Eine rein arithmetische Betrachtung der Einzelbewertungen der aktuellen dienstlichen Beurteilungen ist bei Auswahlentscheidungen in Beförderungsverfahren grundsdätzlich rechtsfehlerhaft.
OVG Lüneburg (5 ME 50/08), Beschluss vom 09.05.2008
Aus dem Entscheidungstext
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin und der Beigeladene wenden sich mit ihren Beschwerden gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem es der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt hat, den Beigeladenen zum Polizeihauptkommissar (A 11 BBesO) zu befördern, ohne zuvor eine erneute Entscheidung über das Beförderungsbegehren des Antragstellers herbeigeführt zu haben.
Der Antragsteller ist als Kriminaloberkommissar beim Polizeikommissariat C. im kriminalen Ermittlungsdienst tätig.
Der Polizeiinspektion D. wurden sieben Beförderungsstellen nach A 11 BBesO zugewiesen. In der Auswahlentscheidung wählte sie den Beigeladenen als siebten zur Beförderung anstehenden Beamten aus. Der Antragsteller wurde über seine Nichtberücksichtigung mit Schreiben der Polizeiinspektion vom 10. Oktober 2007 benachrichtigt. Mit weiterem Schreiben vom 24. Oktober 2007 begründete die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller die Auswahlentscheidung.
Dem Antrag des Antragstellers,
der Antragsgegnerin einstweilen zu untersagen, die für die Beförderung des Beigeladenen vorgesehene Planstelle eines Polizeihauptkommissars/ Kriminalhauptkommissars (A 11) auf der Grundlage der mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. Oktober 2007 mitgeteilten Auswahlentscheidung zu besetzen, solange eine rechtskräftige Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht ergangen ist,
hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Januar 2008 stattgegeben, und zwar mit folgender Begründung: Die von der Antragsgegnerin zugrunde gelegten Beförderungsrichtlinien vom 2. November 2006 seien hinsichtlich der unter Nr. 3.1 dargestellten Binnendifferenzierung der aktuellen dienstlichen Beurteilung aller Voraussicht nach rechtlich zu beanstanden. Die darin enthaltene Orientierung an dem Maßstab einer Differenz von nicht mehr als 0,49 Wertpunkten für die Annahme einer „wesentlichen Gleichheit“ der Bewerber werde dem sich aus Art. 33 Abs. 2 GG und § 8 Abs. 1 NBG ergebenden Grundsatz der Bestenauslese voraussichtlich nicht gerecht. Denn dies führe im Ergebnis dazu, dass zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber nicht grundsätzlich und in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückgegriffen werde. Vielmehr werde damit auf Hilfskriterien abgestellt, obwohl eine Differenzierung nach unmittelbar leistungsbezogenen Kriterien ohne Weiteres möglich sei. Es seien Fälle denkbar, in denen nach den Beförderungsrichtlinien trotz eines augenfälligen Übergewichts von besseren Bewertungen in den Einzelmerkmalen von einer wesentlichen Gleichheit des Leistungsstandes der Beamten auszugehen sei. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller ohne die Orientierung an diesem fehlerhaften Maßstab ausgewählt worden wäre, weil er in der Vorbeurteilung bei allen Einzelmerkmalen gleich oder besser bewertet worden sei als der Beigeladene und bei der Beurteilung zum Stichtag 1. November 1999 sogar eine bessere Gesamtnote als der Beigeladene erhalten habe.
