Steuerhinterziehung: Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

Wesentlich im Rahmen der Strafbarkeit wegen sind die Besteuerungsgrundlagen – wie aber ist damit umzugehen, wenn ein Angeklagter die genaue Höhe der Umsätze mangels Kenntnis schlicht nicht gestehen kann? In diesem Fall kann geschätzt werden: Mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine im Steuerstrafverfahren in Betracht, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, aber ungewiss ist, welches Ausmaß die Besteuerungsgrundlagen haben (BGH, 1 StR 505/16 und 1 StR 12/19).

Es sind sodann die Besteuerungsgrundlagen (nicht die Summe an sich!) zu schätzen.

Die Strafvorschrift der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) wird materiell-rechtlich durch die im Einzelfall anzuwendenden steuerrechtlichen Vorschriften ausgefüllt, aus denen sich ergibt, welches steuerlich erhebliche Verhalten im Rahmen der jeweiligen Steuerart zu einer geführt hat.

Auch hierzu bedarf es hinreichender tatsächlicher Feststellungen, die eine Nachprüfung durch das Revisionsgericht ermöglichen. Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die für die Bemessung der Steuer maßgeblich sind (Besteuerungsgrundlagen). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen daher die Urteilsgründe bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung regelmäßig nicht nur die Summe der verkürzten Steuern, sondern auch die Berechnung der verkürzten Steuern im Einzelnen, nach Steuerarten und Steuerabschnitten getrennt, angeben.

Grundsätzliches zur Schätzung im Steuerstrafverfahren

Im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung zulässig, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand verwirklicht hat, der Umfang der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist. Diese Schätzung obliegt dem Tatrichter selbst. Einer Verurteilung dürfen hier dann nur die Beträge zugrunde gelegt werden, die der vollen Überzeugung des Gerichts entsprechen.

Bei der Wahl der Schätzungsmethode steht dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zu; er muss jedoch nachvollziehbar darlegen, warum er sich der gewählten Schätzungsmethode bedient hat und warum diese im konkreten Fall zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen geeignet ist.

Bei seiner Überzeugungsbildung hat das Tatgericht die vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafprozessualen Grundsätze zu beachten (§ 261 StPO). Die Schätzungsgrundlagen sind in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen. Eine Darstellung der Berechnung ist ausnahmsweise nur dann insgesamt entbehrlich, wenn ein sachkundiger Angeklagter, der die hinterzogenen Steuern berechnen kann, ein Geständnis abgelegt hat. Eine Übernahme von Schätzungen der Finanzverwaltung kommt mit dem BGH etwa nur dann in Betracht, wenn der Tatrichter von ihrer Richtigkeit auch unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden Grundsätze des Strafverfahrens überzeugt ist, was er in den Urteilsgründen nachvollziehbar darlegen muss (BGH, 5 StR 461/04):

Das Landgericht hat weder dargelegt, welche Schätzungsmethoden angewandt worden sind, noch werden die Schätzgrundlagen genannt. Der Senat kann daher nicht nachprüfen, ob die vom Landgericht als Besteuerungsgrundlagen zugrunde gelegten Umsätze rechtsfehlerfrei bestimmt worden sind.

Die bloße Mitteilung in den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils, die von der Finanzbeamtin vorgenommene Schätzung sei objektiv nachvollziehbar, da sie auf tatsächlich festgestellten Zahlen für andere Zeiträume basiere und offensichtlich möglichst zurückhaltend erfolgt sei (…), führt zu keinem anderen Ergebnis, da auch dies für den Senat nicht nachprüfbar ist.

