendung eines USB-Sticks gewährt wurde oder ob – wie vom Verteidiger der Beschwerdeführerin vorgetragen – dies tatsächlich nicht der Fall gewesen ist. Denn die Begründung des Antrags auf Akteneinsicht durch die Betroffene erfolgte erst mit Schriftsatz vom 29. Juli 2021.

Mangels entsprechender Kenntnis könnte es der Beschwerdeführerin verwehrt gewesen sein, im Hinblick auf die durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geforderte (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Oktober 2006 – 2 BvR 67/06 -, Rn. 9 m.w.N.) und einfachrechtlich in § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO normierte Interessenabwägung sachlich fundiert vorzutragen.

BVerfG, 1 BvR 2192/21
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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