Wegfall des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung: Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich einen Anspruch auf Zahlung von Entgeltfortzahlung aus § 611a Abs. 2 BGB iVm § 3 Abs. 1 EFZG. Dieser Anspruch auf Entgeltfortzahlung steht entsprechend § 3 Abs. 1 EFZG dem Arbeitnehmer zu, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Eben dieses Verschulden kann aber durchaus eine Rolle spielen, wenn der Arbeitgeber nämlich vorwirft, dass den Arbeitnehmer ein Verschulden hinsichtlich der Notwendigkeit einer Entgeltfortzahlung trifft.
Das aber wird so schnell nicht anzunehmen sein: Ein Ausschluss der Entgeltfortzahlung kommt grundsätzlich allein bei vorsätzlichem oder besonders leichtfertigen Verhalten in Betracht, also wenn der Arbeitnehmer entweder die Herbeiführung der Arbeitsunfähigkeit bewusst anstrebt, wie zum Beispiel in Fällen der Selbstverstümmelung oder er zumindest sein eigenes Integritätsinteresse in einem Grad von Gleichgültigkeit (nicht nur Sorglosigkeit) missachtet, der in ganz besonderem Maße von der üblichen Risikofreude eines verobjektivierten gesunden Arbeitnehmers abweicht:
Das Verschulden, von dem in § 3 EFZG die Rede ist, unterscheidet sich von der Verantwortlichkeit des Schuldners nach § 276 BGB und der des Straftäters nach § 15 StGB. Bei den beiden letztgenannten Vorschriften geht es um die Verletzung von Sorgfaltspflichten, die der Schuldner oder der Täter gegenüber Dritten hat. Demgegenüber geht es bei dem Verschulden nach § 3 EFZG nicht um eine Sorgfaltspflicht, die den Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber, gegenüber Kollegen oder gar gegenüber der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten trifft, sondern vielmehr um ein Verschulden gegen sich selbst. Wenn in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes davon die Rede ist, dass § 3 EFZG „ganz wesentlich der Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen und damit mittelbar aller Beitragszahler“ diene (BAG v. 18.03.2015 – 10 AZR 99/14 -; BAG v. 12.12.2001 – 5 AZR 255/00 -), so ist damit die Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber gemeint und damit die Entlastung der Krankenkasse von ihrer Pflicht zur Zahlung von Krankengeld (soweit nicht vorsätzliches Verhalten vorliegt, § 52 SGB V); gerade nicht gemeint ist damit der Anspruchsausschluss bei einem Verschulden des Arbeitnehmers gegen sich selbst. Im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist unter „Verschulden“ also ein dem § 254 BGB ähnliches anspruchsbeseitigendes Verschulden gegen sich selbst zu verstehen. Zur Annahme eines solchen „Verschuldens gegen sich selbst“ genügt nicht jede die Arbeitsunfähigkeit herbeiführende Fahrlässigkeit. Voraussetzung ist vielmehr, dass ein grober Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse billigerweise zu erwartende Verhalten vorliegt. Die Arbeitsunfähigkeit darf demnach nicht auf ein unverständiges, ungewöhnlich leichtfertiges oder mutwilliges oder gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen sein (Feichtinger/Malkmus, Entgeltfortzahlungsrecht, EFZG § 3 Rn. 105 – 107). Auf die ausführlichen Hinweise in der Entscheidung des Arbeitsgerichts auf die zu diesem Thema veröffentlichte Rechtsprechung und Literatur wird im Übrigen Bezug genommen.
Landesarbeitsgericht Köln, 6 Sa 647/19
Übrigens: Regelmäßig wird das nicht bei einem Suizidversuch anzunehmen sei (BAG, 5 AZR 611/77).
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