Zur Begründung der hiergegen gerichteten Beschwerde macht die Antragsgegnerin geltend, die in den Beförderungsrichtlinien geregelte Binnendifferenzierung sei rechtlich nicht zu beanstanden, weil sie sowohl den Durchschnitt der Leistungs- und Befähigungsmerkmale insgesamt als auch den Durchschnitt der gewichteten Leistungs- und Befähigungsmerkmale in den aktuellen Beurteilungen berücksichtige. Der Korridor von 0,49 Wertpunkten orientiere sich sachgerecht an dem Beurteilungssystem bei den Einzelmerkmalen mit Zwischenstufen mit jeweiligen 0,50 Bewertungen. Diese Regelung biete den Beurteilern vielschichtige Möglichkeiten, in einer Beurteilung innerhalb einer Gesamtbewertung die Leistungen und Fähigkeiten differenziert zu bewerten. Wegen der Größe der Vergleichsgruppe – hier: 44 Bewerber – sei eine individuelle Auswertung der Einzelmerkmale nicht möglich. Daher könne die Berücksichtigung der Binnendifferenzierung als vorrangiges Auswahlkriterium vor Hilfskriterien nur mathematisch-rechnerisch vorgenommen werden. Zur Vermeidung eher zufälliger Abstufungen dürfe kein zu kleiner Bewertungsunterschied als entscheidungserheblich berücksichtigt werden, so dass der Korridor von 0,49 Wertpunkten sachgerecht sei. Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Auswahl des Antragstellers erscheine möglich, sei nicht zu folgen. Da der Antragsteller bereits bei dem aus Sicht des Verwaltungsgerichts zu hohen Wert von 0,49 für die Annahme einer wesentlichen Gleichheit nicht mehr habe berücksichtigt werden können, sei es tendenziell ausgeschlossen, dass er bei einem noch strengeren Maßstab bei der Binnendifferenzierung ausgewählt werden könnte. Die von dem Verwaltungsgericht herangezogenen Vorbeurteilungen des Antragstellers berücksichtigten nicht, dass sich seine Leistungen tendenziell zwischen 2002 und 2005 kaum verbessert hätten, während beim Beigeladenen eine erkennbar aufsteigende Tendenz vorliege. Die Binnendifferenzierung der aktuellen Beurteilungen zeige auf, dass die Leistungseinschätzung beim Antragsteller zugunsten des Beigeladenen um 0,30 bzw. um 0,27 Wertpunkte auseinander liege. Dieser Leistungsunterschied trage die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen und sei nicht zu beanstanden. Der Dienstposten des Antragstellers, der dem Qualifizierungspool „Erste Führungsfunktion“ angehöre, sei nicht als höherwertig zu betrachten.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 28. Januar 2008 zu ändern und den Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.
Der Beigeladene begründet seine gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts eingelegte Beschwerde wie folgt: Die Grenze bei einer Binnendifferenzierung sei etwa bei 0,33 Wertpunkten zu ziehen, weil zahlreiche anerkannte Beurteilungssysteme eine Dreiteilung innerhalb der Vollnote vornähmen. Eine Binnendifferenzierung dürfe nicht streng mathematisch erfolgen; die Beförderungsrichtlinien müssten deshalb regeln, dass zwei Beamte jedenfalls dann nicht mehr im Wesentlichen leistungsgleich seien, wenn sich mathematisch ein bestimmter Punktwert der Binnendifferenzierung errechnen lasse. Werde dieser Wert nicht erreicht, müsse eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen werden. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass der Antragsteller ohne die Orientierung an der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Binnendifferenzierung ausgewählt worden wäre, sei allerdings unzutreffend. Wenn eine Entscheidung schon nach dem nach Ansicht des Verwaltungsgerichts zu groben Maßstab nicht zugunsten des Antragstellers ausgefallen sei, könne dies erst recht nicht bei Anwendung eines feineren Differenzierungsmaßstabes der Fall sein. Unzutreffend habe das Verwaltungsgericht lediglich auf die Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen abgestellt und diejenige des KOK „P.“ unberücksichtigt gelassen. Wären im Zuge des Auswahlvorgangs nur der Antragsteller und der Beigeladene zu vergleichen gewesen, wäre diese Auswahlentscheidung auch nach den Maßstäben der Antragsgegnerin zugunsten des Beigeladenen ausgefallen. Der Antragsteller müsse sich im Rahmen der Auswahlentscheidung an den Leistungen des Beamten „P.“ messen lassen. Diese Auswahlentscheidung habe keinesfalls zugunsten des Antragstellers ausfallen können. Im Übrigen erfülle auch er, der Beigeladene, die Voraussetzungen für die Aufnahme in den Förderpool und nehme herausgehobene Aufgaben wahr. Es sei zwar richtig, dass der Antragsteller vor etwa acht Jahren besser beurteilt worden sei; dieses Kriterium sei jedoch nicht vor dem der Binnendifferenzierung heranzuziehen, zumal sich die Leistungen des Antragstellers nicht als besonders kontinuierlich darstellen würden.
