Ein Sozialbetrug ist die umgangssprachliche Bezeichnung für einen Betrug, der zu Lasten der Sozialkassen begangen wird. Sprich: Durch eine Täuschung wird, in der Regel im Bereich des ALGII, unberechtigt eine Zahlung aus den Sozialkassen erreicht.
Doch anders als viele Menschen denken, geht es hier gerade nicht zwingend um den böswilligen Betrüger, der sich die Taschen vollmacht; vielmehr sind bei mir die Fälle gehäuft, in denen Betroffene – durchaus nachvollziehbar – schildern, dass mit ihren Angaben geschludert wurde. Oder man war einfach Treudumm. Die Konsequenzen aus dem Sozialbetrug können dabei erheblich sein.
Sozialbetrug durch nicht angezeigte Arbeitsaufnahme
Wer soziale Leistungen bezieht und wieder in Arbeit kommt, muss dies dem Jobcenter sofort anzeigen. Hier trifft den Empfänger von Arbeitslosenhilfe nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I die Pflicht
„Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen.„
Diese Mitteilungspflicht ist mit der Rechtsprechung „Teil einer effektiven Mitwirkungspflicht des Leistungsempfängers“, auf die das Arbeitsamt im Rahmen seiner umfassenden Aufklärungspflicht auch angewiesen ist. Allerdings ist es ausdrücklich nicht Aufgabe des Leistungsempfängers – dem ja die innerbetriebliche Organisation der Behörde nicht zugänglich ist – den jeweils „zuständigen Bediensteten“ ausfindig zu machen und dafür „Sorge zu tragen“, dass diesen die Mitteilung tatsächlich erreicht. Adressat der Mitteilung ist das Arbeitsamt, und ihr Zweck besteht darin, bei der Behörde irrige Vorstellungen der Personen zu beseitigen, die zugunsten des Leistungsempfängers eine Verfügung im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB treffen, um wen es sich dabei im einzelnen auch handelt.
Aber die Anforderungen sind recht hoch: Wenn der Leistungsempfänger der Verwaltung des Jobcenters die Arbeitsaufnahme auf schriftlich mitteilt, so reicht es nicht aus, dass er sich darauf beschränkt, die schriftliche Mitteilung abzusenden. Vielmehr wird er seiner Verpflichtung zur Mitteilung veränderter Umstände nur dann gerecht, wenn er dafür Sorge trägt, dass die schriftliche Mitteilung den zuständigen Bediensteten des Arbeitsamtes auch tatsächlich zugeht (so ausdrücklich Oberlandesgericht Köln, Ss 470/02). Etwa, indem er persönlich das Schreiben im Jobcenter abgibt oder zumindest in den Briefkasten einwirft. Es gilt insoweit ausdrücklich, dass erst wenn der Leistungsempfänger davon ausgehen kann, dass die Mitteilung den zuständigen Bediensteten auch tatsächlich erreicht hat, er der ihm obliegenden Mitteilungspflicht aus § 60 I Nr. 2 SGB I nachgekommen ist.
Selbst wenn der Brief eingeworfen wurde kann es aber problematisch werden, speziell wenn weiterhin Zahlungen erfolgen: Gehen in einem solchen Fall nach Absendung der schriftlichen Mitteilung noch weiter Zahlungen der Arbeitsverwaltung bei dem Leistungsempfänger ein, so liegt es mit dem OLG Köln nahe, dass die Mitteilung den zuständigen Bediensteten nicht erreicht hat. Das gilt dann auch unabhängig davon, ob der Leistungsempfänger die Mitteilung auf dem Postweg übersandt oder in den Hausbriefkasten des Arbeitsamtes eingeworfen hat.
Der Leistungsempfänger ist dann nicht von der gesetzlichen Verpflichtung zu weiterer Tätigkeit frei geworden. Er hat vielmehr die Mitteilung in geeigneter Form zu wiederholen und auf diese Weise zu gewährleisten, dass der zuständige Bedienstete von den veränderten Umständen unverzüglich Kenntnis erhält. Ansonsten droht auch hier wieder eine Strafbarkeit.
Betrug durch Unterlassen bei nicht angezeigter Arbeitsaufnahme
Zusammengefasst bedeutet dies also: Es ergibt sich eine Garantenpflicht kraft Gesetzes aus § 60 Abs. 1 S. 1 SGB I, wonach derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, unter anderem alle Änderungen in den leistungserheblichen Verhältnissen unverzüglich mitzuteilen hat (OLG Hamburg, II – 104/03). Leistungserheblich ist in jedem Fall die Arbeitsaufnahme. Deren Anzeige an das Arbeitsamt ist eine empfangsbedürftige Wissenserklärung, wobei der normierten Mitwirkungspflicht erst genüge getan ist, wenn die Anzeige dem für Leistungsbewilligung und -widerruf zuständigen Mitarbeiter des Arbeitsamtes zugeht.
