Rassistische Äußerungen am Arbeitsplatz oder durch Arbeitnehmer (in der Öffentlichkeit) sind ein ernstes Problem, das Arbeitgeber nicht tolerieren dürfen. Doch wann genau berechtigen solche Äußerungen zur Kündigung eines Mitarbeiters?
Im Folgenden gehe ich kurz auf die rechtlichen Rahmenbedingungen von Kündigungen nach rassistischen Äußerungen ein. In unserem Blog finden sich zudem Fallbeispiele zur Frage, wann eine Kündigung wegen rassistischer Beleidigungen gerechtfertigt ist.
Grundsatz der Meinungsfreiheit und ihre Grenzen
Grundsätzlich ist die Meinungsfreiheit in Artikel 5 des Grundgesetzes verankert und gewährt jedem das Recht, seine Meinung frei zu äußern – auch im Arbeitsverhältnis. Dazu gehören auch Kommentare im Internet und auf Social-Media-Plattformen.
Doch diese Freiheit hat ihre Grenzen. Die Meinungsfreiheit endet dort, wo die Rechte anderer verletzt werden. Besonders relevant sind hier das Recht auf persönliche Ehre und allgemeine Gesetze wie das Strafgesetzbuch, das Beleidigung und Volksverhetzung unter Strafe stellt. Arbeitgeber stehen daher vor der Herausforderung, eine Balance zwischen der Meinungsfreiheit ihrer Mitarbeiter und dem Schutz der Würde aller Beschäftigten zu finden. In diesem Beitrag beleuchten wir die rechtlichen Grundlagen und Grenzen einer Kündigung wegen rassistischer Äußerungen am Arbeitsplatz.
Meinungsfreiheit vs. arbeitsvertragliche Pflichten
Die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG schützt sowohl Werturteile als auch Tatsachenbehauptungen, sofern sie zur Meinungsbildung beitragen. Dieser Schutz ist jedoch nicht uneingeschränkt. Eine Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn die Meinungsäußerung die arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt, insbesondere die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers und der Kollegen.
Abgrenzung zwischen Werturteil und Tatsachenbehauptung
Für die Beurteilung, ob eine Äußerung unter die Meinungsfreiheit fällt, ist die Abgrenzung zwischen Werturteil und Tatsachenbehauptung entscheidend. Ein Werturteil ist durch subjektive Elemente wie Stellungnahme und Meinungsbildung geprägt, während eine Tatsachenbehauptung objektiv überprüfbar ist. Diese Abgrenzung erfordert eine genaue Ermittlung des objektiven Sinns der Äußerung im Kontext ihrer Äußerung.
Schmähkritik und Formalbeleidigung
Besonders problematisch sind Äußerungen, die als Schmähkritik oder Formalbeleidigung eingestuft werden. Schmähkritik liegt vor, wenn nicht die sachliche Auseinandersetzung, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Formalbeleidigungen sind besonders krasse, aus sich heraus herabwürdigende Schimpfwörter. Beide Formen sind grundsätzlich nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt und können eine Kündigung rechtfertigen.
Abwägung der betroffenen Grundrechte
Die Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ist essenziell. Eine Kündigung ist nur gerechtfertigt, wenn die Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung schwerer wiegt als die Einbuße an Meinungsfreiheit durch deren Verbot. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls, wie die Schwere der Beleidigung, der betriebliche Kontext und mögliche Provokationen, zu berücksichtigen.
Rassistische Äußerungen im Arbeitsverhältnis
Rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen stellen eine erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar. Ein Arbeitnehmer, der Kollegen oder Vorgesetzte rassistisch beleidigt, verstößt gegen seine Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB. Dies kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, insbesondere wenn die Äußerungen strafrechtlich relevant sind oder den Betriebsfrieden stören.
Die gefestigte Rechtsprechung möchte ich wie folgt zusammenfassen: Grobe Beleidigungen von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen darstellen, sind grundsätzlich geeignet, einen Grund zur außerordentlichen Kündigung darzustellen (BAG, 2 AZR 646/11). Es liegt ein erheblicher Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers vor (BAG, 2 AZR 534/08). Gleiches gilt für die Äußerung fremdenfeindlicher oder rassistischer Parolen, speziell wenn sie volksverhetzenden Charakter haben (LAG BW, 2 Sa 94/08). Rassistische Äußerungen und entsprechendes Verhalten sind grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen (LAG BW, 4 Sa 19/19; LAG RP, 3 Sa 249/20).
