Das Bundesverfassungsgericht (2 BvR 1124/10) hat sich mit dem Auskunftsanspruch der Strafverfolgungsbehörden hinsichtlich IP-Adressen geäußert. In der Sache wurde die Beschwerde zwar nicht zur Entscheidung angenommen, aber das BVerfG hat sich dennoch grundlegend zu einigen Fragen geäußert.
Zum einen wird klargestellt, dass IP-Adressen dem Schutzbereich des Art. 10 GG unterfallen:
Das Fernmeldegeheimnis gewährleistet die Vertraulichkeit der individuellen Kommunikation, wenn diese wegen der räumlichen Distanz zwischen den Beteiligten auf eine Übermittlung durch andere angewiesen ist und deshalb in besonderer Weise einen Zugriff Dritter – einschließlich staatlicher Stellen – ermöglicht. Die Beteiligten sollen weitgehend so gestellt werden, wie sie bei einer Kommunikation unter Anwesenden stünden. Das Grundrecht ist entwicklungsoffen und umfasst nicht nur die bei Entstehung des Gesetzes bekannten Arten der Nachrichtenübertragung, sondern auch neuartige Übertragungstechniken (BVerfGE 46, 120 <144>; 115, 166 <182>). Der Schutzbereich erfasst neben den Kommunikationsinhalten alle näheren Umstände des Fernmeldeverhältnisses und bezieht sich sowohl auf die Tatsache der Kommunikation als auch auf die Verbindungsdaten über Teilnehmer, Anschlüsse und Nummern, unter welchen die Teilnehmer miteinander in Kontakt treten (BVerfGE 107, 299 <312>; 113, 348 <364 f.>; 115, 166 <183>; 120, 274 <307>; 124, 43 <54>; BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 – 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08 -, juris, Rn. 189). Hierzu zählen auch IP-Adressen.
Nun muss die Natur des Art. 10 GG verstanden werden. Der Art. 10 GG schützt – verkürzt ausgedrückt – den „Kommunikationsvorgang als solchen“. Wer sich auf eine Verletzung des Art. 10 GG beruft, der muss daher klarstellen, dass auch der Kommunikationsvorgang betroffen ist. Wenn Daten außerhalb des Kommunikationsvorgangs erhoben werden, ist der Art. 10 GG nicht mehr betroffen – deswegen scheiterte hier auch die Beschwerde, weil die Beschwerdeführer genau das nämlich nicht hinreichend dargelegt haben.
Das BVerfG sieht sich aber auch das Wesen der „IP-Adresse“ genauer an und wiederholt im Kern seine Ausführungen aus der Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung:
Die Abfrage von Verbindungsdaten aus einem Datensatz, der aufgrund einer anlasslosen systematisch über einen längeren Zeitraum vorgenommenen Speicherung erstellt wurde, stellt einen intensiveren Eingriff dar als die Abfrage von Daten, die ein Telekommunikationsanbieter in Abhängigkeit von den jeweiligen betrieblichen und vertraglichen Umständen – etwa zu Abrechnungszwecken gemäß §§ 96, 97 TKG – kurzfristig aufzeichnet.
Will heißen: Erhobene Telekommunikationsdaten sind auch im Gesamtbild zu werten. Eine IP-Adresse für sich, einmalig erhoben, ist etwas anderes als eine fortlaufend – im Zusammenhang mit anderen Daten – erhobene IP-Adresse. Damit sehe ich erneut die Tendenz beim BVerfG, dass IP-Adressen sich hinsichtlich der Schutzwürdigkeit einer pauschalen Bewertung entziehen. Ob man damit aber Rückschlüsse auf die Frage des Personenbezugs nach §3 BDSG ziehen kann, bezweifle ich.
Interessant für Webseitenbetreiber ist, dass das BVerfG sich zur Frage äußert, auf welcher Rechtsgrundlage IP-Adressen von Dienstebereibern erhoben werden dürfen (es ging um einen Dienstleister, der ein Bankingportal betreibt):
Als Rechtsgrundlage für eine Speicherung der IP-Adressen kommen sowohl die Vorschriften des Telekommunikations- als auch des Telemediengesetzes in Betracht. Nach § 96 Abs. 2 TKG dürfen Verkehrsdaten über das Ende der Verbindung hinaus nur verwendet werden, wenn dies zum Aufbau weiterer Verbindungen oder für die in §§ 97, 99, 100 und 101 TKG genannten Zwecke – Abrechnungszwecke, Störungsbeseitigung und Missbrauchsbekämpfung – erforderlich ist; im Übrigen sind sie nach Beendigung der Verbindung unverzüglich zu löschen. […] Soweit die Speicherung der IP-Adresse allein für die Herstellung einer verschlüsselten Verbindung unter Nutzung fremder Telekommunikationsdienste erforderlich wäre, kommen als Rechtsgrundlage §§ 14, 15 TMG in Betracht.
Das ist verdient durchaus Beachtung, da das BVerfG hier m.E. ausdrücklich feststellt, dass IP-Adressen auch von Webseiten auf Grund der §§96ff. TKG erhoben werden dürfen. Gerade die Möglichkeit der Erhebung zur Störungsbeseitigung bzw. Missbrauchsbekämpfung sollte hierbei nicht untergehen.
Aus strafrechtlicher Sicht sollte man ein Auge darauf richten, dass das BVerfG (im Umkehrschluss) klar stellt, dass Ermittlungsbehörden sich auf den §161 I StPO stützen können, um einzelne IP-Adressen zu ermitteln. Erst wenn im Gesamtbild ein erhöhter Schutzbedarf festzustellen ist, ist auch zwingend ein Richter zu fragen. Mit der hiesigen Begründung des BVerfG ist das keinesfalls zwingend oder automatisch der Fall.
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