Doch Vorsicht, es kann je nach Einzelfall recht verzwickt werden: Wenn man etwa die Arbeitsaufnahme angezeigt hat (ggfs. auch wiederholt), gleichwohl eine Zahlung erhält und dann dieses Geld ausgibt, muss nicht zwingend ein Betrug vorliegen: Das OLG Hamburg hat insoweit klargestellt, dass die sozialrechtlichen Mitwirkungspflichten nicht dazu bestimmt sind, durch eine Pflicht zur Anzeige dem Leistungsträger erst diejenigen Informationen zu vermitteln, die er zur Einleitung eines Erstattungsverfahrens benötigt. Vielmehr dienen diese allenfalls dazu, in einem schon laufenden Erstattungsverfahren eine Mitteilungspflicht zu begründen.
Konkrete Schadensberechnung beim Sozialbetrug
Bei einem Sozialbetrug ist die Feststellung des eingetretenen Schadens zwingend. Etwa das Oberlandesgericht Dresden (2 OLG 24 Ss 778/13) führt aus:
In Fällen des Sozialbetruges setzt die Verurteilung nach § 263 StGB regelmäßig eine revisionsrechtlich überprüfbare detaillierte Berechnung des Betrugsschadens voraus. Dies erfordert in der Regel die Darlegung einer – gegebenenfalls sogar ins Einzelne gehenden – Berechnung des Anspruchs, welcher einem Angeklagten nach den für die Leistungsbewilligung geltenden Sozialvorschriften berechtigt zusteht, und dessen Gegenüberstellung zu den tatsächlich erhaltenen Unterstützungszahlungen
Das Problem: Es ging um Sozialleistungen die auf Grund eines Scheinarbeitsvertrages ausgezahlt wurden. Das Gericht ging davon aus, dass die gesamt ausgezahlten Summen als Schaden anzusetzen sind, was aber eben nicht korrekt ist – denn zu prüfen ist, ob nicht Ansprüche in irgendeiner Form bestanden, die dann abzuziehen sind. Das ist viel Arbeit für den Richter, die aber gleichwohl gemacht werden muss. Darum ist dies wohl auch die mitunter häufigste Fehlerquelle bei Urteilen zum Sozialbetrug, auf die der BGH (3 StR 517/15) nochmals hinweis: Das Gericht kann bei einem festgestellten Schaden nicht kurzerhand auf die Feststellungen der Behörde verweisen, sondern muss selber aufklären, welcher Schaden konkret vorliegt:
In Fällen des sogenannten Sozialleistungsbetrugs hat das Tatgericht nach den Grundsätzen der für die Leistungsbewilligung geltenden Vorschriften selbständig zu prüfen, ob und inwieweit tatsächlich kein Anspruch auf die beantragten Leistungen bestand (OLG Hamm, Beschlüsse vom 17. August 2015 – 5 RVs 65/15, NStZ 2016, 183; vom 16. Februar 2012 – 5 RVs 113/11, NStZ-RR 2013, 13, 14; OLG Koblenz, Beschluss vom 1. Dezember 2014 – 1 Ss 21/13, juris Rn. 10; KG, Urteil vom 18. Februar 2013 – (4) 1 Ss 281/12 (341/12), juris Rn. 12; OLG Nürnberg, Urteil vom 14. September 2011 – 2 St OLG Ss 192/11, juris Rn. 24). Um den Eintritt eines Schadens zu belegen, muss aus den Feststellungen in nachvollziehbarer Weise hervorgehen, dass und inwieweit nach den tatsächlichen Gegebenheiten auf die sozialrechtliche Leistung kein Anspruch bestand; mit einer allgemeinen Verweisung auf behördliche Schadensaufstellungen darf sich das Urteil nicht begnügen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. November 2000 – 2a Ss 271/00 – 62/00 II, juris Rn. 4; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 263 Rn. 141).
Leistungsbetrug beim Arbeitslosengeld bringt sechs Monate Freiheitsstrafe
Sozialbetrug: Das Amtsgericht Sinsheim hat einen 32-jährigen Arbeitslosengeldempfänger zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Der Arbeitslose hatte in den zurückliegenden Jahren mehrfach die Aufnahme von Beschäftigungen verschwiegen bzw. falsch mitgeteilt.