Um es deutlich zu sagen: Rassistische Äußerungen gefährden den Arbeitsplatz. Wenn Sie im betrieblichen Umfeld geäußert werden, liegt es geradezu auf der Hand, dass eine Kündigung im Raum steht. Doch auch im privaten Umfeld droht eine Kündigung, denn der Betrieb hat ein schützenswertes Interesse an eigener Reputation und einem guten Betriebsklima. Allerdings sind die Anforderungen hier höher.
Beispiele aus der Rechtsprechung
In einem Fall vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz wurde einem KFZ-Meister gekündigt, der mehrfach rassistische Aussagen gegenüber Auszubildenden und Werksstudenten gemacht hatte. Er äußerte unter anderem, dass er „alle Araber in einer Reihe aufstellen und erschießen würde“. Das Gericht bestätigte die außerordentliche Kündigung, da solche Äußerungen den Betriebsfrieden massiv stören und das Vertrauen des Arbeitgebers in den Arbeitnehmer unrettbar zerstören.
Ein weiteres Beispiel ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, in dem die Kündigung eines Mitarbeiters bestätigt wurde, der einem türkischen Kollegen über WhatsApp beleidigende und fremdenfeindliche Nachrichten gesendet hatte. Auch hier sah das Gericht die außerordentliche Kündigung als gerechtfertigt an, da das Verhalten des Mitarbeiters den Betriebsfrieden und das Arbeitsklima erheblich beeinträchtigte.
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Verhältnismäßigkeit und Abmahnung
Bei der Prüfung, ob eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt ist, müssen die Gerichte immer die Verhältnismäßigkeit beachten. Dies bedeutet, dass eine Abmahnung vor der Kündigung in der Regel erforderlich ist, es sei denn, die Pflichtverletzung ist so schwerwiegend, dass eine weitere Zusammenarbeit für den Arbeitgeber unzumutbar ist. Bei groben Beleidigungen oder strafrechtlich relevanten Äußerungen kann eine sofortige Kündigung ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt sein. Ebenso bei öffentlichen Äußerungen mit wirklich gravierender Reichweite.
Allgemeines zur (fristlosen) Kündigung
Es gibt umfangreiche und seit Jahrzehnten gefestigte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Frage der (fristlosen) Kündigung im Arbeitsrecht.
Die spannendsten Aspekte stellen wir hier vor:
Beginn der Erklärungsfrist bei fristloser Kündigung
Die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB beginnt nach Satz 2 der Bestimmung mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person, ist grundsätzlich die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs maßgeblich. Sind für den Arbeitgeber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt, genügt grundsätzlich die Kenntnis schon eines der Gesamtvertreter.
Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Die Kenntnis anderer Personen ist
grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt selbst dann, wenn ihnen Vorgesetzten- oder Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. § 166 BGB findet weder direkte noch analoge Anwendung. Die Darlegungs- und Beweislast für die Wahrung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB trägt der Arbeitgeber, er muss die Umstände schildern, aus denen sich ergibt, wann und wodurch er von den maßgebenden Tatsachen erfahren hat (zu alledem: BAG, 2 AZR 483/21).
Hemmung der Kündigungserklärungsfrist
Kündigungsrecht: Kündigungserklärungsfrist kann gehemmt sein – Der Beginn der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist des § 626 BGB ist gehemmt, solange der Kündigungsberechtigte die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich erscheinenden Aufklärungsmaßnahmen ergreift.
Hierauf wies das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hin. Habe der Arbeitgeber Anhaltspunkte für einen zur Kündigung führenden Sachverhalt, könne er Ermittlungen anstellen und insbesondere den Betroffenen anhören. In dieser Zeit beginne die Kündigungsfrist nicht zu laufen. Fristbeginn sei erst zu dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Ermittlungen abgeschlossen und die Kenntnis des Kündigungssachverhalts habe. Unerheblich sei, ob die Maßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren.
Diese Grundsätze gelten nach Ansicht des LAG sowohl bei einer Tatkündigung als auch bei einer Verdachtskündigung. Bei einer Verdachtskündigung müsse die Anhörung des Arbeitnehmers als Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung erfolgen. Bei der Tatkündigung sei die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers grundsätzlich erforderlich, damit dieser Gelegenheit erhalte, entlastende Umstände vorzubringen. Erst dann habe der Arbeitgeber die Kenntnis aller für und gegen die Kündigung sprechenden Umstände, die für den Beginn der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB maßgeblich seien (LAG Hamm, 19 (9) Sa 232/05).