BGH, 1 StR 374/18

Schätzung bei Steuerhinterziehung durch Schwarzverkauf

Ein Beispiel: Ein Landgericht darf bei Schwarzverkäufen die Besteuerungsgrundlagen auch gestützt auf die Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen pauschal schätzen. Dies ist aber nur zulässig, wenn sich eine konkrete Ermittlung als nicht möglich erweist und ausgehend von der vorhandenen Tatsachenbasis andere Schätzungsmethoden nicht in Betracht kommen (BGH, 1 StR 265/18, 1 StR 505/16 und 1 StR 6/20). So etwa, wenn eine irreversibel manipulativ eingesetzt wurde:

Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte die Eingaben in die Registrierkassen der Imbissbetriebe unter Verwendung des „TrainerModus“ sowie der Rückgabe- und Stornofunktion so manipuliert hat, dass nicht sämtliche Umsätze auf den Tagesendsummenbons (Z-Bons) aufgezeichnet wurden. Aufgrund der Nutzung entsprechend programmierter Kassen war nachträglich auch nicht feststellbar, welche Umsätze nicht aufgezeichnet oder wieder storniert worden waren. Eine konkrete Berechnung der Besteuerungsgrundlagen war dem Landgericht nicht möglich, weil die vom Angeklagten geführte Buchhaltung auf diesen Z-Bons aufbaute und daher unzutreffend war

BGH, 1 StR 521/20

Doch Vorsicht: Beim Straftatbestand der Steuerhinterziehung lässt es den Schuldspruch grundsätzlich unberührt, wenn lediglich der Verkürzungsumfang unrichtig bestimmt ist, die Verwirklichung des Tatbestandes aber sicher von den Feststellungen getragen wird (BGH, 1 StR 505/16).

Fazit zur Schätzung bei Steuerhinterziehung

Mit ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann also letztlich auch im Steuerstrafverfahren für die Überzeugungsbildung auf die für das Besteuerungsverfahren anerkannten Schätzungsmethoden zurückgegriffen werden. Hierbei hat der Tatrichter die Methode zu bestimmen, nach der die Schätzung durchgeführt werden kann.

Das Gericht hat anhand einer Methodenprüfung zu entscheiden, welche Schätzungsmethode es im konkreten Fall für geeignet erachtet, ein
Schätzungsergebnis zu erreichen, das der Wirklichkeit am nächsten kommt. Es muss hierbei in den Blick nehmen, dass die Schätzungsmethoden im Steuerrecht und im Steuerstrafrecht einen unterschiedlichen Beweiswert haben können.

Ist dem Gericht eine konkrete Berechnung der Umsätze und Gewinne nicht möglich und kommen ausgehend von der vorhandenen Tatsachenbasis andere Schätzungsmethoden nicht in Betracht, darf der Tatrichter die Besteuerungsgrundlagen auch unter Heranziehung der Richtsätze für Rohgewinnaufschläge aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen pauschal schätzen. Hierbei muss aber beachtet werden, dass es sich bei der Anwendung der Richtsätze um ein eher grobes Schätzungsverfahren handelt, zumal dem äußeren Betriebsvergleich schon im Allgemeinen ein starkes Unsicherheitsmoment anhaftet, da kaum ein Betrieb dem anderen gleicht, und zudem bei der Ermittlung der Richtsätze für steuerliche Zwecke jeweils etwa zehn Prozent der Betriebe mit den im Vergleich zum Durchschnitt höchsten und niedrigsten Gewinnsätzen herausgefiltert werden (BTDrucks. 19/4238 S. 3).

Deshalb müssen mit dem BGH auch bei dieser Schätzungsmethode die festgestellten Umstände des Einzelfalls in den Blick genommen werden. Gerade weil die in der Richtsatzsammlung enthaltenen Rohgewinnaufschlagsätze auf bundesweite Prüfungsergebnisse zurückgehen, muss der Tatrichter bei Anwendung der Richtsatzsammlung für die Schätzung im Strafprozess erkennen lassen, dass er die örtlichen Verhältnisse und – soweit vorhanden – die Besonderheiten des jeweiligen Gewerbebetriebes berücksichtigt hat.

Im Ergebnis führt diese Rechtsprechung des BGH dazu, dass sich der Tatrichter bei der Beweiswürdigung zum Rohgewinnaufschlagsatz zwar einerseits nicht zugunsten eines Angeklagten an den unteren Werten der in der Richtsatzsammlung genannten Spannen orientieren muss, wenn sich Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage ergeben. Soweit Zweifel verbleiben, darf der Tatrichter aber andererseits auch nicht ohne Weiteres einen als wahrscheinlich angesehenen Wert aus der Richtsatzsammlung zugrunde legen, sondern muss einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang feststellen (hierzu zusammenfassend BGH, 1 StR 521/20).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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