Die Willenserklärung

Was ist die Willenserklärung? Sie ist Kern-Element des Zivilrechts im ersten Semester und alles andere als „einfach“. Nur mit der Willenserklärung (WE) kommt man zum Idealfall im Zivilrecht: Der gemeinsamen Einigung hinsichtlich eines Rechtsgeschäfts, auch Vertrag genannt. Wenn nämlich (was in Klausuren regelmässig nicht der Fall ist) alles gut geht, begründet man in einem Rechtsgeschäft Rechte und Pflichten, jede erfüllt und bekommt und fertig.

Doch bevor man überhaupt grossartig prüfen kann, gilt es, eben diese Willenserklärung festzustellen. Erst dann versteht man die vielen Probleme, die dahinter stehen – und die euch bis zum 4. Semester mindestens einmal in einer Klausur oder Hausarbeit begegnen werden.

Wozu die Willenserklärung?

Der Regelfall ist der Vertrag: Zwei (oder mehr) übereinstimmende Willenserklärungen begründen den Vertrag. Doch es gibt noch mehr interessante WE: Ein beispielsweise oder eine Anfechtung werden mit einer Willenserklärung zum Ausdruck gebracht. Die WE begegnet euch häufig und gerne – selbst im Examen.

Was ist die Willenserklärung

Vorab: Zu dem Thema gibt es ganze und halbe Bücher, ebenso Aufsätze. Wer ins Gesetz (BGB) sieht, findet keine Definition der Willenserklärung. Das wurde bewusst gemacht, der Gesetzgeber überlässt gerne „Lehre und Rechtsprechung“ die Ausformulierung mancher Begrifflichkeiten. Wer also wissen möchte, was die WE ist, der ist im Gesetz erstmal falsch.

Das Wort Willenserklärung kann man in zwei Teile zerlegen: „Wille“ und „Erklärung“. Den ersten Teil nennt man inneren oder subjektiven Tatbestand, den anderen Teil äusseren oder objektiven Tatbestand. Um festzustellen, ob es sich bei dem vorliegenden Tatbestand um eine Willenserklärung handelt, muss man untersuchen, ob beide Tatbestände erfüllt sind.

Äusserer Tatbestand

Jedes Verhalten mit Erklärungsinhalt kann als Willenserklärung genutzt werden: Von der konkreten Aussage „Ich möchte dieses Brötchen dort kaufen“ bis hin zum Heben einer Hand in einer Auktion oder dem Einstellen eines Autos in einer Parkgarage. Der einfachste Fall ist sicherlich die ausdrückliche Erklärung, der für Anfänger wichtige Fall ist die „konkludente Erklärung“. Hier geht es darum, dass man nur schlüssig, also eben nicht ausdrücklich, etwas erklärt. Zu denken etwa an das Heben einer Hand bei einer Auktion.
Schweigen, also gar nichts sagen, ist im Regelfall auch keine Erklärung. Es gibt Ausnahmen, die sind für Anfänger aber nicht relevant. Und weil ich von 1. Semestern genervt bin, die unwissentlich was vom „Bestätigungsschreiben“ faseln (was genau genommen nicht mal ein Fall des Schweigens ist), gibt es dazu auch keine Ausführungen hier. Bereits im ersten Semester aber werdet ihr zwei Ausnahmen kennen lernen: §§108 II, 177 II BGB.