Fristlose Kündigung aus betriebsbedingten Gründen
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (9 Sa 593/12) hat erklärt, dass eine fristlose Kündigung aus betriebsbedingten Gründen möglich sein kann:
Eine außerordentliche und zugleich fristlose Kündigung aus betriebsbedingten Gründen ist selbst gegenüber einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer regelmäßig unzulässig. Zu prüfen ist, ob dem Arbeitgeber im Fall ordentlicher Kündbarkeit eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar wäre. Das ist bei einer betriebsbedingten Kündigung regelmäßig nicht der Fall. Dem Arbeitgeber ist, wenn aus betrieblichen Gründen eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer entfällt, selbst im Insolvenzfall zumutbar, die Kündigungsfrist einzuhalten (BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 337/08, NZA-RR 2011, 18; BAG v. 8.4.2003 – 2 AZR 355/02, AP Nr. 181 zu § 626 BGB). Führt dies zu Vergütungsansprüchen der Arbeitnehmer aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs, ohne dass der Arbeitgeber eine Verwendungsmöglichkeit für die Arbeitskraft des Arbeitnehmers hat, verwirklicht sich darin lediglich das unternehmerische Risiko des Arbeitgebers (BAG v. 6.10.2005 – 2 AZR 362/04, NZA-RR 2006, 416; BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, AP Nr. 275 zu § 613a BGB; BAG v. 8.4.2003 – 2 AZR 355/02, AP Nr. 181 zu § 626 BGB).
(2)Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung mit einer – notwendig einzuhaltenden – Auslauffrist kommt in Betracht, wenn andernfalls der Ausschluss der ordentlichen Kündigung dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit ggf. noch über Jahre weiterbeschäftigen müsste und ihm dies unzumutbar ist (BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 337/08, NZA-RR 2011, 18; BAG v. 10.5.2007 – 2 AZR 626/05, BAGE 122, 264; BAG v. 8.4.2003 – 2 AZR 355/02, AP Nr. 181 zu § 626 BGB).
Ist das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis auf Dauer sinnentleert, weil eine Arbeitsleistung nicht mehr erbracht werden kann und deshalb auf unzumutbar lange Zeit Vergütung ohne Gegenleistung gezahlt werden müsste, ist der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist gerechtfertigt (BAG v. 6.10.2005 – 2 AZR 362/04, NZA-RR 2006, 416; BAG v. 24.6.2004 – 2 AZR 215/03, AP Nr. 278 zu § 613a BGB). Dem Arbeitgeber soll nichts Unmögliches oder evident Unzumutbares abverlangt werden.
Die fristlose Kündigung kommt mit sozialer Auslaufrist also ausnahmsweise in Betracht, wenn der Arbeitgeber gezwungen wäre, ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis über Jahre hinweg allein durch Gehaltszahlungen, denen keine entsprechende Arbeitsleistung gegenübersteht, aufrechtzuerhalten. Allerdings ist der Arbeitgeber wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündbarkeit in einem besonderen Maß verpflichtet, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden […] Besteht noch irgendeine Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzusetzen, wird es ihm regelmäßig zumutbar sein, den Arbeitnehmer entsprechend einzusetzen. Erst wenn alle denkbaren Lösungsversuche ausscheiden, kann – ausnahmsweise – ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist vorliegen
Nachschieben von Kündigungsgründen
Nachschieben von Kündigungsgründen: Immer wieder für Unsicherheit sorgt bei Kündigungen im Arbeitsrecht die Thematik des „Nachschieben von Kündigungsgründen“. Beim Nachschieben von Kündigungsgründen gilt: Wenn und soweit Kündigungsgründe erst später bekannt und in den Kündigungsschutzprozess eingeführt werden, handelt sich insofern um ein sog. Nachschieben von Kündigungsgründen, das in nicht-mitbestimmten Betrieben nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ohne weiteres zulässig ist.
Nachschieben von Kündigungsgründen
In einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Kündigung sind nicht nur die dem Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch bekannten tatsächlichen Umstände von Bedeutung. So sind auch solche später bekannt gewordenen Umstände zu berücksichtigen – zumindest wenn sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen -, die den ursprünglichen Verdacht abschwächen oder verstärken. Daneben können selbst solche Tatsachen in den Prozess eingeführt werden, die den Verdacht eines eigenständigen – neuen – Kündigungsvorwurfs begründen. Voraussetzung ist, dass der neue Kündigungsgrund bei Ausspruch der Kündigung objektiv schon gegeben, dem Arbeitgeber nur noch nicht bekannt war (siehe hierzu BAG, 2 AZR 102/12 und 2 AZR 296/11 sowie 2 AZR 264/06).
