Verwirkung von Vertragsstrafe nach Unterlassungserklärung

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf vom 27. Juni 2024 befasst sich mit einem wettbewerbsrechtlichen Streit zwischen zwei Dentalhandelsgesellschaften, die im Bereich des Handels mit im Ausland gefertigtem Zahnersatz tätig sind. Die Parteien standen in direkter Konkurrenz zueinander, und es ging insbesondere um die Einhaltung einer Unterlassungsverpflichtung, die im Rahmen einer vorherigen Auseinandersetzung vereinbart worden war.

Sachverhalt

Die Klägerin warf der Beklagten vor, gegen eine im Jahr 2014 abgegebene Unterlassungsverpflichtung verstoßen zu haben, die bestimmte werbliche Aussagen untersagte. Die Beklagte hatte sich verpflichtet, bestimmte Aussagen in ihrer Werbung zu unterlassen, die nach Ansicht der Klägerin irreführend und damit wettbewerbswidrig waren. Im vorliegenden Fall ging es um den Versand von Broschüren an Patienten und Ärzte, der nach Ansicht der Klägerin gegen die Unterlassungsverpflichtung verstieß.

Streitpunkte

  1. : Ein zentraler Streitpunkt war die Höhe der von der Klägerin geforderten Vertragsstrafe aufgrund der behaupteten Verstöße. Die Klägerin forderte eine hohe Vertragsstrafe, die die Beklagte als unangemessen betrachtete.
  2. Angemessenheit der Vertragsstrafe: Das OLG musste prüfen, ob die von der Klägerin festgesetzte Vertragsstrafe den Anforderungen des § 315 BGB entsprach, der eine Bestimmung nach „billigem Ermessen“ verlangt.

Entscheidung des OLG Düsseldorf

Das OLG entschied zugunsten der Beklagten, indem es die von der Klägerin festgesetzte Vertragsstrafe als unangemessen einstufte. Das Gericht reduzierte die Vertragsstrafe und stellte fest, dass die Bestimmung der Höhe der Vertragsstrafe nicht „billigem Ermessen“ entsprach und somit nicht verbindlich für die Beklagte war. Das Gericht legte eine angemessene Vertragsstrafe fest, die deutlich unter der von der Klägerin geforderten Summe lag.

Begründung

Das Gericht betonte im Ergebnis, dass die Vertragsstrafe so bemessen sein müsse, dass sie die ihr zugedachten Funktionen erfüllt, nämlich als Sanktion für Zuwiderhandlungen zu dienen und weitere Verstöße zu verhindern. Dabei seien die Schwere des Verstoßes, das Verschulden der Beklagten und deren wirtschaftliche Verhältnisse zu berücksichtigen:

Der Begriff des billigen Ermessens stellt für die Bemessung der Höhe der Vertragsstrafe einen Beurteilungsrahmen zur Verfügung (BGH, GRUR 1994, 146 (147) – Vertragsstrafebemessung; BGH, NJW 2014, 30989, Rn. 23). Billigkeit im Sinne des § 315 BGB bezeichnet die Grenzen des Ermessens, die eingehalten werden müssen, damit die getroffene Entscheidung für den Empfänger der Bestimmungserklärung verbindlich ist (BGH, Urt. v. 11.01.2023, Az.: IV ZR 85/20, zitiert nach BeckRS 2023, 2554, Rn. 39). Es sind die beiderseitigen Interessen objektiv gegeneinander abzuwägen (BGH, Urt. v. 11.01.2023, Az.: IV ZR 85/20, zitiert nach BeckRS 2023, 2554, Rn. 39). Die Leistungsbestimmung einer Vertragspartei ist erst dann durch das Gericht zu ersetzen, wenn die durch § 315 Abs. 3 BGB gezogenen Grenzen überschritten sind, nicht hingegen schon dann, wenn das Gericht eine andere Festsetzung für richtig hält (BGH, NJW-RR 1991, 1248 (1249); BGH GRUR 2005, 757 (760) – PRO-Verfahren; BGH, NJW 2014, 3089, Rn. 23 – Stromnetznutzungsentgelt VI). Die Ausübung des billigen Ermessens ist mithin gerichtlich dahingehend nachprüfbar, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten sind und ob nicht sachfremde oder willkürliche Motive für die Bestimmung maßgebend gewesen sind.

