Anscheinsbeweis für Zugang bei Einwurf-Einschreiben

In dieser Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (2 AZR 213/23) ging es um die Frage, wann ein Kündigungsschreiben dem Empfänger, in diesem Fall der Klägerin, zugegangen ist.

Der Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis mit einem Schreiben vom 28. September 2021 zum 31. Dezember 2021 gekündigt. Die Klägerin behauptete jedoch, dass das Kündigungsschreiben erst am 1. Oktober 2021 in ihren Hausbriefkasten gelangt sei und das Arbeitsverhältnis daher erst zum 31. März 2022 beendet worden sei.

Anscheinsbeweis und Zustellung per Einwurf-Einschreiben

Das BAG beschäftigte sich in seiner Entscheidung intensiv mit dem sogenannten und der Frage, wie die Zustellung von Briefen per Einwurf-Einschreiben zu bewerten ist.

  1. Anscheinsbeweis:
    • Ein Anscheinsbeweis liegt vor, wenn ein bestimmter typischer Geschehensablauf aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hindeutet. Im vorliegenden Fall bedeutet das, dass der Einwurf eines Briefes durch einen Postbediensteten in den Hausbriefkasten des Empfängers zu den üblichen Postzustellzeiten als der Regelfall angesehen wird.
    • Der Anscheinsbeweis setzt voraus, dass keine atypischen Umstände vorliegen, die auf einen abweichenden Geschehensablauf hinweisen könnten. Wenn solche atypischen Umstände glaubhaft gemacht werden können, wird der Anscheinsbeweis erschüttert. Die Klägerin konnte jedoch keine solchen Umstände darlegen, sondern beschränkte sich auf eine Erklärung mit Nichtwissen.
  2. Einwurf-Einschreiben und Zustellungszeitpunkt:
    • Das BAG stellte fest, dass der Einwurf eines Kündigungsschreibens durch einen Bediensteten der Deutschen Post AG zu den üblichen Postzustellzeiten einen Zugang des Schreibens noch am selben Tag begründet. Dies folgt aus der allgemeinen Verkehrsanschauung, wonach Briefe, die im Hausbriefkasten landen, zu den üblichen Postzustellzeiten eingeworfen werden und somit als zugegangen gelten, sobald eine Kenntnisnahme möglich ist.
    • Das Gericht wies darauf hin, dass die genauen Postzustellzeiten variieren können und abhängig von der jeweiligen und der Organisation des Postzustellers sind. Es ist jedoch unerheblich, eine genaue Uhrzeit festzustellen, solange der Einwurf innerhalb der üblichen Zustellzeiten erfolgt ist.

Entscheidung

Das BAG bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen und wies die Revision der Klägerin zurück. Es sah es als erwiesen an, dass das Kündigungsschreiben am 30. September 2021 zu den üblichen Postzustellzeiten in den Hausbriefkasten der Klägerin gelangt und damit zu diesem Zeitpunkt zugegangen war. Der Beweis des ersten Anscheins, dass der Einwurf während der postüblichen Zustellzeiten erfolgte, konnte von der Klägerin nicht erschüttert werden.


Fazit

Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung des Anscheinsbeweises im Zusammenhang mit der Zustellung von Schreiben per Einwurf-Einschreiben. Der Anscheinsbeweis kann nur durch das Darlegen und Beweisen atypischer Umstände erschüttert werden. Andernfalls gilt der Zugang eines Schreibens mit dem Einwurf in den Hausbriefkasten als bewirkt, sobald eine Kenntnisnahme nach der Verkehrsanschauung möglich ist.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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