Außerdem muss der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben. Die Notwendigkeit der Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch einer Verdachtskündigung ist Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Sie gründet in der Verpflichtung des Arbeitgebers, sich um eine Aufklärung des Sachverhalts zu bemühen. Sie soll den Arbeitgeber vor voreiligen Entscheidungen bewahren und der Gefahr begegnen, dass ein Unschuldiger von der Kündigung betroffen wird (BAG 2 AZR 206/11 & 2 AZR 474/07). Ist aber – wie beim „Nachschieben“ von Kündigungsgründen – die Kündigung dem Arbeitnehmer bereits zugegangen, kann dessen Stellungnahme sie in keinem Fall mehr verhindern. Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist damit auch mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht unverzichtbar. Die Rechte des Arbeitnehmers werden gleichermaßen dadurch gewahrt, dass er sich im anhängigen Kündigungsschutzprozess gegen den neuen Tatverdacht verteidigen kann (BAG, 2 AZR 102/12 – zusammenfassend Arbeitsgericht Solingen, 1 Ca 1128/19).
Nachschieben von Kündigungsgründen bei fristloser Kündigung
Dies gilt auch bei Kündigungen entsprechend § 626 BGB, denn die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gilt nur für die Erklärung der Kündigung. Ist die Kündigung als solche rechtzeitig erklärt, schließt auch § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ein Nachschieben nachträglich bekannt gewordener Gründe nicht aus (siehe hierzu BAG,2 AZR 102/12 und 2 AZR 362/96). Für die Beurteilung, ob ein nachgeschobener Sachverhalt dem Arbeitgeber schon im Kündigungszeitpunkt bekannt war, kommt es auf den Wissensstand des Kündigungsberechtigten an.
Zeitpunkt der Kenntnis bei Nachschieben von Kündigungsgründen
Zu fordern ist in sachlicher Hinsicht beim Nachschieben von Kündigungsgründen – wie im Rahmen von § 626 Abs. 2 BGB – eine positive, vollständige Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. In personeller Hinsicht kommt es dabei – wie bei § 626 Abs. 2 BGB – auf die entsprechende Kenntnis in der Person des Kündigungsberechtigten an (Landesarbeitsgericht Köln, 4 Sa 329/19). Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person, ist grundsätzlich maßgeblich die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs (siehe BAG, 2 AZR 256/14).
Nachschieben von Kündigungsgründen ist nicht immer möglich
Bei Kündigungsstreitigkeiten ist das Nachschieben von Kündigungsgründen sehr beliebt. Die kann sich aber auch als Falle erweisen. Das zeigt eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln (Urteil vom 15.7.2020, 3 Sa 736/19): In dem Fall war ein schwerbehinderter Arbeitnehmer betroffen. Das LAG machte deutlich, dass hier Kündigungsgründe nicht nachgeschoben werden können. Dies scheitere daran, dass diese Kündigungsgründe dem Integrationsamt regelmäßig vorher nicht mitgeteilt wurden.
Beachten Sie: Die Anhörung des Integrationsamts ist anders als die Betriebsratsanhörung nicht nachholbar.
Voraussetzungen einer Verdachtskündigung
Voraussetzungen einer Verdachtskündigung im Arbeitsrecht: Bereits ein bestehender Verdacht einer Pflichtverletzung des Arbeitnehmers stellt – gegenüber dem verhaltensbezogenen Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen – mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (zusammenfassend BAG, 2 AZR 256/14). Der Verdacht kann im Ergebnis eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers bedingen – ist als so genannte „Verdachtskündigung“ aber an erhebliche Voraussetzungen gebunden.
Grundlage der Verdachtskündigung
Die rechtliche Grundlage der „Verdachtskündigung“ ist der Gedanke, dass ein jedes Arbeitsverhältnis als „personenbezogenes Dauerschuldverhältnis“ naturgemäß ein gewisses gegenseitiges Vertrauen der Vertragspartner voraussetzt. Der schwerwiegende Verdacht einer Pflichtverletzung kann zum Verlust der vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers und damit zu einem Eignungsmangel des Arbeitnehmers führen, der einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht.
Der durch den Verdacht bedingte Eignungsmangel stellt mit dem Bundesarbeitsgericht einen Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers dar, auch wenn die den Verdacht und den daraus folgenden Vertrauensverlust begründenden Umstände nicht unmittelbar mit seiner Person zusammenhängen müssen.
Betriebsgröße & besonderes Vertrauen ohne Bedeutung
Das Vertrauen zum Arbeitnehmer ist ein universeller Grundsatz, so dass eine Verdachtskündigung nicht nur in einem Kleinbetrieb in Betracht kommt – wo der einzelne Arbeitnehmer und sein Arbeitgeber oder dessen Repräsentant unmittelbar zusammenarbeiten. Die Betriebsgröße oder die Unterscheidung zwischen einem „normalen“ Arbeitsverhältnis und einem solchen mit besonderer Vertrauensstellung sind für das Bundesarbeitsgericht keine tauglichen Kriterien, um die grundsätzliche Zulässigkeit einer Verdachtskündigung zu beurteilen. Ein gewisses Vertrauen ist für die Durchführung eines jeden Arbeitsverhältnisses unerlässlich.
