Die Digitalisierung schreitet weiter voran, durchdringt unseren Alltag, unsere Arbeitswelt, unsere Art zu kommunizieren – und doch ist sie weit davon entfernt, ein kollektives Projekt mit gemeinsamem Tempo zu sein. Der neue D21-Digital-Index zeigt ein differenziertes Lagebild der deutschen Gesellschaft inmitten dieses Umbruchs. Er offenbart nicht nur Fortschritte, sondern auch tiefe Brüche. Er macht sichtbar, wer souverän auf der digitalen Welle surft – und wer von ihr überrollt oder abgehängt wird.
Ein zentrales Konzept der Studie ist die digitale Resilienz, also die Fähigkeit, sich mit dem digitalen Wandel nicht nur zu arrangieren, sondern ihn aktiv und zuversichtlich mitzugestalten. Genau hier zeigen sich markante Unterschiede. Während etwa zwei Drittel der Bevölkerung über zentrale Resilienzfaktoren verfügen, ist die andere Hälfte deutlich schlechter gerüstet – besonders Frauen, Ältere, Menschen mit geringerem Bildungsstand oder niedrigem Einkommen. Hier offenbart sich keine digitale Kluft, sondern ein regelrechter Graben.
Dennoch zeigt sich auch Optimismus. Fast die Hälfte der Menschen erkennt in der Digitalisierung eine persönliche oder berufliche Chance – und diese Haltung ist offenbar der entscheidende Schlüssel. Denn wer sich offen und lernbereit zeigt, wer nicht nur konsumiert, sondern neugierig bleibt, der profitiert messbar von digitalen Entwicklungen. Bildungsnahe Milieus dominieren unter diesen „digitalen Profis“. Sie lernen stetig dazu, nutzen digitale Tools kreativ und setzen KI bereits im Alltag ein.
Gerade der Umgang mit Künstlicher Intelligenz markiert eine neue Weggabelung. Technologien wie ChatGPT, Copilot oder Gemini sind längst keine Randerscheinung mehr. Besonders Jüngere und Hochgebildete haben KI bereits in ihre Arbeits- und Lernprozesse integriert. Doch auch hier gilt: Wo Bildung fehlt, wird kaum genutzt. Viele fühlen sich durch die Komplexität überfordert oder misstrauen der Technologie – nicht nur wegen Datenschutzbedenken, sondern oft auch, weil ihnen schlicht die Bewertungskompetenz fehlt, um zwischen sinnvollem Einsatz und digitalem Blender zu unterscheiden.
Dabei ist es gerade diese Fähigkeit – Informationen kritisch zu hinterfragen, Quellen zu prüfen und eigene digitale Kompetenzen realistisch einzuschätzen –, die im Zeitalter algorithmisch erzeugter Inhalte zur Grundvoraussetzung mündiger Teilhabe wird. Doch obwohl fast jeder zweite Deutsche angibt, Nachrichten auf Seriosität prüfen zu können, zeigt sich in der Tiefe eine trügerische Sicherheit: Viele vertrauen unkritisch den Ergebnissen von Suchmaschinen – ein „Automation Bias“, der längst zum demokratischen Risiko geworden ist.
Hier kommt digitale Bildung ins Spiel, die sich nicht auf technische Bedienfähigkeit reduzieren darf. Es geht um eine tiefere Form der Befähigung, um ein Verständnis für die Funktionsweisen der digitalen Welt. Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 mindestens 80 % der Bevölkerung mit digitalen Grundkompetenzen auszustatten. Deutschland stagniert jedoch bei knapp 50 %. Zwar gibt es einen hohen Anteil an Menschen, die sich informell Wissen aneignen – doch formale Bildungsangebote werden noch zu selten genutzt. Besonders Berufstätige ohne Bürojob oder Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss hinken zurück. Die digitale Gesellschaft droht, sich entlang bekannter sozialer Bruchlinien weiter aufzuspalten.
Und diese Spaltung zeigt sich auch im Klima-Diskurs. Zwar nutzen bereits knapp ein Drittel der Menschen digitale Werkzeuge, um ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern – etwa durch Smart Home, Sharing-Dienste oder bewussteren Konsum. Doch gleichzeitig fehlt vielen das Wissen um die Umweltwirkungen digitaler Technologien selbst. Die Digitalisierung wird hier nicht als Hebel, sondern eher als abstrakter Begriff wahrgenommen – ohne konkreten Bezug zum eigenen Alltag.
Einen besonderen Stellenwert nimmt in der Studie die Typologie der digitalen Gesellschaft ein. Sie benennt sechs charakteristische Gruppen – von den zuversichtlichen Profis über die ambivalent Neugierigen bis hin zu jenen, die das Digitale konsequent vermeiden. Diese Vermeider*innen, oft älter und bildungsfern, sehen keinen Nutzen in digitalen Anwendungen, empfinden sie als zu kompliziert oder verlassen sich auf die Hilfe von Angehörigen. Ihr Anteil liegt bei 15 %, was in absoluten Zahlen rund zehn Millionen Menschen entspricht. Die Gründe für ihre Zurückhaltung haben sich jedoch gewandelt: Immer weniger lehnen die Digitalisierung aus Desinteresse ab – vielmehr überfordert sie ihre Komplexität. Das könnte ein Ansatzpunkt für niedrigschwellige, lebensnahe Bildungsangebote sein.
Was der D21-Digital-Index 2024/2025 letztlich deutlich macht, ist ein Befund zwischen Hoffnung und Herausforderung: Die digitale Gesellschaft ist auf dem Weg, aber sie marschiert nicht im Gleichschritt. Während einige voranschreiten, bleiben andere stehen – nicht aus Trotz, sondern aus Unsicherheit. Wenn Digitalisierung wirklich ein Zukunftsprojekt für alle sein soll, braucht es mehr als technologische Innovation. Es braucht soziale Innovation: Mut zum Mitnehmen, Raum zum Lernen, Lust auf Veränderung. Nur so lässt sich jene Selbstwirksamkeit erzeugen, die aus digitalem Wandel auch gesellschaftlichen Fortschritt macht.
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