Mit Beschluss vom 29. April 2025 (1 StR 238/24) hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zentrale Fragen des Steuerstrafrechts im Zusammenhang mit der Nutzung sogenannter „Gewerbesteueroasen“ entschieden.
Im Fokus stand die Frage, ob die bewusste Angabe eines tatsächlichen Geschäftssitzes in einer Gemeinde mit niedrigem Hebesatz bei tatsächlich in einer anderen Gemeinde ausgeübter Geschäftstätigkeit eine strafbare Steuerhinterziehung darstellt. Die Entscheidung betrifft ein besonders aufsehenerregendes Maskengeschäft aus der Frühphase der COVID-19-Pandemie und beleuchtet neben materiellrechtlichen Fragen auch die Anwendung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO bei Vorauszahlungsbescheiden.
Sachverhalt
Die Angeklagte T. vermittelte im Frühjahr 2020 im Zuge der Corona-Krise hochpreisige Schutzmaskengeschäfte zwischen einer Schweizer Lieferantin und diversen Gesundheitsbehörden. Die daraus resultierenden Provisionsansprüche in Höhe von über 11 Millionen Euro vereinnahmte sie über eine eigens zu diesem Zweck errichtete gesellschaftsrechtliche Struktur, in der die Provisionen steuerlich vorteilhaft über eine GmbH abgerechnet werden sollten. Zentral war dabei die fingierte Existenz einer bereits zuvor gegründeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), der die Einkünfte zugerechnet werden sollten. Die GmbH wurde sodann mit Sitz in einer Gemeinde mit halb so hohem Gewerbesteuerhebesatz (240 % statt 490 %) angemeldet. Die dort angeblich unterhaltene Betriebsstätte bestand faktisch jedoch nur aus einem überbelegten Briefkastenbüro, das gemeinsam mit zwanzig anderen Unternehmen geteilt wurde. Tatsächlich wurden sämtliche geschäftlichen Aktivitäten aus München heraus betrieben.
Juristische Analyse
I. Einkommensteuerverkürzung – Teileinstellung mangels tragfähiger Feststellungen
Zunächst hatte das Landgericht München I die Angeklagte T. wegen Einkommensteuerhinterziehung und ihren Lebensgefährten N. wegen Beihilfe hierzu verurteilt. Die Strafkammer ging davon aus, dass die fingierte GbR nicht existierte und es sich bei den Einkünften daher um solche ihres Einzelunternehmens handelte, die der progressiven Einkommensteuer unterlagen. Der BGH stellte insoweit das Verfahren gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO ein. Es bestünden erhebliche tatsächliche Zweifel, ob die GbR nicht doch bereits vor dem 1. März 2020 wirksam gegründet worden war und damit die Einkünfte rechtmäßig auf die GmbH übergeleitet werden konnten.
Dogmatisch überzeugend verweist der Senat auf die Möglichkeit, dass selbst bei späterer formaler Gründung die steuerrechtliche Rückbeziehung nach § 20 Abs. 5 Satz 1 UmwStG auch eine fiktive Mitunternehmerschaft zum Rückwirkungszeitpunkt umfasst. Der BGH betont zudem, dass eine Tatvollendung nur dann vorliegt, wenn eine objektive Steuerverkürzung eingetreten ist, was angesichts der unsicheren Einkünftezurechnung in diesem Fall nicht eindeutig feststand.
II. Gewerbesteuerverkürzung – Verurteilung bestätigt
Anders stellt sich die Lage bei der Gewerbesteuer dar. Der BGH bestätigt die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO hinsichtlich der Gewerbesteuer für das Jahr 2020. Die Angeklagten hatten im steuerlichen Erfassungsbogen sowie gegenüber der Gemeinde G. vorsätzlich unrichtige Angaben über den Ort der Geschäftsleitung gemacht. Diese Tatsache ist nach § 2 Abs. 1 GewStG i.V.m. § 12 AO steuerlich erheblich, da sie über die Hebeberechtigung der jeweiligen Gemeinde entscheidet.
Der BGH bejaht die Kausalität zwischen der unrichtigen Angabe und der tatsächlichen Steuerverkürzung. Maßgeblicher Taterfolg sei hier nicht etwa der fehlerhafte Messbescheid des Finanzamts, sondern die infolgedessen unterbliebene Festsetzung der Gewerbesteuer durch die tatsächlich hebeberechtigte Gemeinde (München). Hierdurch sei ein Steuerschaden von mehr als 8,2 Millionen Euro entstanden, wovon nach Abzug der gezahlten Gewerbesteuer an die Gemeinde G. ein verbleibender Schaden in Höhe von rund 4,2 Millionen Euro verblieb.
Die Einlassung der Angeklagten, die Tätigkeit sei teilweise in G. ausgeübt worden, wurde vom BGH mit überzeugender Begründung zurückgewiesen: Das angeblich genutzte Büro war de facto unzugänglich und wurde faktisch vom Vermieter genutzt. Die tatsächliche Leitung erfolgte – wie durch Zeugen bestätigt – durchgehend von München aus, insbesondere aus einem Café und einer Privatwohnung.
III. Strafzumessung und Abgrenzung
Die Strafkammer verhängte – nach Teileinstellung wegen Einkommensteuer – gegen beide Angeklagte jeweils Freiheitsstrafen von drei Jahren wegen Gewerbesteuerhinterziehung. Die Strafzumessung begegnet nach Ansicht des BGH keinen Bedenken. Insbesondere berücksichtigt das Urteil differenziert, dass die Gewerbesteuerverkürzung auf zwei unterschiedliche wirtschaftliche Einheiten – das Einzelunternehmen der Angeklagten sowie die GmbH – zurückzuführen ist. Fehlerhafte Gewinnabgrenzungen oder nicht erkannte Betriebsausgaben, wie von der Verteidigung behauptet, seien weder ersichtlich noch erheblich.
Bemerkenswert ist auch, dass der BGH klarstellt, dass selbst hypothetische Betriebsstätten in Gewerbesteueroasen, die tatsächlich nie genutzt wurden, die Strafbarkeit nicht entfallen lassen. Das Konstrukt diente allein der Verschleierung des wahren Geschäftsleitungssitzes – und erfüllte damit in vollem Umfang den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung.

Der BGH unterstreicht hier die Bedeutung tatsächlicher Umstände über formale Angabe hinaus und stellt klar, dass Scheinadressen – auch bei minimaler Nutzung – nicht als Betriebsstätte gelten. Im Übrigen verdeutlicht der Beschluss die Grenzen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit bei unklarer steuerlicher Zurechnung im Rahmen gesellschaftsrechtlicher Gestaltungen.
Bilanz
Die Entscheidung bringt für das Steuerstrafrecht wichtige Klärungen in gleich mehreren Punkten. Sie bestätigt, dass unrichtige Angaben über den Ort der Geschäftsleitung in Gewerbesteuersachen strafbar sind, auch wenn sie lediglich im Rahmen des steuerlichen Erfassungsbogens erfolgen und „nur“ auf die Vorauszahlung Einfluss nehmen.
- BGH-Urteil zu Online-Coaching und FernUSG: Aktueller Stand - 16. November 2025
- Unterlassene Zielvereinbarung: Schadensersatz und Grenzen arbeitsvertraglicher Ausschlussfristen - 15. November 2025
- Verschärfung des Umweltstrafrechts 2025 - 15. November 2025