Ein Arbeitgeber muss sich darauf verlassen können, dass seine Mitarbeiter die Integrität seiner Rechtsgüter, die von anderen Arbeitnehmern oder ggf. von Dritten nicht vorsätzlich verletzen. Ein darüber hinausgehendes Maß an Vertrauen kann beispielsweise erforderlich sein, wenn ein Arbeitnehmer Kenntnis von Betriebsgeheimnissen erlangt, gefährliche Maschinen bedient, die auch Dritte gefährden können, oder Zugang zu Bargeldbeständen oder anderen Wertgegenständen hat. Eine solche besondere Vertrauensstellung ist aber nicht Teil der Voraussetzungen einer Verdachtskündigung und somit nicht essentiell für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung. Vielmehr ist sie bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber im jeweiligen Einzelfall die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten ist, in die Interessenabwägung einzustellen (siehe hierzu Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 426/18).
Die Verdachtskündigung ist also ausdrücklich keine verhaltensbedingte Kündigung! Eine Verdachtskündigung ist mit dem Bundesarbeitsgericht stets eine personenbedingte Kündigung. Sie wird insbesondere nicht deshalb zu einer Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers, weil dieser die entscheidungserheblichen Verdachtsmomente selbst gesetzt hat. Das BAG stellt insoweit ausdrücklich fest, dass ein Arbeitnehmer nicht dadurch eine eigenständige Pflichtverletzung begeht, dass er sich durch ein für sich genommen pflichtwidriges Verhalten einer weiter gehenden, schwerer wiegenden Pflichtverletzung (nur) verdächtig macht:
Ist zB der Arbeitnehmer – insoweit unstreitig – immer wieder in dem Bereich „herumgeschlichen“, aus dem Gegenstände abhandengekommen sind, kann dies nur unter zwei Umständen eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen: Das Gericht muss entweder – auch – aufgrund des „Herumschleichens“ davon überzeugt sein, der Arbeitnehmer habe die Gegenstände entwendet, oder das „Herumschleichen“ muss als solches eine Pflichtverletzung darstellen, weil der Arbeitnehmer den betreffenden Bereich nicht betreten durfte. In beiden Fällen handelte es sich um Tatkündigungen. Stellt das „Herumschleichen“ für sich genommen keine Pflichtverletzung dar und vermag sich das Gericht nicht davon zu überzeugen, der Arbeitnehmer sei der „Täter“, kommt – unter den weiteren Voraussetzungen einer Verdachtskündigung – allenfalls eine personenbedingte Kündigung in Betracht.
Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 426/18
Unschuldsvermutung hindert nicht die Verdachtskündigung
In unserem Rechtssystem ist die Unschuldsvermutung fest verankert, insbesondere in Art. 6 Abs. 2 EMRK. Mit gefestigter Rechtsprechung steht die Unschuldsvermutung einer Verdachtskündigung aber nicht entgegen. Denn diese Vermutung bindet unmittelbar lediglich den Richter, der über die Begründetheit der Anklage zu entscheiden hat (BAG, 2 AZR 164/94). Hingegen können Rechtsfolgen, die – wie die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – keinen Strafcharakter besitzen, in gerichtlichen Entscheidungen an einen Verdacht geknüpft werden (inzwischen gefestigte Rechtsprechung, siehe nur BVerfG, 2 BvR 254/88, 2 BvR 1343/88; BAG, 6 AZR 845/13; EGMR, 15374/11).
Natürlich gilt der Grundsatz, dass durch staatliche Stellen die strafrechtliche Verantwortung eines beschuldigten, angeschuldigten oder angeklagten Arbeitnehmers nicht vorweggenommen oder gar ein erfolgter Freispruch infrage gestellt werden darf. Doch hindern für das Bundesarbeitsgericht ein anhängiges Strafverfahren und selbst ein rechtskräftiger Freispruch jedenfalls dann nicht die Annahme, eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei wirksam, wenn dem eine eigene richterliche Würdigung auf der Grundlage eines geringeren Beweismaßes zu Grunde liegt und sich das Arbeitsgericht einer strafrechtlichen Bewertung enthält. Das gilt für eine verhaltensbedingte Tatkündigung und dann eben erst recht für eine personenbedingte Verdachtskündigung.