Der Beigeladene beantragt ebenfalls,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 28. Januar 2008 zu ändern und den Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Er trägt vor, die Antragsgegnerin habe sich nicht an allgemein gültige Wertmaßstäbe bei der Feststellung der relativen Gleichheit gehalten. Sie teile die konkurrierenden Beamten in verschiedene Bezugsgruppen ein, um dann aus der letzten Bezugsgruppe den zu befördernden Beamten auszuwählen. Aus dieser Gruppe sei nicht der leistungsstärkste Beamte KOK „P.“ mit dem höheren Wert bei den gewichteten Merkmalen von 4,7 ausgewählt worden, sondern der Beigeladene. Anschließend sei es von der Antragsgegnerin unterlassen worden, den Beigeladenen mit allen ihm gegenüber relativ gleichen Beamten zu vergleichen. Im Übrigen gehöre KOK „P.“ als „Taktgeber“ bei den gewichteten Merkmalen mit dem Wert 4,7 aufgrund eines Disziplinarverfahrens nicht mehr der Konkurrentengruppe an. Das Verwaltungsgericht habe zutreffend festgestellt, dass es bei inhaltlicher Ausschöpfung der Bewertung der Einzelmerkmale nicht ausgeschlossen erscheine, ihn, den Antragsteller, und den Beigeladenen als im Wesentlichen gleich anzusehen mit der Folge, dass ggf. auf die Vorbeurteilungen abgestellt werden müsse, wobei er, der Antragsteller, bei der Beurteilung zum Stichtag 1. November 1999 besser bewertet worden sei als der Beigeladene. Bei ihm sei kein Leistungsabfall festzustellen. Die verschlechterten Beurteilungswerte seien damit zu erklären, dass 2005 ein Beurteilerwechsel stattgefunden habe. Zudem sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er Angehöriger des Förderpools gehobener Dienst bei der PI E. gewesen sei. Zwischenzeitlich seien bei der PI E. zwei Beamte nach der Besoldungsgruppe A 11 befördert worden, die im Vergleich zu ihm, dem Antragsteller identisch und sogar leicht schwächer bewertet worden seien. Ausschlaggebend seien bei diesen Beförderungen wegen wesentlicher Leistungsgleichheit die längere Stehzeit im gehobenen Dienst bzw. die längere Stehzeit im Amt gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Die Beschwerden der Antragsgegnerin und des Beigeladenen sind zulässig, aber unbegründet.
Die Prüfung der mit den Beschwerden dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) führt dazu, dass das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht zu der Einschätzung gelangt ist, dass der Antragsteller gemäß § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht hat, sein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung sei verletzt.
Auswahlentscheidungen unterliegen als Akt wertender Erkenntnis lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet hat, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien (Verwaltungsvorschriften) verstoßen hat (vgl.: BVerwG, Urt. v. 16.08.2001 – BVerwG 2 A 3.00 -, BVerwGE 115, 58; Nds. OVG, Beschl. v. 21.08.2006 – 2 ME 1032/06 -; Beschl. v. 05.06.2003 – 2 ME 123/03 -, NdsVBl. 2003, 238 = NVwZ-RR 2003, 878 = NordÖR 2003, 311, m.w.N.).
Dem bei der Einweisung in eine höhere Planstelle zu beachtenden Grundsatz der
Bestenauslese, der sich aus Art. 33 Abs. 2 GG, § 7 BRRG und § 8 Abs. 1 NBG ergibt, entspricht es, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Dies sind regelmäßig die aktuellen dienstlichen Beurteilungen (vgl.: BVerwG, Urt. v. 27.02.2003 – BVerwG 2 C 16.02 -, IÖD 2003, 170; Urt. v. 19.12.2002 – BVerwG 2 C 31.01 -, IÖD 2003, 147; Nds. OVG, Beschl. v. 21.08.2006 und 05.06.2003, a.a.O.). Ältere dienstliche Beurteilungen können aber daneben als zusätzliche Erkenntnismittel berücksichtigt werden. Sie stellen indes keine sogenannten Hilfskriterien für eine noch zu treffende Auswahlentscheidung dar, sondern ihnen kommt gegenüber den Hilfskriterien eine vorrangige Bedeutung zu, weil sie anders als die Hilfskriterien unmittelbar bedeutende Rückschlüsse und Prognosen