Die Entscheidungskontrolle ist nicht auf eine Ergebniskontrolle verengt; auch der subjektive Ermessensfehlgebrauch ist von Bedeutung (BGH, Urt. v. 11.01.2023, Az.: IV ZR 85/20, zitiert nach BeckRS 2023, 2554, Rn. 39; OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2020, 3130, Rn. 7). Für die Feststellung, ob die vom Bestimmungsberechtigten festgesetzte Strafhöhe der Billigkeit entspricht, ist nicht die festgesetzte Vertragsstrafe abzüglich eines Ermessensspielraums als Ausgangspunkt anzusetzen (OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2020, 3130, Rn. 9). Basis für die Überprüfung ist vielmehr die angemessene Vertragsstrafe, die sodann nicht um einen gewissen (Prozent-)Satz überschritten werden darf (so ausdrücklich für die Billigkeitskontrolle von Rechtsanwaltsgebühren: KG Beschl. v. 06.12.2010 – 1 WS 45/10, zitiert nach BeckRS 2011, 02651. Im Ergebnis ebenso: OLG Celle MMR 2015, 408, Rn. 29). Die Darlegungs- und für die Billigkeit der Ermessensausübung trifft den zur Leistungsbestimmung Berechtigten (BGH, NJW 2003, 3131 (3132); BGH, NJW 2011, 212 (213)).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze entspricht die seitens der Klägerin vorgenommene Bestimmung der Vertragsstrafe nicht billigem Ermessen und ist deshalb für die Beklagte nicht verbindlich, § 315 Abs. 3 S. 1 BGB.

Welche Vertragsstrafe angemessen ist, ist unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Vertragsstrafe die ihr zugewiesenen Funktionen erfüllen können muss (OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2020, 3130, Rn. 11; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2016, 92, Rn. 32 – Seifenblasenflüssigkeit). Unterwerfungserklärungen, die nach Wettbewerbsverstößen abgegeben werden, kommt neben der Schadenpauschalierung in erster Linie eine Sanktionsfunktion sowie die Funktion zu, weitere Zuwiderhandlungen zu vermeiden (BGH, GRUR 2001, 758 (760) – Trainingsvertrag; BGH, GRUR 2009, 181, Rn. 42 – Kinderwärmekissen; BGH, GRUR 2014, 595, Rn. 16 – Vertragsstrafenklausel; OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2020, 3130, Rn. 11; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2016, 92, Rn. 32 – Seifenblasenflüssigkeit).

Zu diesem Zweck muss die Vertragsstrafe so hoch sein, dass sich ein Verstoß für den Verletzer voraussichtlich nicht mehr lohnt (OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2020, 3130, Rn. 11; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2016, 92, Rn. 32 – Seifenblasenflüssigkeit). Maßgeblich sind insoweit die Schwere und das Ausmaßes der begangenen Zuwiderhandlung gegen den Titel, deren Gefährlichkeit für den Gläubiger, das Verschulden des Verletzers und dessen – zu beseitigendes – Interesse an weiteren gleichartigen Begehungshandlungen sowie die Art und Größe des Unternehmens (BGH, GRUR 1994, 146 (147) – Vertragsstrafebemessung; BGH, GRUR 2009, 181, Rn. 42 – Kinderwärmekissen).

Fazit

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf unterstreicht die Bedeutung einer ausgewogenen und angemessenen Festsetzung von Vertragsstrafen in Unterlassungsverpflichtungen. Überzogene Forderungen können gerichtlich korrigiert werden, wenn sie den Anforderungen an „billiges Ermessen“ nicht gerecht werden. Die Entscheidung zeigt die anzustellenden Überlegungen bei der Gestaltung von Unterlassungsverpflichtungen samt Festlegung von Vertragsstrafen in wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten auf.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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