Voraussetzungen einer Verdachtskündigung
Mit dem Bundesarbeitsgericht erfordert der besondere Schutz der Arbeitnehmer, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung sozial nur dann gerechtfertigt ist, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Es sind also die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung heran zu ziehen. Dies ergibt folgende Prüfpunkte bei einer Verdachtskündigung:
- Dringlichkeit des Verdachts
- Zumutbare Aufklärung, insbesondere Gelegenheit zur Stellungnahme
- Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
- Keine starre Frist für Kündigungserklärung
Dringlichkeit des Verdachts
Der Verdacht muss auf konkreten, vom Kündigenden darzulegenden und mit dem „vollen“ Maß des § 286 Abs. 1 ZPO zu beweisenden Tatsachen beruhen, da sonst die oraussetzungen einer Verdachtskündigung schlicht nicht anzunehmen sind. Der Verdacht muss zudem als Voraussetzung einer Verdachtskündigung dringend sein. Das bedeutet, es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Verdacht auch zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen mit dem Bundesarbeitsgericht nicht aus (BAG 2. März 2017 – 2 AZR 698/15 – Rn. 22; 18. Juni 2015 – 2 AZR 256/14 – Rn. 21).
Aufklärung des Verdachts
Eine Verdachtskündigung kommt jedenfalls so lange nicht in Betracht, wie der Arbeitgeber die zumutbaren Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts nicht ergriffen hat – dies ist ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
Dazu gehört insbesondere, dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Verdachtsmomenten zu geben, um dessen Einlassungen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können. Versäumt der Arbeitgeber diese Anhörung, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen; die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam, da die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung nicht vorliegen (BAG, 2 AZR 611/17 – Rn. 31).
Weitere Voraussetzungen einer Verdachtskündigung
Die Verdachtskündigung beruht auf der Erwägung, dass dem Arbeitgeber von der Rechtsordnung die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses unter dem dringenden Verdacht auf ein Verhalten des Arbeitnehmers, das ihn – den Arbeitgeber – zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde, nicht zugemutet werden kann. Besteht dagegen der Verdacht auf das Vorliegen eines solchen Grundes nicht, weil selbst erwiesenes Fehlverhalten des Arbeitnehmers die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen könnte, überwiegt bei der Güterabwägung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG dessen Bestandsinteresse. In einem solchen Fall nimmt das Bundesarbeitsgericht das im Fall einer Verdachtskündigung besonders hohe Risiko, einen „Unschuldigen“ zu treffen, nicht in Kauf (BAG, 2 AZR 797/11).
Zeitpunkt der Aussprache der Verdachtskündigung
Anders als für eine außerordentliche Verdachtskündigung besteht keine starre Frist, innerhalb derer der Arbeitgeber das Recht zur ordentlichen Verdachtskündigung ausüben müsste. Denn die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gilt nur für außerordentliche Kündigungen und eine entsprechende Anwendung auf ordentliche Kündigungen scheidet aus (BAG, 2 AZR 514/01).
Jedoch kann ein längeres Abwarten zu der Annahme führen, die Kündigung sei nicht durch den Verlust des vertragsnotwendigen Vertrauens „bedingt“. Es muss also abgewägt werden, da ein längeres Zuwarten des Arbeitgebers trotz Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Umständen zu der Annahme führen kann, es liege kein objektiver Grund in Form des Verlustes des vertragsnotwendigen Vertrauens vor. Wann dies der Fall ist, hängt im Ergebnis von den Umständen des Einzelfalls ab:
- Es muss bedacht werden, dass der Arbeitgeber nicht zu einer voreiligen Kündigung gedrängt werden darf, sondern in Ruhe prüfen können soll, ob es zumutbar ist, den Arbeitnehmer auf Dauer weiterzubeschäftigen.
- Andererseits ist zu beachten, dass eine ordentliche Verdachtskündigung durch den eingetretenen Vertrauensverlust nur dann iSv. § 1 Abs. 2 KSchG „bedingt“ sein kann, wenn das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, – wäre es erwiesen – sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte. Das spricht dafür, dass sich der Arbeitgeber auch bei einer ordentlichen Verdachtskündigung zügig entscheiden muss.
- Es ist aber auf gar keinen Fall mit Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG zu vereinbaren, wenn der Arbeitgeber einen Kündigungsgrund über längere Zeit „auf Vorrat“ hält, um ihn bei passend erscheinender Gelegenheit geltend zu machen und ein beanstandungsfrei fortgesetztes Arbeitsverhältnis zu einem beliebigen Zeitpunkt kündigen zu können
Fazit: Voraussetzungen einer Verdachtskündigung
Die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung sind an hohe aber nicht unüberwindbare Hürden geknüpft. Arbeitgeber sind gut beraten, einerseits keine übereilte Verdachtskündigung auszusprechen und insbesondere die Anhörung des Arbeitnehmers sicherzustellen. Andererseits darf man das (unangenehme) Thema auch nicht auf die allzu lange Bank schieben.