über die künftige Bewährung des Bewerbers in dem angestrebten Beförderungsamt ermöglichen. Zwar verhalten sie sich nicht zu dem nunmehr erreichten Leistungsstand des Beurteilten. Gleichwohl können sie vor allem bei einem Vergleich von Bewerbern bedeutsame Rückschlüsse und Prognosen über die zukünftige Bewährung in einem Beförderungsamt ermöglichen. Dies kommt namentlich dann in Betracht, wenn in den früheren Beurteilungen positive oder negative Aussagen über Charaktereigenschaften oder Erkenntnisse, Fähigkeiten, Verwendungen und Leistungen sowie deren voraussichtliche weitere Entwicklung enthalten sind. Vor allem dann, wenn eine Stichentscheidung unter zwei oder mehr Beamten zu treffen ist, deren Leistungsstand in den aktuellen Beurteilungen im Wesentlichen gleich beurteilt worden ist, ist es mit Blick auf Art. 33 Abs. 2 GG geboten, die früheren Beurteilungen bei der Auswahl zu berücksichtigen (vgl.: BVerwG, Urt. v. 19.12.2002 und 27.02.2003, a.a.O.; Nds. OVG, Beschl. v. 21.08.2006 und 05.06.2003, a.a.O.). Ebenso können sich, ohne dass insoweit ein Rückgriff auf ältere dienstliche Beurteilungen geboten wäre, leistungsbezogene Auswahlkriterien allein aus den aktuellen dienstlichen Beurteilungen ergeben, wenn sich im Rahmen einer sogenannten Binnendifferenzierung aus innerhalb einer Notenstufe vergebenen Punktzahlen oder Bewertungszusätzen wie „oberer Bereich“, „mittlerer Bereich“ oder „unterer Bereich“ eine Differenzierung hinsichtlich Eignung, Befähigung oder fachlicher Leistung ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.02.2003, a.a.O.; Nds. OVG, Beschl. v. 21.08.2006, a.a.O.; Beschl. v. 04.06.2004
– 2 ME 850/04 -) oder eine solche Differenzierung aus den Bewertungen der Einzelmerkmale hergeleitet werden kann.
Mit diesen Grundsätzen steht die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin nicht im Einklang. Zwar hat die Antragsgegnerin zutreffend nach Maßgabe ihrer Beförderungsrichtlinien vom 6. November 2006 zunächst als Hauptkriterium die Gesamturteile der aktuellen sowie der vorletzten dienstlichen Beurteilung der Bewerber gegenübergestellt (Nr. 3.1 der Beförderungsrichtlinien) und festgestellt, dass der Antragsteller und der Beigeladene in den Beurteilungen jeweils das gleiche Gesamturteil „Übertrifft erheblich die Anforderungen“ (4) erzielt haben.
Die von der Antragsgegnerin vorgenommene, in Nr. 3.1 der Beförderungsrichtlinien vorgesehene „Binnendifferenzierung“ der aktuellen dienstlichen Beurteilungen ist jedoch rechtlich zu beanstanden. Nach Nr. 3.1 der Beförderungsrichtlinien ist bei einer wesentlichen Gleichheit der Gesamturteile der aktuellen und der vorletzten Beurteilung die Binnendifferenzierung der aktuellen dienstlichen Beurteilung vorzunehmen, wobei dienstliche Beurteilungen als wesentlich gleich zu behandeln sind, soweit sie nicht mehr als 0,49 Wertpunkte im Durchschnitt der Leistungs- und Befähigungsmerkmale und im Durchschnitt der gewichteten Leistungs- und Befähigungsmerkmale voneinander abweichen. In ihrem an die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gerichteten Schreiben vom 24. Oktober 2007 hat die Antragsgegnerin zur Begründung der Auswahlentscheidung ausgeführt, es sei für alle sieben ausgeschriebenen Dienstposten von den Binnenwerten des KOK „P.“ in Höhe von 4,45 (Durchschnitt aller Einzelmerkmale) und 4,7 (Durchschnitt der gewichteten Einzelmerkmale in der aktuellen Beurteilung) auszugehen. Hieran gemessen seien die Binnenwerte des Beigeladenen mit 4,45 und 4,50 als mit denen des KOK „P.“ im Wesentlichen gleich anzusehen, weil diese Binnenwerte nicht um mehr als 0,49 Wertpunkte von denen des KOK „P“ abwichen. Demgegenüber würden die Binnenwerte des Antragstellers in Höhe von 4,18 und 4,20 mehr als 0,49 Wertpunkte von dem Binnenwert des KOK „P.“ abweichen, so dass sein Leistungsstand als nicht im Wesentlichen gleich anzusehen sei.