Der Sozialbetrug ist schnell verwirklicht, dabei höre ich von Mandanten oft, dass man doch angerufen haben will oder auch erklärt worden sein soll, dass „sowieso alles gemeldet wird“ und man nichts zu tun habe. So funktioniert es aber leider nicht, die Anforderungen der Rechtsprechung sind hoch. Gleichwohl lassen sich mitunter noch Einstellungen erreichen oder erfolgreich erstreiten, dass das Gericht dem reinen Aktenstand nicht mehr glaubt.
Mit dem Bezug von Arbeitslosengeld und den Einkommen aus den nicht angemeldeten Tätigkeiten hat er sich nicht nur ungerechtfertigt bereichert, sondern auch die Bundesagentur für Arbeit um 8.000 EUR geschädigt. Der Angeklagte räumte im gerichtlichen Verfahren sein Fehlverhalten ein. Er bestritt jedoch, die erforderliche Mitteilung bewusst unterlassen zu haben. Er habe wegen zu großer Arbeitsbelastung vergessen die Arbeitsagentur zu informieren. Das Gericht wertete diesen Vortrag als Schutzbehauptung. Es verurteilte ihn wegen vorsätzlichem Betrug gemäß § 263 StGB. Aufgrund mehrfacher Betrugsstraftaten in der Vergangenheit, sah das Gericht eine sechsmonatige Freiheitsstrafe, die zu einer vierjährigen Bewährung ausgesetzt wurde, als angemessen an.
Hintergrund: Jeder Leistungsempfänger wird vom Leistungsträger mündlich und schriftlich auf seine Mitteilungspflichten hingewiesen. Er bestätigt die Richtigkeit seiner Angaben schriftlich im Leistungsantrag und verpflichtet sich gleichzeitig, alle Änderungen in seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen unverzüglich anzuzeigen. Ein vorsätzlicher Verstoß gegen diese gesetzlichen Vorschriften des § 60 SGB I erfüllt den Tatbestand des Betrugs nach § 263 StGB. Ein lediglich fahrlässiges Fehlverhalten wird als Ordnungswidrigkeit verfolgt und mit Verwarnung oder Geldbuße durch das Hauptzollamt geahndet. (Quelle dieses Abschnitts: Presse Hauptzollamt Karlsruhe).
Einziehung beim Sozialbetrug?
Vorsicht, es kann eine Einziehung bei einem Sozialbetrug drohen, wobei dies bei kleineren Delikten nicht zu erwarten ist.
Pflichtverteidigung bei Sozialbetrug?
Eine Pflichtverteidigung kommt eher selten in Betracht, etwa bei erheblichen Vorstrafen. Man stellt sich dann schnell die Frage, ob ein Strafverteidiger Sinn macht. Um es kurz zu machen: Das kommt drauf an, vor allem auf den Einzelfall. Es dürfte Sinn machen, den Rat eines Strafverteidigers einzuholen, wer etwa unbescholten ist, hat ein erhebliches Interesse daran, im Fall der Verurteilung eine Strafe zu erhalten, die später nirgendwo auftaucht. Ein Strafverteidiger kann erst einmal versuchen, die Strafe zu Gunsten einer Einstellung zu verhindern; darüber hinaus kann ein Strafverteidiger den Ausschlag geben, um eine Geldstrafe zu erhalten, die nicht mehr im Bundeszentralregister eingetragen wird (oder gar an Stelle einer zu erwartenden Freiheitsstrafe gleich eine Geldstrafe zu erzielen).
Auch wenn es hart klingt: Es kommt darauf an, was Ihnen Ihre berufliche Zukunft Wert ist. So habe ich in einzelnen Fällen, in denen ein Strafbefehl mit 110 Tagessätzen oder 120 Tagessätzen zugestellt wurde, die magische Grenze von 90 Tagessätzen erreicht, so dass der Arbeitnehmer sich im weiteren dann „nicht vorbestraft“ nennen konnte. Am Rande minderte dies auch die Geldstrafe und 30 Tagessätze á 30 Euro weniger machen 900 Euro, die man weniger zahlt, so dass der Strafverteidiger sogar quersubventioniert ist.
Anders herum lassen sich mitunter unvorstellbare Ergebnisse erzielen, so konnte ich etwa – mit einigem Diskutieren – bei einem Arbeitnehmer erreichen, dass sein Sozialbetrug trotz bereits zwei eingetragener Vorstrafen wegen Betruges letztlich nach §153a StPO eingestellt wurde.
Jens Ferner
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