Im Rahmen der Aufklärung sollten Arbeitgeber nicht unterschätzen, welche Anforderungen einerseits an den Vortrag gestellt werden im Kündigungsschutzprozess; andererseits aber auch nicht unterschätzen, welche Anforderungen an eine zulässige Mitarbeiterüberwachung gestellt werden. Die datenschutzrechtlichen Vorgaben müssen hier dringend und zwingend beachtet werden und sollten von Beginn an vom internen Datenschutzbeauftragten und einem – die Kündigung vorbereitenden – Rechtsberater begleitet werden. Denn auch wenn die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung vorliegen, kann hier weiterer Ungemach drohen.
Checkliste zur fristlosen Kündigung
Checkliste fristlose Kündigung: Welche Voraussetzungen müssen bei einer fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses beachtet werden? Die folgende Checkliste für die fristlose Kündigung schildert, in welchen Situationen eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht kommt und welche Voraussetzungen der Arbeitgeber bei einer fristlosen Kündigung beachten muss.
Damit eine fristlose Kündigung wirksam ist und das Arbeitsverhältnis tatsächlich beendet, müssen grundsätzlich jedenfalls folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
1. Wichtiger Grund bei fristloser Kündigung
Die fristlose Kündigung muss durch einen „wichtigen Grund“ gerechtfertigt sein. Die Verfehlung des Mitarbeiters muss also so schwer wiegen, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist.
Beachten Sie: Es geht nicht darum, ob es dem Arbeitgeber zumutbar ist, den Arbeitnehmer auf Dauer weiterzubeschäftigen. Maßgeblich ist allein, ob eine Weiterbeschäftigung für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist hinzunehmen ist! Bedenken Sie, dass eine Fortbeschäftigung des Mitarbeiters bei kurzen Kündigungsfristen eher zumutbar ist als bei längeren Fristen.
2. Interessenabwägung
Der zweite Punkt unserer Checkliste zur fristlosen Kündigung: Auch wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der an sich eine fristlose Kündigung rechtfertigt, muss trotzdem immer geprüft werden, ob gerade in diesem Fall nicht doch besondere Gründe für eine Weiterbeschäftigung sprechen. Im Rahmen der Interessensabwägung von Arbeitnehmer und -geber sind insbesondere die Dauer der Betriebszugehörigkeit, der Umfang des durch die Pflichtverletzung verursachten Schadens, eine Wiederholungsgefahr sowie Unterhaltspflichten des Mitarbeiters und die bisherige Zusammenarbeit zu berücksichtigen.
Ob ein wichtiger Grund gegeben ist, muss also in jedem Einzelfall geprüft werden. Die gleiche Handlung kann bei einem Arbeitnehmer eine fristlose Kündigung rechtfertigen, bei einem anderen nicht.
3. Alternative Reaktionsmöglichkeiten zur Kündigung
Die fristlose Kündigung muss verhältnismäßig sein, dieser Punkt darf in keiner Checkliste zur fristlosen Kündigung fehlen. Das heißt, die sofortige Entlassung muss in Anbetracht des Fehlverhaltens die unausweichlich letzte Maßnahme sein.
Wichtig: Prüfen Sie zunächst, ob es ein milderes Mittel gibt, um das Problem mit dem Mitarbeiter zu lösen. Denn die Kündigung ist keine Bestrafung, sondern soll vertragstreues Verhalten für die Zukunft sicherstellen. Kann dies durch eine Abmahnung, Versetzung, Änderungskündigung oder eine ordentliche Kündigung erreicht werden, ist eine fristlose Kündigung unverhältnismäßig und somit unwirksam.
Grundsätzlich müssen Sie ein Fehlverhalten zunächst abmahnen und im Wiederholungsfall kündigen. Eine Ausnahme gilt bei besonders schwerwiegenden Verstößen und solchen, die sich unmittelbar auf das Vertrauensverhältnis zu Ihrem Mitarbeiter auswirken (zum Beispiel Diebstahl, Spesenbetrug, Bedrohung). Hier können Sie auf eine Abmahnung verzichten und beim ersten Verstoß kündigen.
4. Schriftform
Wie eine ordentliche Kündigung muss auch eine fristlose Kündigung schriftlich erklärt werden und der Zugang der Kündigung nachgewiesen werden können.
5. Erklärungsfrist von zwei Wochen
Wenn Sie von den maßgebenden Gründen für die Kündigung Kenntnis erlangen, haben Sie nur zwei Wochen Zeit, um die fristlose Kündigung zu übermitteln. Besteht zunächst nur ein Verdacht oder ist Ihnen der Sachverhalt nur bruchstückhaft bekannt, müssen Sie entsprechende Ermittlungen zügig anstellen.