Im Ergebnis zutreffend hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass diese in Nr. 3.1 der Beförderungsrichtlinien geregelte „Binnendifferenzierung“ der aktuellen dienstlichen Beurteilung rechtsfehlerhaft ist.
Die Regelung der Nr. 3.1 der Beförderungsrichtlinien entspricht bereits nicht den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu sog. Binnendifferenzierungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.2.2003, a.a.O.). Danach sind Binnendifferenzierungen in Beurteilungsrichtlinien vorgesehene verbale Zusätze zur abgestuften Bewertung innerhalb von Gesamtnoten (wie z.B. „oberer Bereich“ und „unterer Bereich“) oder innerhalb der Notenstufe des Gesamturteils einer Beurteilung vergebene Punktzahlen (wie z.B. „gut“ in den Varianten 11, 12 oder 13 Punkten). Nr. 3.1 der Beförderungsrichtlinien regelt aber nicht die Verwendung derartiger Binnendifferenzierungen innerhalb der Gesamtnoten – dies wäre allein den Beurteilungsrichtlinien vorbehalten -, sondern zieht auf eine ausschärfende Betrachtungsweise der aktuellen dienstlichen Beurteilungen durch Berücksichtigung der Bewertungen der Einzelmerkmale ab. Das Aufzeigen von Bewertungsunterschieden, die sich auf einzelne Beurteilungsmerkmale in den aktuellen Beurteilungen der Konkurrenten beziehen, mit dem Begriff der „Binnendifferenzierung“ zu belegen, ist daher irreführend und angesichts der bundesverwaltungsgerichtlichen Begriffsdefinition im hier verwendeten Sinne unzutreffend (vgl.: Nds. OVG, Beschl. v. 13.10.2006 – 5 ME 115/06 -).
Die der Ausschärfung der aktuellen dienstlichen Beurteilungen dienende Regelung in Nr. 3.1 der Beförderungsrichtlinien wird ferner dem sich aus Art. 33 Abs. 2 GG und § 8 Abs. 1 NBG ergebenden Grundsatz der Bestenauslese nicht gerecht.
Allerdings ist der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Antragsgegnerin mit dieser Verfahrensweise auf Hilfskriterien abstelle, nicht zu folgen. Zutreffend führt das Verwaltungsgericht zwar aus, dass ein Rückgriff auf Hilfskriterien nur dann zulässig ist, wenn sich bei der gebotenen Differenzierung der unmittelbar leistungsbezogenen Kriterien kein Eignungsvorsprung eines Bewerbers feststellen lässt (vgl. Nds.OVG, Beschl. v. 8.9.2006 – 2 ME 1138/06 – und – 2 ME 758/06 -). Die in Nr. 3.1 der Beförderungsrichtlinien geregelte Betrachtung von Einzelmerkmalen der aktuellen dienstlichen Beurteilungen stellt jedoch kein Hilfskriterium entsprechend den in Nr. 3.2 der Beförderungsrichtlinien genannten Hilfskriterien der Stehzeit, der Gesamtdienstzeit, des Lebensalters und der Lehrgangsnote dar, sondern grundsätzlich als ein unmittelbar leistungsbezogenes Kriterium anzusehen.
Die Regelung in Nr. 3.1 der Beförderungsrichtlinien ist aber rechtsfehlerhaft, weil sie – wie es die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall auch praktiziert hat – eine einzige Vergleichsbetrachtung der Leistungen der Bewerber in Bezug auf mehrere Beförderungsstellen vorsieht. Die Antragsgegnerin hat hinsichtlich der sieben zu besetzenden Stellen denjenigen Beamten mit den höchsten Durchschnittswerten in allen und den gewichteten Einzelmerkmalen der aktuellen dienstlichen Beurteilung als sog. „Taktgeber“ bestimmt (POK „P“) und an seinen Durchschnittswerten die übrigen Bewerber gemessen. Die Durchführung eines Rankings als solches ist zwar nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass bei der Besetzung mehrerer Beförderungsstellen für jede Beförderungsstelle ein erneuter Leistungsvergleich der noch verbliebenen Bewerber erforderlich ist. Im vorliegenden Verfahren hat sich der Antragsteller deshalb nicht – wie von der Antragsgegnerin angenommen – mit dem Taktgeber zu messen, sondern er konkurriert mit dem Beigeladenen um die siebte, noch nicht besetzte Beförderungsstelle und ist mit dessen Leistungen zu vergleichen. Dies findet in Nr. 3.1 der Beförderungsrichtlinien keine Berücksichtigung.
