OLG Hamm zur konkurrenzrechtlichen Behandlung von Mehrfachbetrug im digitalen Raum: In seinem Beschluss vom 7. Januar 2025 (Az. 2 ORs 60/24) hat das OLG Hamm eine strafrechtlich wie systematisch bedeutsame Klarstellung getroffen: Wird ein Benutzerkonto im Internet unter unrichtigen Angaben eingerichtet und sodann planvoll für mehrere betrügerische Bestellungen genutzt, so liegt nicht zwangsläufig eine Mehrzahl rechtlich selbstständiger Taten vor. Vielmehr kann eine Tateinheit im Sinne des § 52 StGB gegeben sein – mit unmittelbaren Folgen für den Schuldspruch und die Strafzumessung.
Der Fall
Der Angeklagte hatte unter fremden Personalien sowie unter unbefugter Nutzung eines Vereinskontos einen Online-Account eingerichtet. Über diesen tätigte er in kurzer Folge 15 Buchungen für Zugtickets, ohne selbst zu bezahlen: Die Beträge wurden per SEPA-Lastschriftverfahren vom Konto des Vereins abgebucht, was später rückgängig gemacht wurde. Das Amtsgericht wertete die einzelnen Bestellungen als jeweils eigenständige Fälle von Computerbetrug (§ 263a StGB), in einem Fall in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten (§ 269 StGB), und verhängte eine Gesamtfreiheitsstrafe.
Die Korrektur durch das OLG
Das OLG Hamm korrigierte diese Bewertung: Es handle sich bei den 15 Buchungen nicht um 15 rechtlich selbständige Straftaten, sondern – aufgrund der von Beginn an einheitlich geplanten und technisch abgewickelten Nutzung des manipulierten Accounts – um eine einzige Tat im rechtlichen Sinn, nämlich Computerbetrug in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten.
Zur Begründung verweist der Senat auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach bei einer von vornherein geplanten, mehrfachen Nutzung eines manipulierten Accounts das Handeln als natürliche Handlungseinheit aufzufassen sei. Der technische und zeitliche Zusammenhang sowie die Nutzung ein und desselben betrügerisch eingerichteten Kontos rechtfertigen demnach die Annahme einer Tateinheit – nicht nur im tatsächlichen, sondern auch im rechtlichen Sinn.
Strafprozessuale und praktische Konsequenzen
Diese dogmatische Einordnung hat unmittelbare Folgen: Sie verändert nicht nur den Schuldspruch (weniger Einzelfälle), sondern entzieht auch den ursprünglich ausgesprochenen Einzelstrafen die Grundlage. Denn die strafzumessungsrelevante Bewertung des Unrechtsgewichts muss sich nun auf eine einzige Tat beziehen. Zugleich schränkt das sogenannte Verschlechterungsverbot die Möglichkeit ein, in der Neuverhandlung eine höhere Strafe zu verhängen als ursprünglich.
Das Urteil illustriert damit eindrucksvoll, dass sich im digitalen Raum klassische strafrechtliche Konkurrenzfragen in neuem Gewand stellen: Die flexible, oft automatisierte Handlungsausführung über ein einmal manipuliertes System kann nicht einfach durch Zählung von Einzelvorgängen in rechtlich selbstständige Taten aufgespalten werden. Damit bietet sich erhebliches Verteidigungspotential, sofern man den Sachverhalt ordentlich aufbereitet.
Fazit
Das OLG Hamm trägt mit seinem Beschluss zur Systematisierung der Konkurrenzlehre im digitalen Strafrecht bei. Es unterstreicht, dass in Fällen betrügerischer Online-Bestellungen die einmalige Einrichtung und wiederholte Nutzung eines falschen Kontos regelmäßig zur Annahme von Tateinheit führen kann – mit erheblichen Auswirkungen für Schuldspruch und Strafe. Die Entscheidung zeigt, wie wichtig eine präzise rechtliche Analyse des tatsächlichen Verhaltens ist, gerade in einem Bereich, der von automatisierten Prozessen und wiederholten Handlungsmustern geprägt ist.
- “Duzen” ist keine Beleidigung - 16. Juli 2025
- Bedrohungslage von kommerziellen Satelliten - 15. Juli 2025
- Influencer im Visier der Steuerfahndung - 15. Juli 2025