Immer wieder geraten Kapitalanleger in die Falle betrügerischer Schneeballsysteme, bei denen vermeintlich lukrative Beteiligungsmodelle in Wahrheit nur durch neue Anlegergelder aufrechterhalten werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in seiner Entscheidung vom 20. März 2025 (Az. IX ZR 141/23) erneut mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen Auszahlungen an stille Gesellschafter in der Insolvenz des betreibenden Unternehmens als unentgeltliche Leistungen anfechtbar sind – und dabei die Anforderungen an den Nachweis der Kenntnis von der Nichtschuld präzisiert.
Hintergrund und Sachverhalt
Die Schuldnerin, eine Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. KG, warb Kapitalanleger zur Beteiligung als stille Gesellschafter. Das eingesammelte Kapital leitete sie im Rahmen eines Kreditvertrags fast vollständig an ihre Gründungskommanditistin, die L. GmbH & Co. KG, weiter, die angeblich ein Luxuspfandhaus betrieb. Die Gewinne aus diesem Pfandgeschäft sollten zur Rückführung der Kredite und zur Zahlung von Gewinnanteilen an die stillen Gesellschafter dienen.
Tatsächlich betrieb die L. jedoch kein echtes Pfandleihgeschäft, sondern ein klassisches Schneeballsystem. Die Pfandobjekte waren wertlos, vielfach gefälscht oder überbewertet. Die L. bediente die Rückzahlungen an die Schuldnerin größtenteils nicht durch echte Gewinne, sondern durch rein bilanzielle Verrechnungen und neue, ebenfalls zweckwidrig verwendete Darlehen. Die an die Anleger geleisteten Auszahlungen stammten somit nicht aus real erwirtschafteten Gewinnen, sondern entsprachen sogenannten „Scheingewinnen“.
Ein Anleger, der sich zweimal als stiller Gesellschafter beteiligt hatte, erhielt in den Jahren 2013 bis 2015 insgesamt rund 10.900 Euro an Auszahlungen. Der Insolvenzverwalter der Schuldnerin verlangte diese Zahlungen im Wege der Insolvenzanfechtung (§ 134 Abs. 1 InsO) zurück. Das Berufungsgericht wies die Klage ab, da es an einem Nachweis der Kenntnis der Geschäftsführung von der fehlenden Auszahlungspflicht fehle.
Juristische Würdigung durch den BGH
Maßgeblichkeit der objektiven Ertragslage
Zentral für die rechtliche Bewertung ist die Frage, ob die Auszahlungen an den stillen Gesellschafter unentgeltlich im Sinne von § 134 Abs. 1 InsO erfolgten. Nach ständiger Rechtsprechung liegt Unentgeltlichkeit vor, wenn der Schuldner in Kenntnis der Nichtschuld geleistet hat (§ 814 BGB). Der BGH stellt erneut klar, dass sich die Berechtigung zu Ausschüttungen an stille Gesellschafter nach der objektiven, tatsächlichen Ertragslage richtet – nicht nach fehlerhaften, vom Wirtschaftsprüfer bestätigten Jahresabschlüssen.
Insofern hat der Senat bereits in früherer Entscheidung festgehalten, dass die im Gesellschaftsvertrag enthaltenen Ausschüttungsregelungen regelmäßig auf die wahre Ertragslage abstellen. Dass der formelle Jahresabschluss Gewinne ausweist, obwohl tatsächlich Verluste erwirtschaftet wurden, ändert nichts an der fehlenden rechtlichen Verpflichtung zur Leistung.
Kenntnis der Nichtschuld – Anforderungen an den Nachweis
Für die Anfechtung nach § 134 InsO genügt es, wenn die Geschäftsführung wusste, dass keine Gewinne erzielt wurden und die Auszahlungen an Anleger daher rechtsgrundlos – als „Scheingewinne“ – erfolgten. Eine detaillierte Kenntnis bilanztechnischer Einzelheiten oder der strafrechtlichen Bewertung des Systems ist nicht erforderlich. Entscheidend ist vielmehr die Einsicht, dass das Unternehmen Verluste macht und neue Anlegergelder zur Bedienung alter Ansprüche verwendet werden – ein typisches Kennzeichen eines Schneeballsystems.