Zudem ist die in Nr. 3.1 der Beförderungsrichtlinien geregelte rein arithmetisierende Betrachtung der Einzelbewertungen der aktuellen dienstlichen Beurteilungen rechtsfehlerhaft. Zwar dient diese Regelung dazu, eine rationale und nachvollziehbare Abstufung der Bewerber hinsichtlich ihrer Leistungsstärke zu erzielen. Jedoch bedeutet nach ständiger Rechtsprechung die erforderliche Übereinstimmung zwischen Gesamturteil und Einzelbewertungen einer dienstlichen Beurteilung keine Folgerichtigkeit nach rechnerischen Gesetzmäßigkeiten, etwa in der Art, dass sich die Gesamtwertung als arithmetisches Mittel der Einzelnoten ergeben müsste. Im Gegenteil ist die rein rechnerische Ermittlung des Gesamturteils – ohne eine entsprechende Rechtsgrundlage – unzulässig und es ist bei der Bildung des Gesamturteils der unterschiedlichen Bedeutung der Einzelfeststellungen wertend Rechnung zu tragen, indem diese allgemein oder in Beziehung auf das ausgeübte Amt gewichtet werden (vgl.: BVerwG, Urt. v. 21.03.2007 – BVerwG 2 C 2.06 -, zitiert nach juris Langtext; Urt. v. 24.11.1994 – BVerwG 2 C 21.93 -, BVerwGE 97, 128). Diese im Gesamturteil ausgedrückte wertende Gewichtung von Einzelfeststellungen darf nicht nachträglich bei Beförderungen nivelliert werden. Deshalb sind in Auswahlverfahren um Beförderungsstellen die Einzelfeststellungen mit Blick auf die Anforderungen an den zu besetzenden Dienstposten zu gewichten. Eine solche Verfahrensweise sieht Nr. 3.1 der Beförderungsrichtlinien aber nicht vor.
Für reine Arithmetisierungen bliebe allenfalls dort Raum, wo nach den Gesamturteilen eine wesentliche Leistungs- und Befähigungsgleichheit der Bewerber anzunehmen ist, eine Ausschärfung durch Berücksichtigung der in den Beurteilungen bewerteten Einzelmerkmale vorgenommen wird und im Übrigen keine Anhaltspunkte für jenseits der Reichweite des Rechenwertes liegende Unterschiede bestehen, die sich nur wertender Betrachtung erschließen (vgl. auch: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 06.09.2007 – 1 B 754/07 -, zitiert nach juris Langtext). Dies kann aber nur dann ausnahmsweise der Fall sein, wenn die von den Bewerbern innegehabten Dienstposten mit Blick auf das Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Dienstposten deckungsgleich sind und an die zu besetzenden Dienstposten keine besonderen Anforderungen gestellt werden. Dafür, dass dies hier ausnahmsweise der Fall wäre, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte.
Die Antragsgegnerin kann nicht mit Erfolg einwenden, es sei nicht möglich, die Beurteilungen von 44 Bewerbern individuell einer ausschärfenden Betrachtungsweise zu unterziehen. Denn die hohe Anzahl von Bewerbern entbindet den Dienstherrn nicht von seiner Pflicht, in jedem Einzelfall den sich aus Art. 33 Abs. 2 GG, § 7 BRRG und § Abs. 1 NBG ergebenden Grundsatz der Bestenauslese zu beachten und die einzelnen aktuellen Beurteilungen der Bewerber differenziert mit Blick auf die konkreten Anforderungen an den ausgeschriebenen Dienstposten zu vergleichen. Ein etwaiger Mehraufwand der Antragsgegnerin hat gegenüber dem Anspruch der Bewerber, nach leistungsbezogenen Kriterien ausgewählt zu werden, zurückzustehen (vgl. Nds.OVG, Beschl. v. 8.9.2006 – 2 ME 1137/06 -). Dass dieses Auswahlverfahren einen unverhältnismäßigen Mehraufwand zur Folge hätte, der die Funktionsfähigkeit der Antragsgegnerin gefährden könnte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich (vgl. im Übrigen auch: BVerwG, Urt. v. 17.08.2005 -, BVerwG 2 C 37.04 – BVerwGE 124, 99).
