Es ist nun soweit: Gestern Abend hat der Bundestag die lange erwartete Änderung des „Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen“ beschlossen, die zum 28. Oktober 2010 in Kraft treten wird. Entgegen dem nunmehr etwas irreführenden Titel des Gesetzes, geht es nach dem neuen §86 IRG nicht mehr nur um Strafsachen, sondern auch um Geldbußen, im Volksmund auch „Knöllchen“ genannt. Keinesfalls geht es dabei nur um solche des Strassenverkehrsrechts – wer also bald beim wilden Urinieren oder verbotenen Sandburgen-bauen im Urlaub erwischt wird, wird sich auf Post „freuen“ dürfen.
Hinweis: Ab dem 28. Oktober 2010 können „Knöllchen“ vollstreckt werden – auch für ältere „Delikte“. Es kommt auf den Bescheid an, nicht auf die Tat.
Anders als in ersten Medienberichten zu lesen, ist dabei eine Vollstreckung keinesfalls „einfach“ oder selbstverständlich. Speziell die neuen §§87a, b IRG geben deutliche Vorgaben, in welcher Form und unter welchen Voraussetzungen ausländische Behörden ihre „Knöllchen“ beitreiben dürfen. Dabei ist der Ausschlusskatalog des §87b III IRG unbedingt zu beachten. Speziell das „rechtliche Gehör“ spielt hier eine sehr große Rolle und kann schnell zur Hürde werden. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die aktuelle vorliegende Fassung des Bundestages in einer anderen Form beschlossen wurde: Dort sind nur 8 Punkte vorhanden, nach Anregung des Rechtsausschusses kam aber noch ein neunter – und auch praxisrelevanter – Punkt hinzu. So ist die Vollstreckung auch dann nicht zulässig, wenn
die betroffene Person in dem ausländischen Verfahren keine Gelegenheit hatte einzuwenden, für die der Entscheidung zugrunde liegende Handlung nicht verantwortlich zu sein, und sie dies gegenüber der Bewilligungsbehörde geltend macht.
Diese Änderung durch den Rechtsausschuss ist offenbar so manchem „Experten“ noch nicht bekannt, den ich bisher im Radio mit falschen Stellungnahmen zum Thema höre. Auch der Verweis auf die im Ausland bestehende Halterhaftung für Ordnungswidrigkeiten, die nun angeblich vollstreckt werden kann, ist m.E. vollkommen falsch, nicht nur wegen obigem Absatz, sondern weil §87b IRG festhält:
Die Vollstreckung der Geldsanktion ist nur zulässig, wenn auch nach deutschem Recht, ungeachtet etwaiger Verfahrenshindernisse und gegebenenfalls nach sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts, für die Tat, wie sie der Entscheidung zugrunde liegt, eine Strafe oder Geldbuße hätte verhängt werden können.
Weiterhin ist der Ausschlusspunkt Nr.2 im Kopf zu behalten, der für Bagatellen Ausnahmen vorsieht und eine Unzulässigkeit der Vollstreckung annimmt, wenn:
die verhängte Geldsanktion den Betrag von 70 Euro oder dessen Gegenwert bei Umrechnung nach dem im Zeitpunkt der zu vollstreckenden Entscheidung maßgeblichen Kurswert nicht erreicht,
Wobei natürlich zu bedenken ist, dass jedenfalls bei Verkehrsdelikten im Ausland diese Schwelle im Regelfall erreicht sein wird – schließlich sind die Bußgelder im europäischen Ausland im Schnitt deutlich höher angesetzt als in Deutschland.
Letztlich bleibt für Betroffene der Rat, sich einen Rechtsanwalt zu suchen. Die Einspruchsfrist liegt übrigens bei zwei Wochen. Keinesfalls sollte man der Versuchung erliegen, auf Grund der vermeintlich einfachen formalen Voraussetzungen nicht zahlen zu müssen. Im Ergebnis macht es momentan den Eindruck, dass man sich durchaus wehren kann, speziell die 70 Euro-Klausel kann dazu beitragen, Bagatell-„Delikte“ im Urlaub nicht zum Ärgernis werden zu lassen. Auch wenn gerade bei diesen Bagatellen letzten Endes „vor Ort“ abgerechnet wird.
Hinweis für Rechtsanwälte: Das RVG wird mit der Änderung gleichfalls ergänzt, da entsprechende Gebühren für ein Vollstreckungsverfahren dieser Art bisher nicht existierten. Die Änderungen sind auf S.12 des PDF-Dokumentes zu finden.
Anmerkung: Die Sache muss natürlich noch durch den Bundesrat, mit Schwierigkeiten ist aber nicht zu rechnen.
Links dazu:
- Änderung des IRG, Beschlussvorschlag der Bundesregierung
- Änderungsvorschläge durch den Rechtsausschuss (so auch beschlossen)
- Unfall mit privatem KFZ bei Dienstfahrt – kein Ersatz des Höherstufungsschadens der KFZ-Haftpflichtversicherung - 10. Oktober 2023
- Strafbarkeit nach §315b StGB: gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr - 26. September 2022
- Fahrtenbuch: Wann sind Ermittlungen notwendig - 29. Oktober 2021