Innerer Tatbestand

Wenn es um den Willen geht, gibt es drei Kern-Elemente:

  • Handlungswille: Der Wille überhaupt zu handeln
  • Erklärungsbewusstsein: Das Bewusstsein, überhaupt rechtserheblich zu handeln
  • Rechtsbindungswille bzw. Geschäftswille: Der Wille, an der willentlichen und im Erklärungsbewusstsein getätigten Erklärung auch gebunden zu sein

Von Abstrusitäten abgesehen ist dieser Teil der interessanteste: Hier tun sich im Regelfall die Probleme auf, wenn man eine Willenserklärung überhaupt verneinen will. So kann man aus folgenden Gründen (mit unterschiedlichen Rechtsfolgen!) die drei Kern-Elemente verneinen:

  • Handlungswille: Lehrbuch-Beispiel ist die Hand des geistig abwesenden sterbenden, mit welcher der Böswillige ein Testament unterschreibt. Zurecht weist z.B. Leenen (JuS 2008, Seite 579, Fn. 26) darauf hin, dass man hier fragen muss, ob es nicht vielmehr eine Willenserklärung desjenigen ist, der da die Hand führt – der Fall also ein künstlicher ist. So oder so: Eine Willenserklärung des „geführten“ ergibt sich nicht. Wenn der Handlungswille fehlt, liegt also keine WE vor, dies ist der einfachste Fall – und wohl kaum Thema einer Klausur.
  • Wenn Geschäftswille oder Erklärungsbewusstsein fehlen, ist es nicht so einfach. Dann gilt der zu verinnerlichende Grundsatz „kommt drauf an“. Dazu schreibe ich gleich mehr, es geht dann um die so genannten „Willensmängel“.

An dieser Stelle seien noch die „Gefälligkeiten“ erwähnt: Häufig ist es so, man kennt das, dass man einem Freund etwas verspricht, z.B. ihn mit dem Auto abzuholen. Wenn man ihn nun doch nicht abholt und er plötzlich Schadensersatz fordert, ist die Frage, ob das nicht ungerecht ist – hätte man ihn gefahren, gäbe es ja auch keine Entlohnung. Und überhaupt wollte man ihm ja nur eine Gefälligkeit erweisen, keinesfalls grossartige Pflichten begründen.

Eben dies kennt auch das Recht im Bereich der Willenserklärung: Bei Gefälligkeiten gibt es keinen Rechtsbindungswillen. Sofern diese als solche erkennbar waren liegt keine rechtlich bindende Erklärung vor, es fehlt am Rechtsbindungswillen. Wie man herausfindet, ob es sich um eine verbindliche Zusage handelt, sagen die §§133, 157 BGB, die als Rahmen fungieren. Der BGH sagte dazu, dass es zwei Kriterien gibt, unter denen ein Geschäftswille anzunehmen ist:

  1. Für den Empfänger stehen erkennbar wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel und er verlässt sich auf die Erklärung, oder
  2. der Zusagende hat an der Angelegenheit ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse

Geschäfts(un)fähigkeit und Stellvertretungsrecht

Dazu kann ich jetzt nichts schreiben, das muss in eigene Artikel – ich muss es aber erwähnen.

Damit eine WE überhaupt rechtliche Relevanz entfalten kann muss natürlich der Betroffene überhaupt in der Lage sein, eine bedeutende Erklärung abzugeben. Bei einem 3 Jährigen, der ein Auto kaufen möchte, ist es offensichtlich dass das nicht geht. Dass ein 14-Jähriger sich aber ein Brötchen kaufen können muss liegt genauso auf der Hand, wie die Tatsache dass ein 18-Jähriger gar keine Probleme im Rechtsverkehr hat. Ebenso wie Menschen, die aufgrund von Krankheitsbildern gar keinen Willen bilden können oder ihre Entscheidungen nicht überblicken können, nicht an „Erklärungen“ gebunden sein dürfen. Wer was kann wird in den §§104 bis 113 BGB festgelegt, dies wird ein fester Teil des ersten Semesters sein.

Weiterhin ist es hoffentlich bekannt, dass nur noch selten im Geschäftsverkehr direkt gehandelt wird: Im Regelfall ist es nicht der Inhaber eines Unternehmens der im Rechtsverkehr agiert, sondern er entsendet Stellvertreter, die für ihn handeln. Dieses Stellvertreterrecht findet sich in den §§164 bis 181 BGB und ist der andere grosse Punkt im Bereich des BGB AT des ersten Semesters. Im kleinen Schein ist davon auszugehen, dass irgendwo die Stellvertretung auftauchen wird, sie ist ein beherrschendes Thema dass man bis zum Ende des Studiums ständig erneuern muss.