Ob der von der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Korridor von 0,49 Wertpunkten tauglich ist oder – wie das Verwaltungsgericht Oldenburg meint – als verzerrend verworfen müsste, weil er zu weit gefasst sei und von einer wesentlichen Gleichheit der Leistungen der Bewerber nicht mehr gesprochen werden könne, bedarf hier nach alledem keiner Entscheidung.
Die Antragsgegnerin hat auch nicht gemäß § 114 Satz 2 VwGO durch Ergänzung der tragenden Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine Rechtmäßigkeit ihrer Auswahlentscheidung herbeigeführt (vgl. zur grundsätzlichen Zulässigkeit einer solchen Verfahrensweise: Nds.OVG, Beschl. v. 31.05.2006 – 5 ME 254/05 -). Die Möglichkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO findet ihre Grenzen dort, wo das Wesen der ursprünglichen Auswahlentscheidung verändert wird (vgl.: BVerwG, Beschl. v. 20.08.2003 – BVerwG 1 WB 23.03 -, in Schütz, BeamtR ES/A II 1.4 Nr. 1007), indem der Dienstherr sie gleichsam mit einem neuen argumentativen Unterbau versieht (vgl.: Nds. OVG, Beschl. v. 16.05.2007 – 5 ME 116/07 -, zitiert nach juris Langtext). So liegt es hier. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Beschwerdebegründung ausgeführt, dass im Hinblick auf die Bewertungen in den Einzelmerkmalen der aktuellen Beurteilungen die Leistungen des Antragstellers und des Beigeladenen um 0,30 bzw. um 0,27 Wertpunkte auseinander lägen und dieser Leistungsunterschied die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen trage. Mit diesen Erwägungen hat die Antragsgegnerin nicht lediglich ihre ursprüngliche Auswahlentscheidung, die sie auf einen Leistungsvergleich des Antragstellers mit dem Taktgeber und einem Wertunterschied von über 0,49 Wertpunkten nach arithmetisierender Betrachtung der Einzelmerkmale der aktuellen Beurteilungen gestützt hat, ergänzt. Vielmehr hat sie ihre Auswahlentscheidung neu begründet, indem sie nunmehr den Antragsteller unmittelbar mit dem Beigeladenen vergleichen und – im Übrigen entgegen ihrer nach ihrer Auffassung rechtmäßigen Regelung über die Annahme einer wesentlichen Gleichheit bei einer Differenz von bis zu 0,49 Wertpunkten – ihre Ermessensentscheidung tragend auf eine Wertdifferenz von 0,30 bzw. 0,27 Wertpunkten zugunsten des Beigeladenen gestützt hat.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis festgestellt, es sei nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller ohne die Orientierung an die in Nr. 3.1 geregelte Auswertung der aktuellen dienstlichen Beurteilung ausgewählt worden wäre. Zwar ist festzustellen, dass der Beigeladene in seiner aktuellen Beurteilung für drei Einzelmerkmale die höchste Wertungsstufe 5 erhalten hat, während der Antragsteller in den Einzelmerkmalen nicht mit der Stufe 5 bewertet worden ist. Auch in den in den aktuellen Beurteilungen der Bewerber gleichermaßen gewichteten Einzelmerkmalen hat der Beigeladene im Gegensatz zu dem Antragsteller für ein Merkmal die Wertungsstufe 5 erhalten. Ob sich daraus jedoch ein Leistungsvorsprung des Beigeladenen mit Blick auf den ausgeschriebenen Dienstposten ergibt, bedarf einer erneuten Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin. Es erscheint jedenfalls nicht von vornherein als ausgeschlossen, dass bei einem Vergleich der Bewertung der Einzelmerkmale in den aktuellen Beurteilungen im Hinblick auf das Anforderungsprofil des ausgeschriebenen Dienstpostens von einer wesentlichen Gleichheit der Leistungen der Bewerber in den aktuellen dienstlichen Beurteilungen ausgegangen werden könnte und ein weiterer Leistungsvergleich – wie etwa durch eine ausschärfende Betrachtung der Vorbeurteilung – vorzunehmen wäre.
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