Unser Tipp: Hören Sie den Mitarbeiter an. Häufig stellt sich der Sachverhalt weniger dramatisch dar, wenn man die Sichtweise beider Seiten kennt. Basiert die Kündigung nur auf einem bloßen Verdacht, ist die Anhörung sogar Pflicht! Führen Sie dieses Gespräch zu zweit, damit Sie einen Zeugen haben! Machen Sie sich Notizen, so dass Gesprächsverlauf und -inhalt auch später noch dargestellt werden können.
Entscheidend für die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist ist der Zugang des Kündigungsschreibens beim Arbeitnehmer. Da das Einhalten dieser Frist eine der Voraussetzungen der Wirksamkeit der Kündigung ist, sollten Sie den Tag notieren, an dem Ihnen die Vorwürfe zugetragen wurden, um die Frist nicht zu versäumen.
Unser Tipp: Sorgen Sie dafür, dass Sie nachweisen können, dass die Kündigung dem Mitarbeiter rechtzeitig zugegangen ist. Übersenden Sie die Kündigung daher keinesfalls per Post, und zwar auch nicht per Einschreiben oder Einschreiben/Rückschein! Holt der Mitarbeiter das Einschreiben nämlich nicht bei der Post ab, wird das Schreiben an Sie zurückgeschickt. Die Kündigung geht dem Arbeitnehmer dann nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist zu. Übergeben Sie die Kündigung daher entweder persönlich (gemeinsam mit einem Zeugen) oder lassen Sie sie durch einen Boten zustellen. Lassen Sie sich von dem Boten dann eine schriftliche Zustellungsbestätigung geben und stellen Sie sicher, dass er/sie in einem etwaigen Kündigungsschutzverfahren als Zeuge zur Verfügung steht! Grundsätzlich kann jeder als Bote in Betracht kommen, auch ein Taxifahrer (denken Sie daran, sich dessen Namen und Anschrift zu notieren, denn sonst können Sie ihn im Streitfall nicht als Zeugen benennen).
6. Anhörung des Betriebsrats
Wie bei einer ordentlichen Kündigung muss der Betriebsrat (wenn ein solcher existiert) über sämtliche Gründe informiert werden, die Sie zur Kündigung veranlasst haben. Der Betriebsrat hat dann drei Tage Zeit, um eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.
Wichtig: Die Anhörung muss innerhalb der Zwei-Wochen-Frist für den Zugang der Kündigung beim Arbeitnehmer abgeschlossen sein. Stellen Sie daher sicher, dass Sie die Anhörung so rechtzeitig (mindestens vier Tage vor Ablauf der Frist) einleiten, dass sich der Betriebsrat noch innerhalb der Zwei-Wochen-Frist äußern kann und die fristgemäße Zustellung der Kündigung gelingt.
Private Äußerungen und der Arbeitsplatz
Auch private Äußerungen in sozialen Netzwerken oder Chat-Gruppen können arbeitsrechtliche Konsequenzen haben, wenn sie den Betriebsfrieden stören oder das Ansehen des Arbeitgebers schädigen. So hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass auch private Chats, die rassistische oder beleidigende Inhalte enthalten, eine fristlose Kündigung rechtfertigen können, besonders wenn sie eine breite Öffentlichkeit erreichen oder innerhalb des Unternehmens bekannt werden.
Diese Grundsätze gelten dann ebenso bei sonstigen öffentlichen Äußerungen. Allerdings muss, je weiter die Äußerung von der betrieblichen Sphäre entfernt ist, die Anforderung umso höher sein, also etwa eine wirklich breite Öffentlichkeit erreicht werden.
Ausblick
In unserer zunehmend polarisierten und aufgeladenen Gesellschaft spielen unflätige Beschimpfungen und rassistische Äußerungen leider eine immer größere Rolle. Rassistische Äußerungen von Arbeitnehmern stellen eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten dar und können eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Arbeitgeber müssen in solchen Fällen konsequent vorgehen, um den Betriebsfrieden zu wahren und ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld zu gewährleisten; diese Interessen sind auch von der Rechtsprechung als schutzwürdig anerkannt.
Dabei ist stets eine sorgfältige Abwägung der Umstände des Einzelfalls und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme erforderlich: Arbeitgeber müssen daher sorgfältig prüfen, ob eine Äußerung tatsächlich die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet und ob vor einer Kündigung eine Abmahnung erforderlich ist. Dabei spielt die Abwägung der betroffenen Grundrechte eine zentrale Rolle, um eine rechtlich fundierte und gerechte Entscheidung zu treffen. Dies wird umso schwieriger – aber nicht unmöglich -, je weiter sich die Äußerung vom unmittelbaren Betriebsgeschehen entfernt.
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