Beide Themen werde ich in einem eigenen Artikel aufgreifen, das würde hier den Rahmen sprengen. Wichtig ist hier erstmal, zu wissen, dass es diese Themen gibt und dass sie, sobald sie erwähnt werden, aufgenommen werden müssen.

Willensfehler

Wieder zurück zum eigentlichen Thema: Es fehlen noch die Willensmängel. Wie ist das denn, wenn jemand im Spass meint „Ich kaufe dein Auto“ und plötzlich daran festgehalten wird? Oder wenn man glaubt, eine Empfangsquittung zu unterschreiben und in Wirklichkeit die berühmte Waschmaschine bestellt? Mal fehlt der Geschäftswille, mal der Erklärungswille – wie geht man damit um?

Die Antwort bietet das Gesetz – im BGB helfen in diesen Fällen die §§116 bis 124 weiter, die deutlich regeln, wie diese Fälle zu deuten sind. Die Spasserklärung mit dem Auto etwa ist ein Fall des §118 BGB. Und die unter geschobene Waschmaschine ist ein Fall des §123 BGB. Beim §118 BGB (die Erklärung ist nichtig) gibt es aber nur bedingt Grund zur Freude, denn evt. gibt es eine Schadensersatzpflicht nach §122 I BGB. Die aber auch nur, wenn der Betroffene nicht Schutzwürdig ist, §122 II BGB.

Wenn man getäuscht oder bedroht wurde (Waschmaschine), kann man seine ursprüngliche Willenserklärung anfechten. Ebenso wenn man etwas erklärt hat, was zwar eine WE ist, aber man so nicht erklären wollte. Wie so oft gibt es hier aber den Hasenfuss der eventuellen Schadensersatzpflicht.

Ein bekanntes Beispiel, das ihr hören werdet, ist der (Lehrbuch-)Fall der „Trierer Weinversteigerung“. Da ist jemand bei einer Versteigerung, hebt die Hand um einen anderen zu grüssen, erhält den Zuschlag und wundert sich dann. Und da wird bis heute drüber gestritten. Die h.M. meint, dass es sich jedenfalls dann um eine WE handelt, wenn die Umstände so deutlich waren, dass der Erklärende wissen musste, dass er etwas erklärt (so der BGH in BGHZ 91, 324). Es steht ihm aber die Anfechtung der eigenen WE über §119 I BGB zu (wieder mit evt. Schadensersatz). Ein anderer (Canaris) verweigert bis heute dies als Willenserklärung anzuerkennen.

Wurde die Willenserklärung auch abgegeben und ist zugegangen?

Der letzte Punkt ist trivial – und ebenfalls Thema in Anfängerklausuren. Absurdes Beispiel: Ich sitze an meinem Schreibtisch, sehe auf die Strasse und ein schönes Auto fährt vorbei. Dabei murmel ich „Das würde ich gerne kaufen“. Ist das schon ein (verbindliches) Angebot hinsichtlich eines Kaufvertrages? Wohl eher nicht, hier zeigt sich, dass eine Willenserklärung auch abgegeben werden muss. Dabei unterscheidet man, ob eine Willenserklärung empfangsbedürftig ist oder nicht – falls ja, muss sie „in Richtung des Empfängers“ geäussert werden, sonst reicht jede Entäusserung. Und so selbstverständlich ist das ganze Thema gar nicht, wieder ein Lehrbuchfall:

Ein Kaufmann verfasst ein Angebot, steckt es in einen frankierten Briefumschlag und legt es auf seinen Schreibtisch, um es „nochmal zu überschlafen“. Die übereifrige Putzfrau findet das Schreiben, glaubt er hat es nur vergessen einzuwerfen und bringt es noch zum Briefkasten. Am nächsten Morgen will der Kaufmann das Schreiben wegwerfen, er hat es sich anders überlegt – und ist überrascht, dass das Schreiben schon weg ist. Liegt hier eine Willenserklärung vor? Er hat es ja nicht abgegeben – andererseits ist es seine Aufgabe, seinen Machtbereich ordentlich zu organisieren, warum sollte ein Geschäftspartner sich das zurechnen lassen? Also: Erstmal Pech gehabt. Es gibt aber Auswege, und nicht nur die evt. mögliche Anfechtung wegen eines Irrtums, sondern der Kaufmann kann noch schnell einen Widerruf verfassen, §130 I 2 BGB. Dieser muss dann dem anderen vorher, spätestens zeitgleich zugehen.

Womit der zweite Punkt angeschnitten ist: Willenserklärungen müssen häufig auch „zugehen“, jedenfalls wenn sie empfangsbedürftig sind. Dabei ist ein Zugang nach gängiger BGH-Definition so zu verstehen:

Zugegangen ist eine Erklärung, sobald sie derart in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist, dass bei Annahme gewöhnlicher Verhältnisse damit zu rechnen ist, er könne von ihr Kenntnis erlangen.

Es muss dabei eines auffallen: Abgestellt wird auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme, nicht auf ein tatsächliches Vorhandensein. Das heisst: Ob der Empfänger z.B. den Brief gelesen hat ist egal – solange er es hätte tun können. Das kann sowohl für als auch gegen den Adressaten/Absender sprechen. Zwei Beispiele:

  1. Wenn unser Kaufmann von oben am nächsten Tag lange geschlafen hat, ein Fax mit einem Widerruf zum Geschäftspartner schickt und dieser erst nach dem Fax seine ungeöffnete Post durch sieht – in der das Angebot (ungelesen) bereits war, so ist der Widerruf zu spät eingegangen. Das Angebot war schon zugegangen, es kam auf die Kenntnisnahme nicht an.
  2. Wenn jemand mit mir keinen abgeschlossen hat, ich habe bereits erfüllt, warte aber seit Wochen auf mein Geld, fahre nun zu ihm und werfe eine letzte Mahnung mit Fristsetzung ein, so schadet es nicht, dass er vielleicht gerade in Urlaub ist – die Mahnung ist zugegangen, die Frist läuft.

Interessant ist, dass es gerade über diese Trivialitäten erhebliche Streitereien in der Praxis gibt. Ein paar Beispiele, damit ihr auch versteht, dass im ersten Semester schon Themen vermittelt werden, die später durchgehend von Bedeutung sind:

  • Bei der Frage ob ein Einschreiben sinnvoll ist oder nicht, gibt es verschiedene Auffassungen (dazu nur hier)
  • Man kann sich darüber streiten, welche Uhrzeit von Bedeutung ist – erst vor kurzem gab es den Fall, dass jemand am 31.12. (Nachmittags) etwas eingeworfen hat – der Zugang lag dann einen Tag später, denn es war branchenüblich, dass dort Nachmittags nicht gearbeitet wird. (dazu JuS 2008, Heft 7, Seite 651). Solche Fälle gibt es öfter als man denkt und noch öfter wird darüber gestritten.

Literatur zum Thema Willenserklärung

Ich empfehle ja den Brox zum BGB AT, wahlweise war auch der Köhler (Beck Verlag) ganz gut, ich finde aber den Schreibstil vom Brox für Anfänger besser geeignet.

Da ich hier das Thema nur anreissen konnte, empfehle ich zur Vertiefung (nachdem das Thema in der Uni behandelt wurde!) den Aufsatz von Neuner in der JuS 2007, Seite 881 (Heft 10). Die klausurträchtige Frage des Zugangs von Willenserklärungen findet man gut erklärt von Weiler in der JuS 2005, Seite 788 (Heft 9).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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