Der BGH widerspricht dem Berufungsgericht in mehrfacher Hinsicht:
- Es sei nicht erforderlich, dass der Kläger exakt benenne, welcher Geschäftsführer welche konkrete Auszahlung veranlasst habe. Entscheidend sei vielmehr, ob ein maßgeblicher Vertreter der Schuldnerin – hier insbesondere der Kommanditist M. – die entscheidenden Tatsachen kannte.
- Die vom Kläger benannte Zeugenaussage des M. hätte nicht allein auf Grundlage einer früheren schriftlichen Auskunft zurückgewiesen werden dürfen. Das Berufungsgericht habe unzulässig eine vorweggenommene Beweiswürdigung vorgenommen, indem es aus der Auskunft negative Rückschlüsse auf die Aussagekraft der Zeugenaussage zog, ohne eine Beweisaufnahme durchzuführen.
- Selbst wenn der konkrete Geschäftsführer das Schneeballsystem nicht in Gänze durchschaute, reiche die Kenntnis von Verlusten und fehlender realer Geschäftstätigkeit für die Annahme einer Kenntnis der Nichtschuld aus.
Wissenszurechnung und Fortwirkung
Besonders hervorzuheben ist die Feststellung des BGH, dass die einmal durch einen Geschäftsführer gewonnene Erkenntnis von der wirtschaftlichen Realität auch nach dessen Ausscheiden dem Unternehmen zuzurechnen bleibt. Im vorliegenden Fall sei es aufgrund der Brisanz und Bedeutung der Erkenntnisse – nämlich der Existenz eines betrügerischen Systems – naheliegend, dass dieses Wissen dokumentiert oder institutionalisiert wurde. Entsprechend könne sich die Gesellschaft später nicht auf ein „Vergessen“ oder Ausscheiden des Wissenden berufen.
Der BGH bekräftigt mit dieser Entscheidung eine klare Linie: Wer Auszahlungen in einem betrügerischen Schneeballsystem vornimmt, obwohl klar ist, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen fehlen, handelt ohne Rechtsgrund – mit erheblichen anfechtungsrechtlichen Konsequenzen in der Insolvenz. Für Gläubiger bedeutet das eine bessere Ausgangsposition, für Organvertreter eine verstärkte Pflicht zur sorgfältigen Überprüfung der wirtschaftlichen Realität hinter formalen Geschäftszahlen.
Schlussfolgerung
Die Entscheidung des BGH stärkt die rechtlichen Möglichkeiten von Insolvenzverwaltern, in betrügerischen Schneeballsystemen geleistete Auszahlungen an Anleger zurückzufordern. Sie stellt klar:
- Die Ausschüttung an stille Gesellschafter ist nur dann rechtlich geschuldet, wenn objektiv Gewinne erwirtschaftet wurden.
- Kennt der Schuldner (bzw. dessen vertretungsberechtigte Organe), dass dies nicht der Fall ist, sind Leistungen an die Anleger als unentgeltlich und damit anfechtbar zu qualifizieren.
- Die Anforderungen an den Nachweis dieser Kenntnis dürfen vom Tatrichter nicht überspannt werden; insbesondere darf eine Beweisaufnahme nicht durch vorweggenommene Würdigung vereitelt werden.
Allerdings sollte man sich nicht vertun, diese Rechtsprechung zieht weite Kreise: Auch eigentliche Opfer des Schneeballsystems, die selbst Einlagen geleistet und am Ende (Teil-)Ausschüttungen erhalten haben, können mit Rückforderungen konfrontiert sein.
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